Techno ist mehr als nur eine Musikrichtung. In Deutschland hat das Genre und insbesondere die Szene rund um den Musikstil mittlerweile Generationen geprägt. Die Menschen verlieren sich in den minimalistischen, rhythmusorientierten Bass-Beats dieser elektronischen Musikform, die in der zweiten hälfte der 80er-Jahre über den großen Teich von Amerika nach Europa schwappte und in Deutschland auf fruchtbaren Boden fiel. Doch warum etablierte sich Techno gerade in Ostdeutschland so stark? Eine Frage, der sich das Performanceprojekt „TreuhandTechno“ widmet. Das Berliner Theaterkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK) steht hinter dem Projekt, das bereits in Apolda und Jena zu Gast war. Wir sprachen mit Susann Neuenfeldt, der künstlerischen Leitung vom PKRK, und Projektsprecherin Anna Stiede, um mehr zu erfahren.
Erklärt bitte zunächst, was Treuhand Techno ist?
Susann: TreuhandTechno ist ein künstlerisches Forschungsprojekt, das die Verbindungen zwischen der Techno-Entstehung in den frühen 90er-Jahren und der Abwicklung der ostdeutschen Betriebe untersucht. Beides – Techno und Treuhand – fand zeitgleich statt, und wir fragen in unserem Projekt, was diese beiden Welten miteinander zu tun haben. Auf den ersten Blick scheinen die Sphären nichts gemeinsam zu haben, doch unseren Forschungen zufolge sind die Verbindungen tatsächlich sehr vielfältig, divers und auch ganz konkret. Mit unserem Forschungsprojekt ziehen wir durch den Osten und halten an verschiedenen Stationen. Vergangenes Jahr machten wir zum Beispiel in Apolda Station, dieses Jahr in Berlin, Jena, Leipzig und Görlitz. Bisher haben wir festgestellt, dass sich an jeder Station die Verbindungen von Techno und Treuhand anders und sehr ortsspezifisch gestalten. Es gibt aber auch Verbindungen, die in allen Orten ähnlich und damit überregional sind.
Ihr veranstaltet im Rahmen eurer Arbeit ein Theater Projekt, das zuletzt in Jena Halt machte. Wie muss man sich das vorstellen?
Anna: Im Grunde ist es ein Forschungsprojekt, und wir nutzen das Theater als Methode. Wir arbeiteten zuletzt viel mit Performance, so bauten wir in Apolda eine begehbare Installation auf, und in Berlin installierten wir in einem Technoclub verschiedene Performances im Raum. Wir wollten aber auch unbedingt nach Jena, weil hier die Treuhand-Geschichte oft positiv dargestellt wird. Die Abwicklung des VEB Carl-Zeiss wird als Leuchtturm-Projekt der Treuhand beschrieben, und da wollten wir nachfragen, was es mit diesem Leuchtturm auf sich hat, was der Preis für die heutige Lichtstadt Jena war.
Zuvor fanden wir in Apolda heraus, dass es hier eine sehr aktive Techno-Szene Anfang der 90er-Jahre gab, und vieles aus dieser Technokultur ist nach Jena geschwappt. Diese Lust auf Techno hatte einen Anteil an der Gründung des Kassablancas in Jena und den ersten Technopartys dort. Wir installierten in dem Club einen TreuhandTechno-Gesprächssalon. So luden wir Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein, die die Umstrukturierungen des VEB Carl Zeiss miterlebten und Menschen, die hier Techno prägten. In der von PKRK entwickelten Forschungsmethode ließen wir beide Gruppen verbal aufeinandertreffen, fragten nach Gesten und recherchierten somit auch performativ und ohne Worte. Wir wollten der Frage auf den Grund gehen, wie es Anfang der 90er in Jena war. Deshalb luden wir zudem DJ Mikk und DJ Jana ein. DJ Jana machte in der männerdominierten Techno-Szene in den 90ern einfach ihr Ding. Gemeinsam mit DJ Mikk war sie viel in der Techno-Kultur unterwegs. Die beiden verloren sich jedoch aus den Augen, und wir brachten sie nach 20 Jahren wieder zusammen.
Und was ist der theatrale Aspekt eurer Arbeit?
Susann: Wir nehmen auf unsere künstlerischen Forschungsreisen immer bereits erarbeitete Figuren, Kostüme, Requisiten, Videos oder Sounds mit. Am Abend bei „TreuhandTechno Jena“ waren das unter anderem drei Figuren, zwei hatten wir in Apolda entwickelt, eine in Berlin. Das war der Robi, den Anna performt, die Techno-Tante, eine Spiegelung von Marusha, von Maike dargestellt, und wir haben Birgit Breuel (verkörpert von Werner Tuerk) mitgenommen. Birgit Breuel war die Treuhand-Chefin von 1991 bis 1995. Zusätzlich richteten wir in Jena Open-Mics ein und verwandelten die Mitschriften aus den Begegnungsformaten in Zitate. Wir wussten nicht, ob dieses Experiment gelingt. Das Publikum in Jena sprach die Zitate während der Technoparty in das Mikro ein. Es entwickelte sich sogar ein Dialog mit den Open-Mics-Performenden. Der Effekt war wunderbar: Technoparty mit Treuhand Diskursfetzen. Das Open-Mic-Format ist in Jena entstanden, und wir werden es zukünftig auf jeden Fall nach Leipzig und Görlitz mitnehmen.
Ich habe noch nie gehört, dass jemand Theater mit der Forschung verbindet. Wie kamt ihr dazu?
Anna: Im Theater gibt es ganz unterschiedliche Konzepte. Unsere Probenarbeit ist eine permanente Forschungsarbeit. Wir setzen uns mit der Recherche, die Textilmaschinen, die wir im Falle von Apolda suchten und den Menschen, die wir getroffen haben, auseinander und arbeiten in den Proben mit diesem Material. Man geht davon aus, dass die Forschungen im Kopf stattfinden, aber wir arbeiten mit dem gespeicherten Wissen und der Geschichte in Körpern. Im deutschsprachigen Raum ist solch eine Herangehensweise noch nicht so bekannt, wo hingegen in anderen Teilen der Welt schon mit dem Körperwissen gearbeitet wird.
Bei einem Forschungsprojekt will man etwas ermitteln oder herausfinden. Wie läuft das bei euch ab? Schreibt ihr alles mit, oder wie sieht die Forschung genau aus?
Susann: Wir arbeiten zum einen sehr klassisch, also mit klassischer Recherche, und zum anderen arbeiten wir mit den Mitteln der theatralen Verfremdung. Wir dokumentieren unsere Ergebnisse in den Speicherformen, die das Theater bereitstellt: szenische Texte, Sound, Lichtdesign, Video, Kostüm, Bühnenarrangements und Tanzchoreographien. All das findet man in unserem Archiv auf unserer TreuhandTechno-Webseite. Dort finden sich beispielsweise auch Techno-Sounds, die unser Sounddesigner Hans Narva mit seiner Band Narvas schöne Fische für die einzelnen Orte produziert hat. Aber dort können auch Zeitzeuginnen-Gespräche oder Begegnungsformate zwischen Treuhandabgewickelten und Technoakteurinnen und Akteuren eingesehen und gehört werden.
Wo ist denn ganz konkret die Verbindung zwischen Techno und Treuhand?
Susann: An jedem Ort sind die Verbindungen ganz unterschiedlich gelagert. In Apolda erforschten wir zum Beispiel die Abwicklung der Textilindustrie und die gleichzeitige Entstehung von Techno. Wir fanden heraus, dass in den alten Textilfabriken in Apolda Techno-Partys stattfanden. Die Stoffe der abgewickelten Fabriken wurden als Dekor für diese Partys verwendet. Zudem kann man Parallelen zwischen dem Sound von Textilmaschinen und Technomusik ziehen. Die Gesten und Arbeitsbewegungen an den Textilmaschinen waren Rhythmusbewegungen und funktionieren ähnlich wie Bewegungen beim Techno-Tanzen oder Techno-Auflegen.
Welches Fazit nahmt ihr aus Apolda mit? Gäbe es keine Techno-Partys ohne Treuhand?
Anna: Die These „Ohne Treuhand kein Techno“ ist nach unserer Arbeit in Apolda entstanden. Es lässt sich auf jeden Fall sagen, dass es damals einen krassen Aufbruch gab und sich eine neue Welt auftat. In Berlin ist uns dies extrem aufgefallen. Die West-Berliner-Szene hatte große Mietprobleme und die Clubs waren vom Aussterben bedroht – ähnlich wie heute übrigens. Mit dem Fall der Mauer und der Abwicklung der ganzen Betriebe haben sich enorme Räume im Osten geöffnet. Die meisten Clubs in Berlin sind heute im Osten der Stadt zu finden, und das ist auch kein Zufall. Die Räume, die sich öffneten, hatten einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der heutigen Techno-Szene. Regina Baer, die Mitgründerin des legendären Technoclubs „Tresor“, erzählte uns im Interview: „Der Osten war eine große Befreiung für die (West) Berliner Kulturszene.“
Und wie ist die Verbindung in Jena?
Anna: In Jena begleitete uns stark die Frage nach der gesellschaftlichen Atmosphäre Anfang der 90er in der Stadt, in der sich zur gleichen Zeit der NSU formierte. Was hat die enorme Gewalt und ökonomische Krise mit dem Raum des Technos zu tun? DJ Mikk erzählte uns, dass der Techno-Raum anfangs einen Ruhe-Raum darstellte – das finden wir eine sehr spannende Perspektive. Susann: Ich muss sagen, im Vergleich zu den anderen Orten finde ich dort die Verbindungen zwischen Techno und Treuhand in Jena abstrakter. Eine Verbindung ist, wie Anna schon sagte, dass mit Techno ein Ruhe-Raum geschaffen wurde. Das empfinde ich als eine interessante Überkreuzung, weil man Techno meist nicht mit Ruhe, sondern eher mit Krach und Lärm in Verbindung setzt. In Jena findet diese Überkreuzung statt. Der Techno-Raum wird zum Raum der Stille und die Treuhand-Abwicklung schien laut und aggressiv gewesen zu sein. Diese Soundüberblendung nehme ich aus Jena mit. Wir fanden in Jena zudem eine Lichtüberblendung. Jena ist zwar die Lichtstadt, aber im Techno-Club arbeitet man mit Dunkelheit und Strobolicht. Also feiert man dort eher das kaputte, das flackernde, das blitzende und blendende Licht. Ich frage mich auch, was wird mit der Metapher „Lichtstadt“ überblendet.
Jetzt habt ihr mir die Lage in Apolda, Berlin und Jena erläutert. Für mich ist aber noch eine Frage offen: Warum ist gerade Techno damals in diese Rolle gerutscht, um sich als Subkultur zu etablieren?
Wieso keine andere Musikrichtung? Anna: Spannend und wichtig zu sagen ist, dass Techno keine deutsche Erfindung ist, sondern aus der schwarzen Community in den USA kommt. Dort ist es eine Begleiterscheinung der Deindustrialisierung. Das wird in unserem Projekt eine interessante Parallele. Ein weiterer Aspekt ist, dass es im Gegensatz zu den Discos, die es davor gegeben hat, nun endlich dunkle Räume gab, in denen man tanzen konnte wie man wollte. Mit dem Techno entwickelte sich, dass es zwischen den Tracks keine Pausen mehr gab. Eine unendliche Geschichte, in der sich fremde Menschen einen Raum teilten. Auch Vocals im Techno wurden immer weniger.
Susann: Im Technotanzen liegt eine Sehnsucht nach Maschinenwerdung, nach Taktungsbewegung. Auf der einen Seite werden also die ehemaligen VEBs abgewickelt und Maschinen abgestellt, und auf der anderen Seite entsteht in dunklen Räumen, in Kellern ein Sound, eine Maschinenmusik, die diese Sehnsucht feiert und kanalisiert.
Jetzt haben wir schon über die Vergangenheit gesprochen und über das was bereits passiert ist. Wie soll es denn jetzt weiter gehen? Und welche Orte sind noch geplant?
Susann: Dieses Projekt scheint nicht enden zu wollen. Wir bekommen ganz viele Anfragen gehen davon aus, dass wir im Jahr 2022 weiterhin an Treuhand-Techno forschen. Die konkreten Orte, die wir dieses Jahr noch besuchen sind Leipzig und Görlitz.
Anna: Wir gehen Ende Oktober mit einer kleinen Recherchestation nach Leipzig und werden dort Entwicklungen von Druckereien untersuchen. Und wir freuen uns schon darauf, dass wir in Görlitz endlich mal wieder ein richtiges Theaterstück produzieren dürfen. Anfang November sind dafür unsere Theaterproben und wir entwickeln ein Stück, das im Dezember im Kühlhaus in Görlitz aufgeführt werden soll. Im Kühlhaus fanden in den 00er Jahren illegale Raves statt und mittlerweile ist das ein richtig toller Kulturort geworden.
Hard Facts:
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