„Will mich nicht schämen für ein bisschen Glück, bin ich es selber oder spielt die Welt verrückt?“
Am im Herbst 2016 erschien Cluesos siebtes Soloalbum, aber das erste, auf dem er sich mit all den Zweifeln, Ängsten und Abhängigkeiten beschäftigt, die seit dem Erscheinen seines ersten Albums Text & Ton vor 15 Jahren in ihm gewachsen sind. Neuanfang ist anders, aber unverkennbar Clueso. Es rumpelt, atmet und lebt an allen Ecken. Der Sound ist etwas schmutzig und spontan und kehrt teilweise zu Cluesos HipHop-Wurzeln zurück. Gospel, Chor und Bläser – ein Album wie eine 7inch-Jukebox. t.akt sprach mit Clueso über sein Album, aber auch über Vergangenheit und Zukunft.
Ich hab zuhause noch ein 20 Jahre altes Tape von einem Auftritt, damals noch mit den Wostok MCs.Wie viel von dem jungen Clueso steckt noch im heutigen?
Das ist eine Frage, die wahrscheinlich mein Umfeld besser beurteilen kann als ich. Viele die ich nach Jahren treffe, sagen: „Das ist ja absolut noch die gleiche Lache und derselbe Humor“. Und viele haben sich auch in jungen Jahren schon gefragt, „Wo nimmt der die Energie her?!“ und das fragen sich die meisten auch heute nicht. Da entscheidet sich der junge Clueso nicht von dem alten. Auch die Spontanität ist mir geblieben. Allerdings versucht der Clueso von heute ein Set aufzubauen, um spontan sein zu können. Der Clueso von früher war es einfach.
Wahrscheinlich gehst du heute bedachter an viele Sachen ran?
Ja. Ich mach zwar noch immer was ich will, aber ich muss mit meiner Spontanität heute verantwortungsbewusster umgehen. Das ist ein Hauptgrund für den ganzen Neuanfang gewesen. Alleine fährt man anders Auto, als wenn Leute hinten drin sitzen. Ich wollte neue Dinge ausprobieren ohne Versprechungen abzugeben, weil es immer sein kann, dass man scheitert. Das hat auch was mit einem Reifeprozess zu tun. Ich stecke gern mit Menschen in autonomen Beziehungen, möchte nicht, dass sie davon abhängig sind, was ich mache. Das ist weder für die Kunst gut, noch für mich. Jede tiefere Beziehung sollte eher ein Dreivierteltakt sein. Oder ein Stück von Chopin anstatt ein großer Popsong.
Da ist die Verbindung zu „Wenn du liebst“ von deinem neuen Album direkt da: „Wir sind lebendige Strophen, berühren uns wie Chopin. Und es gibt keinen Refrain“ Von solchen Sätzen gibt es einige in deinen Songs. Wie entstehen solche Metaphern? Brauchst du dafür Ruhe oder entstehen die mitten im Trubel?
Die meisten guten Sätze kommen in Ruhe. Ich lass die Leute gern teilhaben an diesen ruhigen Momenten und bin deshalb sehr glücklich darüber, dass auf dem Album fast alles aus meiner Feder stammt und ich diese Momente bewusst gesucht hab. Im Song „Neuanfang“ beschreibe ich das auch: Wenn man die Grenzlinie zwischen Verstand und Bauch findet, dann ist es egal, wer da der Gewinner ist. Es gibt im Album verschiedene Entstehungsweisen. Mal konstruiert, weil ich genau wusste, was ich sagen will und mal nur aus reinem Empfinden. Aber ich weiß immer genau, wo die Grenze liegt. Message ist mir wichtiger als Poesie, ich bin trotzdem froh, dass es an manchen Stellen poetisch klingt.
Viele Schlüsselworte zu Natur und Freiheit finden sich in den Songs: Wasser, Segel, Meer, Himmel, Berge …Wo sind die Lieder entstanden? Auf Bali? An der Ostsee? Am Alperstedter See?
Zumindest nicht im Urlaub. Man muss ganz klar unterscheiden zwischen Urlaub und Reisen.
Und ich hab immer schon gesagt: Reisen ist das Benzin für gute Songs. Und der Satz ist wiederum von David Bowie (R.I.P.). Ich mach gerne Urlaub, aber da will ich mich erholen. Beim Reisen begebe ich mich gern an Orte, die mich klein machen. Orte, an denen ich mich winzig fühle und denke „Wie große ist die Welt“ und dann komm ich zurück und dann solche Songs entstehen. Für das Album habe ich mich im Grunde ja auch auf neue Wege begeben.
Interessant, dass du David Bowie erwähnst. Dein Song „Gordo“ erinnert von der Erzähltechnik an Udo Lindenberg und vom musikalischen Stil an David Bowie. Wie kam die die Idee zu dem Song und was beeinflusst dich generell?
Gut, dass du das sagst! Es ging mir ähnlich. Ich hatte das Instrumental mit Koli zusammen (dem Posaunisten der alten Band) geschrieben und es auf einer Festplatte gefunden. Es ist wie ein Song im Weltall, wie Bowies Space Oddity. Mein Bruder und ich haben gern das DDR-Buch „Weltall, Erde, Mensch“ angeschaut. Da gab es schöne Aufklappbilder von Sputnik, Juri Gagarin, Wostok etc. Wir haben Tage damit zugebracht alles zu lesen und uns vorzustellen, wir wären im Weltall. Ich fand das schon immer geil. Deshalb habe ich über das Mercury-Projekt (das erste bemannte Raumfahrtprogramm der Vereinigten Staaten 1958) geschrieben weil ich das interessant fand, einen kleinen Affen in eine Rakete zu setzen.
Mich hat das Thema sehr beschäftigt: wie kann ich mich aus einer Symbiose lösen, ohne damit zu brechen. Und vielleicht von fremden Meinungen und der Fremdbestimmung frei zu machen, denn manchmal kam ich mir vor wie das Äffchen in der Rakete. Von außen betrachtet ist das für den Affen vielleicht lustig in der Schwerelosigkeit zu sein. Aber in der Realität will man manchmal auch einfach nur wieder runter.
Dieser Song unterwirft sich der Geschichte, auch von den Instrumenten und ist damit sehr nah an Udo Lindenberg: wenn die Geschichte weiter erzählt wird, müssen eben alle noch einen Takt länger spielen. Und wenn der Typ von Staub singt, dann muss es auch staubig klingen. Das ist da, was ich bei „Gordo“ gemacht habe.
Möchtest du aus der von dir besungenen Achterbahn auch manchmal aussteigen? Stichwort „Ich fahr´ immer noch ohne Plan, nach all den Jahren.“
Solang die Fahrt Spaß macht, bleib ich drin. Viele müssen einfach erst akzeptieren, dass ich Raum für mich brauche. Den habe ich mir früher gar nicht genommen. Ich brauch diese Zeit zum glücklich sein und kann dann auch mehr geben.
Ich halte nicht jede Idee, die ich in Achterbahn von mir weise für blöd. Ich bin genauso romantisch veranlagt und möchte irgendwann Kinder. Aber nicht, weil es irgendjemand erwartet. Manchmal muss man auf sich hören und entscheiden, Dinge zu tun, auf die man wirklich Bock hat. Unabhängig von den Lebensmodellen, die es da draußen gibt.
Welche Story von den Aufnahmen, ist dir besonders im Kopf geblieben ist?
Ein Song heißt … In der Toskana haben wir viel Schlagzeug aufgenommen. Als wir mit den Aufnahmen fertig waren und das Equipment schon verräumt hatten, fiel mir der Synthesizer aus den Siebzigern im Regal auf. Ich wollte nicht eher wegfahren, bis ich ihn ausprobiert hatte, ich hätte mich sonst ewig geärgert. Es klang so geil. Als würde man unter Wasser sein. Also hab ich Tobi (Produzent Neuanfang) gefragt, ob wir das noch aufnehmen können. Ich hätte auf jeden Fall akzeptiert, wenn er gesagt hätte: „wir fahren jetzt“. Aber er hat nochmal alles angeschlossen. Daraus ist der Song „Neue Luft“ entstanden. Der wäre nie so geworden, ohne diesen Synthesizer.
Für Neuanfang gibt es die Geschichte, dass ich eigentlich ein Reisealbum aufnehmen wollte. Nach der Trennung von der Band bin ich nach Hause, hab den Rucksack in die Ecke geschmissen, mir die Gitarre geschnappt, einen Beat gebaut und geschrien
„Was soll ich tun? Wenn ich´s so seh´: ich kann den Wind nicht ändern, nur die Segel drehen.“
Tobi hat es einen Tag später gehört und gesagt: das ist ´ne absolute Ansage. Ich hab mich gefreut und wollte es neu einsingen. Und er sagte: „Genau das wirst du nicht machen. So verzweifelt und selbstsicher wirst du nie wieder klingen.“ Er hat das dann als Schnipsel in den neuen Song eingebaut. Selbst die originale Laptopaufnahme kommt im Song als Bridge vor. Der Gesangstake ist der allererste den ich zu dem Album hatte.
Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?
„Wenn du liebst“ berührt mich jedes Mal. Ich hab noch nie ein Duett geschrieben und Kat Frankie ist eine Künstlerin, vor der ich Ehrfurcht habe, weil sie so gut ist. Und ich bin so froh, dass sie das gemacht hat, obwohl es nicht ihre Muttersprache ist. Es ist ein Song, der mich wirklich berührt. Eine Ballade mit Haltung.
„Erinnerung“ macht etwas mit mir, was ich nicht beschreiben kann. „Neuanfang“ ist für mich wie eine Batterie. Ich hab den so oft gehört, aber ich kann ihn immer wieder anhören – Box aufdrehen und es geht los.
Wie kam die Zusammenarbeit mit Kat zustande?
Ich hab lange überlegt, wer den Part beim Duett singen könnte. Ich wollte jemanden mit Reife und der fühlt was er singt. Tim hat mir Kat Frankie empfohlen und sie hat Gott sei Dank zugesagt.
Was ist aus deiner Sicht ein entscheidender Unterschied zu den vorherigen Alben?
Der Sound! Liegt einfach daran, dass wir meistens nur zu dritt waren: Tobi, Tim und ich. Ab und zu noch Simon, der uns als Keyboarder geholfen hat.
Bei dem ersten Treffen sagte Tobi zu mir: „Ich will dein bestes Album machen. Ich will alles aus dir herausholen, worauf du Lust hast!“ Er wollte große Songs schreiben, aber nicht die klassische Stadionarchitektur nutzen.
Was liebst du an Thüringen/Erfurt, was es woanders nicht gibt?
Ich weiß nicht ob uns Erfurtern das bewusst ist, aber wir haben eine sehr helle Stadt. Wir haben kleine Gassen, aber viele bunte Wände. Im Vergleich zu anderen Städten hat man in Erfurt ein Zuhausegefühl bevor man dort wohnt. Das sagen mir auch viele Künstler wie Max Herre oder Max Mutzke, der vor kurzem zu Besuch war. Erfurt hat was Heimisches. Bis jetzt habe ich keine Stadt getroffen die so ist wie Erfurt.
Clueso setzt 2017 die Live-Weihnachts-Tradition in seiner Heimatstadt fort. Am 28. Dezember 2017 spielt er in der Messehalle Erfurt „Das Weihnachtskonzert“ für alle Söhne und Töchter der Stadt, die sich zwischen den Jahren mit Familie und Freunden treffen. Tickets gibt es hier: Ticket Shop Thüringen