Awareness. Dieser grobe Begriff taucht in Diskussionen über die Sicherheit von Veranstaltungen immer häufiger auf. Festivals, Demonstrationen, Raves – viele Veranstalter:innen integrieren in ihre Sicherheitskonzepte sogenannte Awareness-Teams. In Thüringen ist der Kalif Storch in Erfurt der einzige Club, der solch ein Konzept ausgearbeitet hat. „Egal, welche Person … Man kann einfach hierherkommen und weiß schon, wenn was ist, wird mir dort geholfen. Ich bin nicht allein, auch wenn ich vielleicht alleine auf eine Party komme. Es gibt immer Ansprechpartner:innen“, so Hubert Langrock, Inhaber des Erfurter Clubs.
„Es geht also ums Bewusstwerden“
Doch wofür steht Awareness eigentlich? Laut Duden sind „Aufmerksamkeit“, „Bewusstsein“, „Achtsamkeit“ oder „Beachtung“ mögliche Übersetzungen ins Deutsche. Es geht also ums Bewusstwerden von übergriffigem Verhalten und Grenzüberschreiten, welche bei Großveranstaltungen wie Demonstrationen oder im Nachtleben leider immer wieder vorkommen. Egal, ob es sich um rassistisch, sexistisch, queerfeindlich oder ableistisch motivierte Taten handelt … Awareness soll diese übergriffigen Handlungen erkennen, im besten Falle vorbeugen, aber auch Aufklärung schaffen und sensibilisieren.
Beim Kalif Storch gab es die Idee für ein Awareness-Konzept schon recht lange, erzählt Hubert. Durch das aktuell insgesamt jüngere Alter des Teams sei sowohl ein viel höheres Bewusstsein für das Thema Awareness entstanden, als auch die Möglichkeit, dies abzudecken. Ein Anstoßpunkt waren Schulungen der „Initiative Awareness“ in Leipzig sowie fortwährende Recherche und das eigenständige Aneignen von Wissen. Bei der Veranstaltung „space2be“, welche der Kalif Storch gemeinsam mit der Erfurter DJ-Crew „cccapsula“, dem Kollektiv „Gruppe Versus“ und dem feministischen Netzwerk „Metaware“ aus Weimar im Oktober 2022 auf die Beine stellte, kam der Ball ins Rollen. Doch dauerhaft im Clubkontext installiert wurde das Thema erst zwei Monate später: „Zum siebten Geburtstag des Kalif im Dezember hatten wir das erste Mal von uns aus dieses Team“, erinnert sich Sarah Wolfram, Leiterin des Awareness-Teams in dem Erfurter Club.
Übergriffiges Verhalten wird nicht geduldet
Sie erarbeitete einen Leitfaden für das Awareness-Konzept, welcher auf das Verhalten aller Anwesenden im Club untereinander abzielt: „Das bedeutet, wir schaffen einen Raum, wo man sich unterstützt oder diskriminierendes oder übergriffiges Verhalten nicht geduldet wird.“ Das Konzept enthält grundlegende Richtlinien sowie konkrete Verhaltensregeln: „Zielsetzung, Grundsätze, allgemein Definitionsmacht mal erläutert, wie wird gearbeitet, Umgang mit konkreten Situationen, Gesprächsregeln …“, zählt Sarah auf. Am Anfang gab es für alle Mitarbeitenden einen eintägigen Workshop, um in das Thema reinzukommen und Standards zu setzen.
„Wichtig auch für alle Personen im Awareness-Team: Nüchtern sein!“
Das Awareness-Team ist der zentrale Baustein des Konzepts und so divers wie möglich aufgestellt. Insgesamt besteht es aus acht Personen, welche alle für diese Arbeit vergütet werden. Während den Veranstaltungen sind vier Mitglieder in Zweierteams unterwegs. Sie gehen auf die Leute zu, stellen Fragen, kommen mit den Feiernden ins Gespräch und leisten damit Aufklärungsarbeit. Wichtig auch für alle Personen im Awareness-Team: Nüchtern sein! Sollten kritische Situationen entstehen, gibt es Rückzugsmöglichkeiten, erklärt Sarah: „Räumlichkeiten haben wir natürlich auch, falls jemand mal aus der Situation rausgenommen werden muss oder es jemandem nicht gut geht. Obst und Versorgung sind natürlich auch Teil des Konzepts.“ Die Arbeit nach innen und die Zusammenarbeit mit der Security seien ebenfalls wichtig. Sie schaut oft proaktiv mit und spricht Leute an, denen es nicht gut geht und die sich selbstständig nicht mehr an das Awareness-Team wenden können. Der sogenannte „first contact“, also die erste Person an der Tür, klärt direkt am Eingang über das Awareness-Team und das Konzept dahinter auf. Denn nicht allen Besucher:innen ist von Beginn an bewusst, was Awareness überhaupt ist.
Wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt, kann der Club auch im Nachhinein per Mail darüber informiert werden. Im besten Fall gibt es noch eine Nachbereitung für die betroffene Person, wenn es um das Einleiten weiterer Schritte nach der jeweiligen Situation geht. Alle Abende werden in Form von Feedback-Bögen protokolliert, sowohl von den Leuten im Bar-Bereich als auch dem Awareness-Team. „Wir treffen uns regelmäßig, besprechen Vorfälle … Wie kann man besser handeln? Wie fühlten wir uns? Wie können wir vielleicht auch etwas verbessern? Auch wir lernen von Veranstaltung zu Veranstaltung mehr dazu“, resümiert Sarah, die so gemeinsam mit ihren Kolleg:innen dem Projekt im Kalif Storch mehr und mehr Kontur verleiht.
„Ich bin nicht allein, auch wenn ich vielleicht alleine auf eine Party komme.“
Zukünftig sollen nicht nur bei Clubnächten, sondern auch bei den Konzerten Awareness-Teams zum Einsatz kommen. Dieser Wunsch werde teils von den Musiker:innen selbst adressiert, erzählt Hubert, der ähnlich wie Sarah das Projekt vorantreibt. Das Konzept steht deshalb bald online bereit, damit es für alle schon vor dem Clubbesuch einsehbar ist. Und für die Mitarbeitenden soll es weitere Schulungen geben. Denn ein singulärer Workshop reiche nicht, um die Thematik abzuschließen: „Es ist ein Prozess, der langwierig sein mag, den wir aber gehen müssen, weil wir in Erfurt und vor allem auch in der Größenordnung in Thüringen die einzigen sind, die sowas anbieten“, so Hubert.
„Aufklärung funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen“
Es gab bereits zwei öffentliche Workshops, an denen sich auch andere Clubs andocken konnten, damit in allen Erfurter Veranstaltungsorten ein Bewusstsein für Awareness geschaffen wird. Und weitere sind in Planung: „Wir wollen vorangehen, sei es beim Thema Awareness oder bei dem Thema Security. Ich glaube, Aufklärung funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Sonst ist alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so Hubert, der unterstreicht: „Wichtig ist, dass alle merken, dass es unerlässlich ist, ein Bewusstsein für diskriminierendes sowie übergriffiges Verhalten zur schaffen und dass Aussagen wie: ‚Das ist halt so‘ einer längst vergangenen Zeit angehören.“
Hard Facts:
- Wo: Kalif Storch: Zum Güterbahnhof 20 | Erfurt
- www.kalifstorch.com | Instagram
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