Seit dieser Spielzeit hat das Theaterhaus Jena eine neue künstlerische Leitung – ein experimentierfreudiges Kollektiv. Es ist eine atemberaubende Leistung. Über Stunden ist die junge Schauspielerin Mona Vojacek Koper ein Kloß. Ein runder Kloß, eine kuschliger Kloß, ein singender, moderierender, höchst freundlicher Kloß. Der Kloß ist einer von sechs Charakteren im Stück „Thüringen Megamix“ am Theaterhaus Jena.
Das Künstlerkollektiv Wunderbaum im Theater Jena
„Thüringen Megamix“ ist nicht von Shakespeare, nicht von Schiller. Es ist von Wunderbaum. Nie gehört? Das Theaterhaus hat seit dieser Herbstspielzeit ein neues Ensemble, wobei „Ensemble“ und „Schauspieler“ als Zuschreibungen nur bedingt zutreffen. Denn in Jena ist mit Wunderbaum kein Autor oder Intendant gemeint, sondern ein Künstlerkollektiv aus den Niederlanden. Wer hier Schauspielerin ist, ist auch Autorin. Oder Dramaturgin, Regisseurin und Intendantin. Und umgekehrt.
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Eine Art Tradition in Jena
Dass klassische hierarchische Leitungsstrukturen gebrochen werden, ist an öffentlich geförderten Bühnen in Deutschland höchst selten. In Jena hat dies eine gewisse Tradition. Aber in Jena gibt es seit dem Neustart 1991 auch keine feste Bühne, keinen festen Zuschauerraum mehr – und aus künstlerischer Sicht wird wieder und wieder das Bekenntnis gefördert, dass Theater Experiment ist.
Zahlreiche Künstler traten im Theaterhaus bereits auf
In besonders legendärer Erinnerung: Rainald Grebe, Claudia Bauer, René Marik, Maximilian Grill, die hier bis 2004 so erfolgreich die Grenzen ihrer Professionen verwischten. 2018/19 heißen die Namen unter anderem Walter Bart, Marleen Scholten, Pina Bergemann, Wine Dierickx, Maarten van Otterdijk oder eben Mona Vojacek Koper.
Die Nähe zu den Menschen gesucht
Der internationale Klang ist Programm: Für die Stückentwicklungen der ersten Spielzeit ist man mit einem befreundeten Reportagefotograf durch die neue Heimat gereist, hat Wissenschaftsstandorte und die Wartburg, AfD-Hochburgen und besetzte Häuser, Plattenbauviertel und Fachwerkstädtchen, Fichtenforste und Buchenwälder besucht und vor allem die Nähe der Menschen gesucht, die hier leben. Was ist das, Thüringen? Wer ist das? Aus der Rolle des heimisch werdenden Beobachters heraus hat Wunderbaum in kurzer Zeit kritische und extrem witzige Parabeln über Heimat, Identität und Erinnerung auf die Bühne gebracht. Natürlich, unter einem Stück namens „Thüringen Megamix“ kann sich, wer das Programm liest, erst einmal niemand etwas vorstellen. Lohnt es sich, dafür 20 Euro auszugeben? Bei „Faust“ im DNT Weimar oder den „Räubern“ im Theater Meiningen ist das per se anders.
Der Trailer zum Thüringen Megamix:
Thüringen Megamix – der neue Freizeitpark
Aber auch im Megamix spielen, neben dem Kloß, Goethe und Schiller eine Rolle: Sie alle sind Figuren eines fiktiven Freizeitparks, der Thüringen als Event feiert. Weil im Stück aber über weite Strecken „hinter den Kulissen“ die Kulisse ist, nimmt Wunderbaum auch die eigene Berufswelt und deren Leistungsanforderungen bei gleichzeitig schlechter Bezahlung aufs Korn. Damit zeigt man sich seinem neuen Publikum sogleich herrlich offen und verwundbar. Und es wird nicht zu viel verraten, wenn man prophezeit, dass Besuchern des Stücks Worte wie „Plattenbau“ und „Bauhaus“ nie mehr über die Lippen gehen werden, ohne an jenen Theaterabend denken zu müssen, an dem man Tränen lachte.
Geht ins Theater Jena!
In Jena hat sich die Empfehlung, unbedingt ins Theater zu gehen, in den letzten Wochen schnell verbreitet. Doch die Art von Theater, die das niederländische Kollektiv, das auch deutsche Schauspieler fest engagiert hat und neben Jena in Rotterdam und Mailand inszeniert, sollte nicht nur auf das überwiegend junge und experimentierfreudige Publikum der Universitätsstadt anziehend wirken. Man möchte allen Thüringern zurufen: Sichert euch einen Platz auf dem Klappstuhl an der improvisierten Bühne! Geht ins Jenaer Theater! Es hat sich selten so gelohnt.
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Text: Louisa Reichstetter