Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Sebastian Franke vom Safer-Nightlife-Projekt „Drogerie“ aus Erfurt
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Sebastian Franke, dem stellvertretenden Leiter des Präventionszentrum in Erfurt. Das Drogerie-Projekt ist ein Projekt zur akzeptierenden Drogenprävention. Sie sind unter anderem auf Electro-Partys und Raves in Thüringen und darüber hinaus vertreten, um Drogenaufklärung sowie Prävention zu leisten – und zwar direkt vor Ort.
Wie ist eure aktuelle Situation?
Wir sind natürlich keine Kulturschaffenden, das muss ich auch ganz klar sagen. Aber da wir auf verschiedensten Musikveranstaltungen vertreten sind, sind wir jetzt natürlich, was das ganze Projekt angeht, von dem Shutdown stark betroffen. Wir richten uns ganz konkret an Menschen, die in ihrer Freizeit Drogen konsumieren. Das wirkt sich so aus, dass wir aktuell keine Veranstaltungen besuchen können, um Menschen zu erreichen. Diese müssen nicht zwingend ein Suchtproblem durch ihr Konsumverhalten haben. Dennoch gibt es viele Freizeit-Drogenkonsumenten, die nur ein gefährliches Halbwissen über Konsumformen und Wirkungsweisen haben, wodurch nicht wenige gesundheitliche Risiken bestehen.
Wir versuchen im Partykontext diese Menschen zu erreichen und klären über risikohaften Konsum auf und darüber, dass es auch einen weniger riskanten Weg gibt, Rauscherfahrungen zu machen. Den der „harm reduction“, der Schadensminimierung. Wenn man sich dazu entscheidet, Drogen zu konsumieren, ist es wichtig, genau darüber Bescheid zu wissen, wie, wann und was konsumiert wird. Die Faustregel „Weniger ist mehr“ trifft hier auf jeden Fall zu. Außerdem ist von der Kombination von unterschiedlichen Substanzen immer abzuraten.
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Wie läuft das vor Ort auf Partys ab?
Wir bauen einen Infostand mit Chillout-Bereich auf der jeweiligen Party auf. Meistens an einem Weg, der gut zu erreichen ist, aber sich nicht direkt neben der Bühne oder so befindet. An einem Ort, der ein bisschen ruhiger gelegen ist. Hier können wir uns mit Interessierten in Ruhe austauschen. Wir gehen auch nicht auf die Partybesucher zu, im Gegenteil, die Leute kommen direkt zu uns.
Habt ihr, jetzt da die Veranstaltungen wegfallen, einen Plan B?
Wir versuchen gerade jetzt in der Zeit auf Onlineangebote umzustellen und eine Online-Beratungsmöglichkeit zu schaffen. Das ist aber keine klassische Online-Beratungsstelle, sondern wir versuchen für unsere Zielgruppe eine Möglichkeit zu schaffen, sich direkt über Fragen bezüglich Wirkungsweisen von Substanzen, Safer Use und Konsumreflexionen auszutauschen. Wir wollen innerhalb von 48 Stunden auf die jeweiligen Fragen eine fachlich fundierte Antwort garantieren. Dieser Austausch kann natürlich auch ein erster Schritt ins Hilfesystem sein. Die Online-Beratung soll jetzt in den nächsten Wochen und Monaten, sobald die Zuwendung vom Land da ist, initiiert werden.
Wie schätzt ihr die Situation bezüglich des Konsums von Drogen aktuell ein?
Ein ganz großes Problem ist aktuell, dass wir nicht wissen und niemand genau abschätzen kann, wie sich das Konsumverhalten von Menschen ändert, gerade jetzt in Zeiten des Shutdowns. Konsumieren die Menschen, welche vorher im Partykontext konsumiert haben, genauso weiter wie vorher? Oder verändert es sich dahingehend, dass nun auf ganz andere Substanzen zurückgegriffen wird? Hat das konkrete Auswirkungen auf den Schwarzmarkt, was Drogen angeht? Also sind jetzt andere Substanzen verfügbar oder werden Substanzen jetzt vielleicht eher gestreckt? Wird das Risiko höher für konsumierende Menschen, die sich die Substanzen besorgen? Werden weitere Wege in Kauf genommen oder werden größere Mengen an Stoff transportiert?
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Um in gewisser Weise eine Art Vorsorge zu treffen, sollte es längerfristig Engpässe geben. Das sind alles spekulative Gedanken, die aber von allen Safer-Nightlife-Projekten diskutiert und untersucht werden. Es gibt momentan eine große europaweite Befragung von den Projekten Sonar Berlin, Modus Vivendi aus Brüssel, the loop aus England und Crew Mind Altering aus Schottland.
Diese Projekte untersuchen mit einem mehrteiligen Fragebogen, was sich da jetzt konkret ändert. Und da müssen wir uns natürlich ganz konkret darauf einstellen. Bis da Ergebnisse vorliegen wird es noch eine Weile dauern, aber das muss jetzt in der Zeit relativ dynamisch und schnell passieren, dass wir dementsprechend reagieren können. Das betrifft gerade auch Menschen, die ein sehr gefährdetes oder risikobehaftetes Konsumverhalten haben und jetzt noch in die Lage kommen, dass ganz viel Unsicherheit damit einhergeht, wie es persönlich im Leben weitergeht.
Wie läuft das jetzt ganz aktuell, wenn keine Partys stattfinden? Ihr könnt nicht vor Ort sein. Wie sind die Möglichkeiten mit den Leuten in Verbindung zu treten?
Es besteht natürlich immer die Möglichkeit uns per Mail zu kontaktieren (drogerie@sit-online.org), über unsere Webseite mit uns in Kontakt zu treten, über Facebook oder über Instagram. Auf unseren Social-Media-Kanäle sind wir auf jeden Fall erreichbar. Wir haben auch noch mehr Ideen in der Schublade, die wir verfolgen wollen. Wir haben überlegt, ob wir eventuell einen unregelmäßig erscheinenden Podcast über die Drogerie zu verschiedensten Themen umzusetzen, mit Veranstaltern und Kulturschaffenden im Raum Thüringen, aber auch mit Partybesuchern und Menschen, die Drogen konsumieren. Wie man mit dem Shutdown umgeht und was das für Auswirkungen hat auf die Partyszene und auch auf konsumierende Menschen. Das ist eine Überlegung, die wir gerne umsetzen wollen.
Wer fördert das „Drogerie“-Projekt?
Gefördert wird das Projekt vom Thüringer Gesundheitsministerium. Wir sind ein über Landesmittel gefördertes Projekt und Teil der „Suchthilfe in Thüringen“, das ist ein gemeinnütziger Träger der Suchthilfe. Man muss sich das so vorstellen, dass das Land Thüringen die Mittel an den Träger gibt und dieser finanziert damit das Projekt.
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Habt ihr schon Unterschiede bei der Nachfrage festgestellt im Gegensatz zu vor der Krise?
Es hat sich auf jeden Fall was im Konsumverhalten geändert, aber man kann es eben noch nicht genau mit Zahlen belegen. Was sich verändert hat bei Menschen, mit denen wir in Kontakt stehen, ist die Art des gemeinsamen Feierns. Vieles findet mittlerweile online statt. Da man so natürlich die Möglichkeit hat, sich trotz Social Distancing zu treffen und gemeinsam zu feiern. Man sitzt gemeinsam auf den eigenen Sofas und trinkt und raucht zusammen. Außerdem greifen nun vermehrt Konsumenten auf andere Substanzen zurück, die nicht unbedingt als Standardpartydroge gelten. Wir vermuten, dass mehr mit Downern und Halluzinogenen experimentiert wird.
Hast du noch Tipps, um das Beste aus der Lage zu machen?
Natürlich weiter optimistisch bleiben, sich an die Maßnahmen der Eindämmung halten, das ist ganz klar. Denn je besser diese Eindämmung funktioniert, desto besser kann man es letztendlich auch kontrollieren und hat jetzt die Möglichkeit andere Wege zu gehen, die einem vorher nicht zur Verfügung standen. Gerade was Onlinekommunikation angeht. Man kann sich nur dynamisch auf die Situation einstellen und anpassen und das Bestmögliche, was einem jetzt zur Verfügung steht, nutzen.
Wie soll es nach der Krise weitergehen? Sollen die jetzigen Initiationen bestehen bleiben?
Ja, das soll auf jeden Fall weiter bestehen bleiben. Das wäre ja schade, wenn es nur so ein Schnellschuss ist für die Zeit jetzt. Alles, was jetzt entsteht, was noch darüber hinausgeht an digitalen Inhalten, die entwickelt werden und gerade der Weg der Digitalisierung in unserer Arbeit, der Suchtprävention, aber auch in der Suchthilfe, sollte weiter in Zukunft eine Rolle spielen.
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Wir haben dieses Jahr in Thüringen eigentlich 20-jähriges Jubiläum, dass wir mit einer Fachtagung begehen wollten, mit einer Jubiläumsveranstaltung, die wir jetzt schweren Herzens auf 2021 verschieben müssen.
Gibt es noch etwas, dass du sagen möchtest?
Das Beste ist natürlich einfach optimistisch zu bleiben, in die Zukunft zu schauen, aber natürlich trotzdem auch sich Acht zu geben. Das ist die Hauptsache. Und nicht zu verzweifeln, ich glaube, das hilft im Moment niemanden weiter, auch wenn es sehr schwer ist das in die Praxis umzusetzen, aber ja. Einfach positiv denken.
Hard Facts
- Auch wenn Veranstaltungen aktuell ausfallen, ist das „Drogerie“-Projekt weiterhin für euch da
- Ihr könnt das Team über Facebook, Instagram und die Webseite erreichen
- Kontakt per Mail: drogerie@sit-online.org
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