Kunst und Kaffee – Passt das denn zusammen? „Na klar, das ist eine super Sache, die perfekte Kombination!“ sagt Julia Sophia Neundorf, Inhaberin des Atelier Reservoir in Erfurt. Neben künstlerischen Arbeiten wie Malereien, Photographien und Skulpturen wird hier auch hochwertiger Kaffee und veganes Gebäck serviert. Wir haben mit Julia über ihr Atelier, das Café und die Zeit mit und nach Corona gesprochen.
Wie bist du zur Kunst gekommen? Gab es einen bestimmten Schlüsselmoment oder warst du schon immer kunstinteressiert?
Es gab tatsächlich einen sehr persönlichen Schlüsselmoment. Ich hatte in meiner Kindheit einen sehr schweren Unfall, dabei wurden meine ersten drei Halswirbel um 45 Grad verdreht. Es war nicht sicher, ob ich jemals wieder gehen kann. Mein Leben stand auf dem Spiel. Ich war immer ein sehr lautes, turbulentes und dickköpfiges Kind gewesen, nach dem Unfall war ich dann für ca. ein Jahr komplett von Kopf bis Fuß eingegipst. Das machte mich zu einer anderen Person, geduldig und ruhig. Viele Menschen, die mich so sahen, waren besorgt und haben mich bemitleidet, fühlten eine gewisse Traurigkeit und meinten: „Och Gott, was ist dir zugestoßen, das sieht ja schlimm aus mit dem Gips!“
Das fand ich anstrengend und entschloss ihn anzumalen, um von dem eigentlichen Zustand meiner Selbst abzulenken. Das machte etwas mit den Menschen. Sie sagten plötzlich: „Sieht das schön aus. Hast du das bemalt?“ Als der Gips dann abkam und ich wie durch ein Wunder wieder gehen konnte, war auch die Leidenschaft zur Malerei geboren. Ich nahm früh an Wettbewerben teil und gewann Einige. Meine Kunstlehrer förderten mich in dieser Zeit. So hat sich der Weg als Künstlerin zu arbeiten schon in meiner Kindheit angebahnt. Auch wenn es noch lange gebraucht hat, bis ich das auch selbst verstand und annahm.
Du hast ein kleines Atelier in Erfurt, in dem du deine aber auch andere Werke ausstellst. Wann hast du dein Atelier Reservoir eröffnet und wie kam es dazu?
Ich eröffnete das Atelier letztes Jahr in Joschis altem Plattenladen, mit der Idee im Kopf, dass man kreativ wird, ausstellt, gleichzeitig aber auch einen befruchtenden Austausch zwischen Menschen stattfinden lässt und dass man ihnen die Möglichkeit gibt, sich in allen möglichen Formen auszuleben. Vor allem Menschen, die sich Kunst nicht leisten können, wollte ich einladen. Daher entstand die Idee vom „offenen Atelier“, dass man die Materialien auch frei zugänglich nutzen kann.
Das Wort „Reservoir“ steht für einen großen Behälter oder Tank. Wieso hast Du dich für diesen Namen für dein Atelier entschieden?
Im Umgangssprachlichen Französischen ist ein „Reservoir“ eine Ansammlung. Für mich steht das Wort für einen Topf, in dem viele Ideen und Erlebnisse schwimmen, die man miteinander teilen und verarbeiten kann. Es ist eine Sammlung von vielen Inspirationen.
In deinem Atelier ist jetzt auch ein Café eingezogen. Was macht das Atelier-Café besonders?
Jakob Zwiebler, sozusagen mein Partner, hat die „Brühgruppe“ bei mir im Atelier gegründet und bereitet den Kaffee zu. Immer von Mittwoch bis Samstag von 9 bis 17:30 Uhr öffnen wir. Das ist etwas ganz Besonderes, weil es in Erfurt wenig Atelier-Cafés gibt. Jakob ist ein wirklicher Kaffee-Nerd. Er bestellt wöchentlich andere hochwertige, ganz besondere Kaffeebohnen, die handgeröstet werden. Wir arbeiten auch nur mit Speciality Kaffeebohnen und bieten zum Kaffee immer veganes Gebäck an. Ich finde die Kombination aus Kaffee und Kunst einfach schön. Der Genuss und die Liebe zur Ästhetik sind für mich sehr ähnliche Empfindungen.
Du sagst: „Ich kann nicht malen – gibt es nicht“. Wie würdest du Menschen überzeugen, die eventuell doch so denken?
Ich denke, dass viele durch das ständige Bewerten im früheren Kunstunterricht Blockaden haben. Ich bin kein Freund vom Bewerten und versuche immer auf eine natürliche Art zu erklären, dass Malen etwas Inspirierendes und Heilsames ist. Das kann auch Kindermalerei sein. Viele die denken, sie können nicht malen und sich dann doch trauen, überraschen mich immer wieder. Vor allem ältere Menschen schaffen oftmals Wow-Momente. Es kommen immer schöne und einzigartige Kunstwerke raus. Ich bin eine Vertreterin von Arno Stern. Er hat als erstes den Malort und das Malspiel als Beruf erfunden. Das war meine Inspirationsquelle. Da kommen Menschen zusammen, egal ob jung oder alt, und malen, ohne einen Bewertungsgedanken dahinter zu haben. Genau das möchte ich hier im Atelier präsentieren und den Konkurrenzgedanken der heutigen Gesellschaft wegnehmen.
Du arbeitest viel mit Kindern zusammen, verwirklichst Projekte und Ideen mit ihnen. Siehst du es als deine Aufgabe, Kindern Kunst näher zu bringen?
Ja, total. Aber ich gebe jedem eine Chance. Kinder brauchen viel Unterstützung oder Anweisung, wie man bestimmte Dinge benutzt und mir ist aufgefallen, dass es Studenten oder Abiturienten nicht anders geht. Ich legte das „offene Atelier“ zwar auf Kinder aus, die Erfahrung zeigt jedoch schnell, dass ganz viele Altersgruppen an Kunst Spaß haben und dabei auch gerne unterstützt und begleitet werden wollen.
Können sich die Leute dann einfach bei dir im Atelier melden und einen Termin vereinbaren?
Das „offene Atelier“ hat immer Donnerstag von 14 bis 19 Uhr geöffnet, man kommt also einfach rein. Wir haben das im letzten Jahr so vereinbart, dass wir immer nur fünf Personen rein ließen oder verlegten alles nach draußen. Man kann solange bleiben wie man möchte, oder in der nächsten Woche wiederkommen und weiterarbeiten. Ich dokumentiere auch alles fotografisch und arbeite deshalb derzeit an einem Buch – einer Dokureihe übers letzte Jahr. Etwas anderes bleibt mir zurzeit nicht übrig, eigentlich war eine große Endausstellung der Arbeiten im Retronom geplant.
Du hast von Mai bis Dezember das Projekt „Miteinander Füreinander“ ins Leben gerufen. Könntest du kurz erklären, um was es in diesem Projekt ging?
Es geht mir darum die schnelllebige Zeit in der wir leben, zu entschleunigen. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem man sich Miteinander und vor allem Füreinander kreativ einsetzt und austauscht. Ein Ort, an dem die Vielfältigkeit und das Individuum wieder nach vorne tritt. Gleichzeitig schaffen wir einen Kulturort für Künstler und Musiker. Künstler mit wenig Erfahrung unterstütze ich, indem ich ihnen eine Fläche zum Ausstellen gebe und sie dabei berate. Ich supporte aber auch Künstler, wie zum Beispiel Minetta, Rosa Hoelger, Wukovski, das Bagage Label oder Veit Gossler. Eben alles das gerade noch in den Kinderschuhen steckt und eine Präsenz nach außen in meinen Augen verdient hat. Gleichzeitig erweitere ich mein Erfahrungsspektrum und etabliere mich mit meinen eigenen Arbeiten in der Stadt.
Hast du vor noch weitere solcher Projekte anzustoßen?
Das Projekt „Miteinander Füreinander“ habe ich jetzt wieder für die Projektförderung eingereicht. Das Atelier hat sich im letzten Jahr einfach so sehr etabliert, als Ort der kulturellen Begegnung. Das war großartig zu sehen und zu beobachten, wie schnell immer mehr kreative Menschen ihre Ideen teilen und verwirklichen wollten. Diese Idee war und bleibt eine Herzensangelegenheit, deshalb würde ich mich total freuen, wenn es dieses Jahr auch wieder gefördert wird. Leider wissen wir alle noch nicht, wie viel Kulturgelder dieses Jahr in den Pott kommen, wie und wann es ausgezahlt wird. Ich habe selbst auch eine Spendenaktion für das Atelier ins Leben gerufen und bin sehr dankbar, dass viele Leute spenden und schon Einiges zusammengekommen ist. Ich freue mich, dass man mit diesem Geld dann im Mai oder Juni, wenn sich die Lage gebessert hat, wieder auf machen kann.
Hat Corona deine künstlerische Arbeit vermehrt erschwert und beeinträchtigt?
Es hat es schon erschwert, da ich ein Mensch bin, der gerne reist. Ich bin gerne unterwegs und brauche meine Zeit, in der ich einfach mal raus bin, mich inspirieren lasse. Ich war beispielsweise schon für sehr lange Zeit zu Fuß auf dem Jakobsweg unterwegs, bis Santiago de Compostela. Das war unglaubliches Futter für die kreative Seele. Da man aber zurzeit nur in einem „kleinen“ Radius unterwegs sein darf, fühle ich mich an manchen Tagen, als wenn ich ein Brett vorm Kopf habe und nicht frei genug, um zu malen. Ich bin eine Künstlerin, die nicht nach Vorlage oder Modell malt, sondern rein aus der Fantasie heraus. Das ist zurzeit etwas schwierig.
Ziehst du trotz dessen etwas Positives aus der Situation?
Es ist Zeit da. Man kann seine Ideen sammeln und speichern. Man versucht durch diese Zeit auch die Künstlerkontakte zu pflegen und ein Netzwerk aufzubauen. So kann man in Kontakt bleiben und hören wie es den anderen geht, wie sie mit der Situation umgehen und wie man dem Ganzen entgegenwirken kann.
Was möchtest du im Jahr 2021 noch alles auf die Beine stellen?
Wir möchten auf jeden Fall wieder bei „Gold statt Braun“ mitmachen. Ich will mehrere Ausstellungen im Atelier kuratieren und natürlich auch das „offene Atelier“ weiterbetreiben. Ansonsten wünsche ich mir für uns alle und für die Kultur, dass es bald wieder mehr Raum um Platz zum Entfalten gibt.
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Hard Facts:
- Webergasse 25 | Erfurt
- Öffnungszeiten Café: Mi-Sa | 9 bis 17:30 Uhr
- Atelier Reservoir auf Facebook
- Atelier Reservoir auf Instagram
- Hier findest du weitere Infos
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