Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Hubert Langrock vom Kalif Storch in Erfurt
In unserer neuen Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Hubert Langrock vom Kalif Storch in Erfurt. Der Szene-Klub ist eine wichtige Instanz im Thüringer Nachtleben, bietet von Kleinkunst über Konzert bis hin zu alternativen Tanzabenden alles, was das Ausgeh-Herz begehrt.
Wie ist jetzt bei euch die aktuelle Lage?
Derzeit hängen wir aufgrund der finanziellen Situation und der Perspektivlosigkeit sehr in den Seilen. Wir wissen nicht, wann es weitergeht. Wir könnten natürlich jedes Event von Woche zu Woche verschieben, aber es ist ja weder absehbar, ob es im Mai weitergeht oder erst später. Kann man im Sommer vielleicht kleinere Events machen oder gar nichts – keiner weiß es. Beim Kalif Storch gestaltet sich alles zu einer Hängepartie, weil der Unterschied zwischen uns und vielen anderen Kulturlandschaften ist, dass wir kein gemeinnütziger Verein oder eine Organisation sind. In Thüringen soll es ja ein gesondertes Paket für Letztere geben und da fallen wir als GbR raus.
Die von der Politik versprochenen 10.000 oder 15.000 sind natürlich gut, aber ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das ist eine Einmalzahlung. Damit komme ich vielleicht über den April, aber nicht über Mai, Juni, Juli und wer weiß, wie lange das geht. Ich verstehe, dass jetzt keiner vom Robert Koch Institut oder der Regierung sagen kann: „Ok, im Mai geht es weiter.“ Es hat keiner eine Glaskugel, mit der er in die Zukunft schauen kann. Trotzdem ist das für uns die größte Schwierigkeit. Zudem wurde gesagt, dass Klubs und die Kulturlandschaft nicht direkt systemrelevant sind. Addiert man diesen Fakt mit der Tatsache, dass wir Veranstaltungen mit Hunderten von Menschen organisieren müssen, um die Kosten zu decken, sehe ich schwarz.
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Hast du Angst vor dem Virus? Wirtschaftlich und gesundheitlich gesehen?
Was heißt Angst. Ich habe keine Angst vor dem Virus und ich habe auch keine Angst vor den wirtschaftlichen Konsequenzen. Von den wirtschaftlichen Konsequenzen werde ich nicht sterben. Aber wir sind alle daran interessiert, das Projekt „Kalif Storch“ nicht sterben zu lassen. Wir haben den Klub in den letzten fünf Jahren mit viel Herzblut aufgebaut. Es wäre schade, wenn das jetzt wegen so einer Nummer dahin sein soll.
Man macht sich Gedanken, wie es weitergeht. Ich kann natürlich Finanzgeber oder Getränkehändler anpumpen und fragen: „Könnt ihr uns Geld geben und wir stottern das dann ab.“ Oder wir holen uns einen Kredit. Aber das ist für mich die letzte Möglichkeit, weil wir den Kredit dann über Jahre wieder abstottern müssen. Wir leben hier nicht in Saus und Braus. Wir müssen Rechnungen aufschieben, Kosten, die wir gerade nicht decken können. Wenn ich mir dazu einen Kredit hole, den ich eh kaum abbezahlen kann, stehe ich in einem Jahr vor dem Abgrund. Somit überlebe ich vielleicht Corona, aber nicht die Krise.
Wer weiß, wie sich das ganze Weggeh-Verhalten, die ganze Offenheit gegenüber Kultur und die Wertschätzung danach verändert. Vielleicht kann es eine Chance sein, weil mehr Wertschätzung für Kultur entsteht. Es kann aber auch einfach bedeuten, dass ganz viele Bedenken haben, auf eine große Party zu gehen. Keiner weiß, was danach ist – gehen die Leute mehr weg, geben die Leute mehr Geld aus, gehen weniger Leute weg, gibt es mehr Homepartys oder treffen sich die Menschen dann lieber in der Kneipe? Keine Ahnung. Keiner kann einschätzen, was passiert, weil das noch keiner so erlebt hat.
Welche Posten müsst ihr weiterhin tragen?
Mietzahlungen – wir sind Mieter beim Zughafen und der Zughafen ist Mieter bei der Stadt. Da gibt es noch keine Klärungen, wie das gezahlt werden muss. Dann haben wir normale Steuerzahlungen, auch das versuchen wir so weit wie möglich runterzusetzen. Aber es ist unklar, ob wir das stunden können. Am Ende müssen alle schauen, wie sie an Geld kommen. Dementsprechend gibt es wenige Zugeständnisse. Aktuell haben wir die meisten Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Aber den Lohn müssen wir trotzdem erst mal bezahlen. Wir haben Versicherungen und offene Rechnungen – das geht über DJ-Technik, Getränke usw.
Also sind Miete, Personal und Instandhaltung die größten Kosten?
Genau. Nebenkosten, Versicherungen, Personal und Rechnungen aus der Vergangenheit. Aber nicht nur das. Wir müssen ja irgendwie weiter planen. Ich spreche derzeit trotzdem mit Künstlern oder Agenturen über Termine für den Herbst. Es bringt mir ja nichts, wenn ich im Oktober dann dastehe und alle sagen: „Wir sind jetzt leider ausgebucht“. Da wollen die Agenturen im besten Fall auch schon Geld vorab, damit sie weiterleben können.
Es gibt Angebote von der Regierung und ihr habt auch bereits ein Crowdfunding gestartet. Was habt ihr denn bisher für Mittel abgerufen und was gibt es für Ideen, um die Zeit zu überbrücken?
Wie bereits gesagt, wir haben wir Crowdfunding bei „www.startnext.de“ gestartet. Zudem gibt es für die Streaming-Aktionen, die wir mit der E-Burg, dem Kickerkeller, dem Retronom und so weiter machen, auch einen Spendenlink. Das ist dann jeweils für die einzelnen Streams. Förderung haben wir auch beantragt. Das ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zudem sind wir mit verschiedenen Getränkelieferanten im Gespräch, um Deals auszuhandeln. Viele sind daran interessiert, dass der Kalif als Kunde weiterhin besteht.
Auf Regierungsebene ist es eher schwierig, auf mehr zu hoffen. Gerade in Thüringen. In Großstädten wie Berlin existiert eine viel größere Community, die alle viel besser vernetzt sind. Da gibt es Initiativen und andere Möglichkeiten als hier. In Berlin ist die Akzeptanz für die Party- und Klub-Szene auch höher als in Thüringen.
Aber es ist ja trotzdem wichtig, dass solche Clubs wie ihr existieren. Es gibt ja junge Menschen, die dieses Angebot wollen. Und wenn das nicht da ist, geht der Nachwuchs weg.
Natürlich, das auf jeden Fall. Aber diese Diskussion haben wir seit mehreren Jahren, auch unabhängig von Corona. Das ist nichts Neues. Man stellt jetzt eben nur drastischer fest, wie wichtig Kulturschaffende sind und wie schwierig es für sie ist, überleben zu können. Wir schmeißen nicht mit Geld um uns, sondern arbeiten immer an der Existenzgrenze. Alles, was wir erwirtschaften, wird reinvestiert. Ohne Einnahmen ist das extrem schwierig. Da wäre es natürlich schöner, wenn wir andere Förderung oder Unterstützung bekämen. Die Kultur ist derzeit am meisten betroffen. Jedoch scheint sie auch das zu sein, worauf am ehesten verzichtet werden kann. Für uns ist das natürlich Gift.
Hast du Tipps, um das Beste aus der Lage zu machen?
Es wäre jetzt ein sehr, sehr guter Zeitpunkt, um Ausbauten vorzunehmen. Was wir auch bedingt machen. Natürlich immer im Rahmen der Vorschriften. Aber jetzt ist auch nicht mehr das Geld vorhanden, um umzubauen. Wir können zwar mit dem, was wir noch alles im Lager haben, ein bisschen arbeiten, aber wenn das dann aufgebraucht ist, liegt alles brach. Zudem versuchen wir mit anderen Klubs, Organisatoren und Kulturschaffenden regelmäßig Streams zu veranstalten. Das ist für uns aber auch ein gewisses Risiko. Denn wenn jemand kommt und sagt, der Mindestabstand bei einer Übergabe von DJ zu DJ wurde nicht eingehalten und wir dann 5000 Euro Strafe zahlen müssen, wäre das ein Fiasko.
Wir hatten beim ersten Stream mit der Engelsburg schon die Situation, dass jemand beim Ordnungsamt angerufen und sich beschwert hat, dass da drei oder vier Leute zu sehen waren. Ich kann es mir nicht erlauben, den Leuten so etwas anzubieten, sie zu bespaßen und im gleichen Atemzug angeschwärzt zu werden.
Ohne die Streams können wir nichts weiter machen. Wir sind keine Lieferanten oder so. Und wir können auch keine Mixtapes für zu Hause anbieten. Wir haben zwar Künstler, aber wir sind keine Künstler. Wir versuchen das mit den Streams aber weiter, um uns in Erinnerung zu rufen und gleichzeitig um Unterstützung zu bitten. Zu Ostern wird es einen 24h-Stream geben – von Live-Musik über DJs mit Hip Hop, House und vieles mehr. Wir stehen eng mit der Engelsburg in Kontakt und überlegen uns gemeinsam, was wir den Leuten anbieten können, um die Zeit für die Menschen entspannt und schön zu gestalten.
Was würdest du dir jetzt konkret wünschen?
Am besten wäre eine Äußerung zu einer ungefähren Tendenz, wie man von dem Shutdown wieder zurückkommt. Was sind die nächsten Schritte, damit Kulturschaffende für das kommende Jahr planen können? Jeder hängt in der Luft. Alle warten darauf, was die Festivalveranstalter sagen. Wann machen Bars und Cafés wieder auf? Ewig können wir nicht durchhalten. Vor allem nicht, wenn wir nicht wissen, wie es weitergeht.
Eine Vorschau für eine Wiedereingliederung wär gut – und eine zweite Förder-Runde. Ich denke, dass wir für Erfurt wichtig sind. Das gilt natürlich auch für Engelsburg, Retronom, Franz Mehlhose und so weiter. Eine lokale Unterstützung wäre noch mal gut. Nicht auf Bundesebene, sondern auf Kommunalebene. Wenn der Bund 135.000 Kulturprojekte überprüfen muss, wird das natürlich sehr schwer.
Wie soll es nach der Krise für dich und dein Geschäft weitergehen?
Im besten Fall geht es so weiter wie vorher. Wir setzen die Partys und Konzerte um, die wir geplant haben. Mit vielen haben wir eine Kooperation und Veranstaltungen zusammen organisiert. Die würde ich einfach gern umsetzen können und den Klub wieder auf die Beine stellen. Momentan ist ja alles runtergefahren. Wir sind quasi im Winterschlaf.
Denkst du, das alles kann etwas Positives bringen?
Definitiv. Ich finde, je schlimmer so eine Krise ist, umso mehr erfreut man sich danach wieder an den Dingen, die einem verwehrt geblieben sind. Ich hoffe, dass die Menschlichkeit, die Solidarität und dieses Wir-Gefühl bleibt – natürlich auch hinsichtlich der Veranstaltungs- und der Klubkultur. Dass diese einfach wieder eine größere Akzeptanz erhält.
Die Leute beschweren sich sehr gern, egal wie sehr man sich anstrengt. Ich hoffe, dass die Menschen danach etwas dankbarer sind, dass es uns gibt. Damit meine ich nicht, dass man jeden Tag eine Party hat, sondern dass man sich darüber freut, dass es Leute gibt, die für andere das Leben ein bisschen bunter gestalten wollen. Die Menschen sollen einfach wieder mehr Mensch sein und nicht konsumorientiert. Sie sollen wieder mehr Freude, mehr Zeit und mehr Natur genießen.
Gibt es noch etwas, dass du sagen willst? Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?
Ich hoffe, dass die Leute das als Chance sehen, dass die gestiegene Menschlichkeit und Solidarität bleibt.
Ihr seid Kulturakteur oder kreativer Einzelhändler in Thüringen und wollt mit uns über euer Leben in der Krise sprechen? Schreibt uns mit dem Betreff “Kultur Shutdown” an: f.dobenecker@mediengruppe-thueringen.de
Hard Facts:
- Wo: Zughafen Erfurt
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