Schauspieler und Gefängnisarzt – Joe Bausch hat beides gemacht. Aus den Geschichten, die ihm Gefangene anvertraut haben, entstand schließlich das Buch „Gangsterblues“, das er am 7. März in Gotha vorstellt. Wie ihn der Alltag hinter Gittern bei seiner Arbeit vor der Kamera beeinflusst hat, erzählt Joe Bausch im Gespräch mit unserer Zeitung.
Du warst Anstaltsarzt in einer JVA, nebenbei bist du als Schauspieler bekannt geworden. Wie vereinbar sind Medizin und Schauspielerei?
Das ist natürlich schwer. Als Arzt muss man dafür seine ganze Freizeit opfern. Doch prinzipiell finde ich, beide Berufe haben sehr viel gemein. Ich sage immer, wer mit Menschen nicht umgehen kann und sie nicht gern beobachtet, der kann sie auch nicht gut darstellen. Und dann kann er sie auch nicht heilen, höchstens behandeln. Suggestionskraft brauchen beide Berufe.
Wie wird man Gefängnisarzt? Gab es für dich keine angenehmeren Jobangebote?
Zuvor hatte ich in einer Privatklinik gearbeitet. Das war sehr auskömmlich und schön. Im Gefängnis habe ich mich beworben, um eine zweijährige Weiterbildung in der Chirurgie zu machen. Danach wollte ich eigentlich Urologe werden. Und plötzlich stand ich diesen Menschen gegenüber, die ich zuvor auf der Theaterbühne und vor der Kamera gespielt hatte, nämlich Mörder, Totschläger und Vergewaltiger. Das ist das, was ich zu spielen bekommen habe. Wenn man so aussieht wie ich, bekommt man keine Rolle in der „Sachsenklinik“.
Was hat dich an der Arbeit im Gefängnis gereizt?
Die Arbeit fand ich spannend. Anfangs hatten wir die Frauen der zweiten Generation der RAF für Operationen dort liegen. Dann hatten wir alte Männer, die unauffällig gelebt hatten und plötzlich als Täter in Konzentrationslagern zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Dann kamen die HIV-Positiven, mit denen damals niemand etwas anzufangen wusste. Das waren politisch unheimlich spannende Zeiten. Diese Art zu arbeiten hat mir Spaß gemacht und ich konnte nebenbei schauspielern. Das hätte ich niemals gekonnt, wenn ich mich damals in eine freie Praxis begeben hätte. Doch ich wollte beides.
Hat sich über den Kontakt mit Inhaftierten auch die Art und Weise verändert, wie du Kriminelle spielst?
Na klar. Meine Kriminellen haben immer gesagt, „sorg doch mal dafür, dass wir in den Fernsehfilmen etwas diffiziler dargestellt werden. Wir kommen, sehen böse aus, machen böse Dinge und werden verhaftet – Das ist doch langweilig.“ Ich hatte auch die Gelegenheit, Schauspielkollegen mit ins Gefängnis zu nehmen, wo sie mit Häftlingen ins Gespräch kamen. Das hat bei einigen zu Veränderungen beigetragen, denke ich.
Gibt es Vorurteile über den Knast, die du widerlegen kannst?
Ja, in Deutschland hält sich das Vorurteil, dass Lebenslänglich nur 15 Jahre Haft bedeuten. Das ist natürlich Quatsch. Bei mir saßen die Leute 30, 40 Jahre ein. Mein längster Patient ist vergangenes Jahr im 50. Jahr seiner Haft gestorben.
Du schreibst in deinem Buch, dass manche Häftlinge den Blues schieben, wenn Ihnen die Länge ihrer Haft bewusst wird. Was bedeutet das?
In den ersten Jahren sind viele Häftlinge noch unnahbar und cool. Aber ich habe immer gesagt, früher oder später erwischt es jeden und er schiebt den Blues, wenn er kapiert, was seine Strafe bedeutet. Nach der Urteilsverkündung ist das erstmal abstrakt. Kein Täter kann sich während der Tat vorstellen, dass er dafür lebenslang einsitzen wird. Doch wenn erst einmal ein Drittel der Strafe verbüßt ist und du weißt, der Rest wird noch heftiger, und man wird älter, dann erwischt es jeden. Viele kommen als gebrochene Männer aus dem Gefängnis.
Gibt es für Verbrecher überhaupt ein normales Leben nach der Haft?
Etwa 40 Prozent der Entlassenen werden nicht mehr straffällig. Das schafft das Gefängnis schon, gemeinsam mit der Tatsache, dass die Menschen im Gefängnis altern. Für viele ist die Perspektive nach dem Gefängnis ein Leben mit Hartz IV. Ich würde mir aber auch wünschen, dass sie in Vorbereitung auf die Entlassung lernen, mit Hartz IV zu leben.
Haben sich dir die Häftlinge bereitwillig anvertraut?
Ja, denn sie wussten, ich interessiere mich nicht nur für ihre Befunde, sondern auch für das Leben davor. Wie wird man kriminell? Was macht den Menschen böse? Das ist das, was mich immer interessiert hat, viel mehr als das Spektakuläre an der Tat. Ich frage mich, ist das Genetik, ist es das soziale Umfeld? Weil das die meisten gemerkt haben, konnte ich mich mit ihnen differenziert unterhalten.
Gab es Momente, in denen du eine Strafe nicht nachvollziehen konntest?
Naja, ich bin kein Richter und kein Jurist, ich bin Arzt. Im Knast hätte ich auch nie etwas anderes sein wollen als das. Es gab zum Glück wenige, wo ich mir gewünscht hätte, dass man da noch einmal genauer hinschaut. In meinem Buch schreibe ich auch von einem Menschen, bei dem ich mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehe, dass er unschuldig 20 Jahre im Gefängnis gesessen hat. Aber ich kann zum Glück sagen, dass unser Rechtssystem gut funktioniert.
Triffst du ehemalige Patienten auch außerhalb des Gefängnisses?
Ja, absolut. Ich treffe ständig ehemalige Patienten, ob auf Bahnhöfen oder bei Lesungen. Einige zeigen mir stolz Frau und Kinder. Andere begegnen mir und sagen, es läuft scheiße, es geht nicht mehr lange gut. Wenn sie dann auf mich zukommen finde ich das ok, denn ich unterliege der Schweigepflicht und sie haben sich mir schon einmal anvertraut.
Mittlerweile bist du als Anstaltsarzt pensioniert. Fehlt dir die Arbeit?
Ein Teil der Arbeit fehlt, wie der Umgang mit Patienten. Das kompensiere ich damit, dass ich viel für Lesungen unterwegs bin. Was mir überhaupt nicht fehlt ist, Mitarbeiter motivieren zu müssen, die sich schon lang wünschen, dass sich an den Systemen der Gefängnisse etwas ändert. Doch die Medizin an sich hat mir immer Spaß gemacht.
Was erwartet das Publikum deiner Lesung in Gotha?
Ganz einfach: eine spannende Lesung, bei der es Spaß macht, zuzuhören. Das ist immer mein Anspruch. Manche Zuschauer kommen, weil sie mich als Knastarzt kennen, manche kennen mich aus dem Fernsehen. Ich möchte, dass sie aus der Lesung gehen und sagen können, ich habe etwas Neues erfahren und ich habe auch mal gelacht.
Hard Facts
- Wann: 7. März | 20 Uhr
- Wo: Kulturhaus Gotha
- Tickets: www.ticketshop-thueringen.de
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