Noch bis zum 1. Mai ist die Ausstellung „Körperwelten“ in Erfurt zu sehen. Unter der Überschrift „Der Zyklus des Lebens“ wird dort der menschliche Körper im Kreislauf von Entstehen und Vergehen gezeigt. Dreh- und Angelpunkt stellen Plastinate von Menschen dar, die ihren Körper für das Körperspende-Programm des Instituts für Plastination in Heidelberg spendeten. Die Ausstellung nimmt die Besucher:innen mit auf eine Reise, die im wahrsten Sinne des Sprichwortes unter die Haut geht. Doch was macht „Körperwelten“ eigentlich mit den Menschen, die sich die Schau zu Gemüte führen? Mit welchen Gedanken oder Erkenntnissen werden Gäste konfrontiert? Was verursachen plastinierte Körper in den Rezipient:innen? Gibt es da eine philosophische Dimension? Wir besuchten mit Philosophin und Professorin Dr. Bärbel Frischmann, die an der Universität Erfurt lehrt, die „Körperwelten“-Ausstellung, um Antworten auf unsere Fragen zu bekommen.
Die „Körperwelten“-Ausstellungen sind mittlerweile weltbekannt. Haben Sie schon einmal eine solche Ausstellung besucht?
Nein, für mich ist das das erste Mal gewesen, und ich war sehr gespannt auf das, was mich erwarten würde. Von dem Besuch habe ich viele Gedanken und Eindrücke mitgenommen.
„Der Zyklus des Lebens“ heißt das Thema der Ausstellung in Erfurt, bei der der menschliche Körper im Kreislauf von Entstehen und Vergehen im Fokus steht. Es werden plastinierte Körper ausgestellt. Von echten Menschen, deren Lebenszyklus nun zu Ende gegangen ist. Für viele kann dieser Gedanke schwierig sein. Wie empfinden Sie das?
Für mich waren beide Aspekte in der Ausstellung präsent. Zum einen sind da die Körper und Organe, die durch die Bearbeitung etwas Künstliches und Abstraktes bekommen haben. Auf der anderen Seite kam mir doch oft der Gedanke, wer der Mensch gewesen war, dem das Herz oder das Skelett gehörte. Und es ist eine interessante Sache, dass der Körper, der nach dem Tod ja auch schnell verfällt, durch die Plastinierung konserviert werden kann und dadurch den natürlichen Lebenszyklus lange überdauert.
Zu Beginn wird der Prozess erklärt, wie aus einem toten Körper ein Plastinat entsteht. Alles ganz nüchtern und sachlich. Das scheint sinnvoll, weil hierdurch eine Distanz geschaffen wird. Wie beurteilen Sie das?
Ja, das sehe ich auch so. Die Informationen werden ganz sachlich präsentiert, die einzelnen Arbeitsschritte werden gezeigt und erläutert. Man sieht die Konzentration und Ernsthaftigkeit der Mitarbeiter:innen, die die erforderlichen Tätigkeiten ausüben. Damit wird meines Erachtens eine neutralisierende Wirkung erreicht. Aus einem menschlichen Körper oder Teilen von ihm wird ein Ausstellungsobjekt gemacht. Aber dabei bleibt natürlich auch irgendwie ein eigenartiger Beigeschmack, eben diese Objektivierung.
Wo sehen Sie dabei das Problem? Wirft Körperwelten generell Fragen nach Pietät auf?
Es gibt sicherlich verschiedene Probleme, die diskutiert werden könnten. Ich denke da vor allem an moralische Aspekte. Dabei spielt die Frage nach Pietät eine wichtige Rolle. So ist ja ein wichtiger Punkt, ob die Plastinierung die Würde der Verstorbenen angemessen ehrt. Selbstverständlich sind die Körperspenden freiwillig und auch unentgeltlich. Aber dennoch existiert der materielle Rest als Ausstellungsgegenstand weiter. Es steht ja immer die Frage im Raum, was man mit einem menschlichen Körper oder mit einer Leiche machen darf. Je nach Lebensauffassung oder auch Religion kann man das ganz unterschiedlich sehen. Dies zeigt sich auch in anderen Feldern. Wir diskutieren zum Beispiel auch über Organspende, Schwangerschaftsabbruch oder Sterbehilfe. Das hat auch etwas mit dem erlaubten Umgang mit Menschen und ihren Körpern zu tun.
In der Ausstellung gibt es auf der einen Seite wissenschaftliche Informationen zum Körper, zu Präparaten, zur Knochenstruktur, zu Muskelaufbau, Blutkreislauf, den inneren Organen, Gedärm und Geschlecht. Aber zugleich werden die Körper inszeniert und in Pose gebracht wie ein Sportler, eine Tänzerin oder ein telefonierender Mann. Welches Menschenbild wird so in der Ausstellung vermittelt?
In Ihrer Frage ist eine Mehrseitigkeit angesprochen, die in der Ausstellung zu finden ist. Zunächst gibt es natürlich die Intentionen der Ausstellungsmacher:innen und Kurator:innen. Es geht um Wissensvermittlung über den menschlichen Körper und seine Funktionen. Hier wäre der Beitrag zum Menschenbild, dass das Menschsein auf einem entsprechenden materiellen Organismus beruht, den die biologische Evolution letztlich so hervorgebracht hat. Körperlich gesehen sind wir ziemlich ähnlich. Aber andererseits sind wir als Menschen mit ihren Gefühlen, Gedanken, Wünschen, Hoffnungen auch unverwechselbare Individuen. Und dies wird zumindest angedeutet dadurch, dass die Figuren in bestimmte Situationen gestellt werden: das Telefonieren, das Tanzen, die Umarmung. Auch die Gesichter bestehen nicht bloß aus der Muskulatur, sondern sind mit menschlichen Merkmalen wie Augen, Nase, Ohren, Mund, manchmal sogar einem Strang Haare ausgestattet. Das vermenschlicht die unpersönlichen Plastinate auf eine gewisse Weise. Ich habe das so empfunden, dass dadurch mehr Nähe hergestellt wird und man sich vielleicht dadurch stärker angesprochen fühlt, auch hinsichtlich der Reflexion über sich selbst, das Verhältnis zum menschlichen Körper.
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Ganz im Gegensatz zur Objektivierung des Körpers, zu dem auch einmal eine „Seele“ oder ein „Bewusstsein“ gehörte, werden in der Ausstellung oftmals Begriffe oder Zitate benutzt, die fast religiös oder eben nicht rein wissenschaftlich sind. Was meinen Sie, was dieser Kontrast mit den Besucher:innen machen soll?
Diese Zitate sind mir auch aufgefallen. Ich denke, sie tragen dazu bei, eben nicht nur das Materielle der Objekte zu sehen. Ausstellungsstücke sind keine Menschen mehr. Sie sind nur der körperliche Teil von ihnen. Die Lebensprozesse selbst und das Bewusstsein sind mit dem Tod erloschen. Aber sie erst machen zusammen mit dem Körper das Menschsein aus. Als Menschen sind wir fühlende, denkende, träumende, uns sorgende Wesen. Daran erinnern die Zitate, die sehr schön gewählt sind und auch nachdenklich stimmen.
Gegenstand der Ausstellung sind aber die Körper. Das gesamte Ausstellungskonzept heißt ja „Körperwelten“.
Ja, es geht um den Körper mit seinem Aufbau, seinen Strukturen und seinen Funktionen, um das, was man nicht sieht, wenn man nicht gerade Chirurg ist. Es ist sehr beeindruckend, wie im Körper alles ineinandergreift und fein aufeinander abgestimmt ist, aber auch wie verletzlich der Körper ist. Vor allem habe ich mitgenommen, dass das Wunderwerk unseres Organismus faszinierend und schön ist. Jeder Körper ist damit auch so etwas wie eine eigene Welt, eine „Körperwelt“, in der ziemlich viel passiert.
Wenn es nur um reine Wissensvermittlung über den Körper geht, könnte man ja eine solche Ausstellung statt mit Plastinaten einfach mit Plastiknachbildungen gestalten. Was ist das Besondere an den Plastinaten?
Ich denke schon, dass eine gewisse Atmosphäre dadurch entsteht, dass man weiß, dass dies tatsächlich einmal lebendige Menschen waren. Und zu Menschen haben wir ein anderes Verhältnis als zu Dingen.
Bärbel Frischmann ist Philosophin und seit 2009 Professorin für Geschichte der Philosophie an der Uni Erfurt. Die gebürtige Thüringerin studierte Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem der deutsche Idealismus, Existenzphilosophie, postmoderne Philosophie sowie Kulturphilosophie.
Hard Facts:
- Noch bis zum 1. Mai ist die Ausstellung „Körperwelten“ in Erfurt zu sehen.
- Montag bis Freitag: 9 – 18 Uhr | Samstag und Sonntag: 10 – 19 Uhr
- Sa, 29.April bis Mo, 1. Mai: 10 – 21 Uhr
- Wo: Zentralheize Erfurt | Maximilian-Welsch-Str. 6 | Mehr unter Körperwelten
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