Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Katharina Babich und Oliver Schubert vom Café Wagner in Jena
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Katharina Babich und Oliver Schubert. Das Café Wagner ist aus der Jenaer Kulturszene nicht mehr wegzudenken. Neben Konzerten und Partys finden auch Theater-, Kino- und Literaturveranstaltungen statt. Tagsüber bietet das Café eine Rückzugsmöglichkeit aus dem Alltag bei einem gemütlichen veganen oder vegetarischen Mittagsmenü.
Seit dem 15. Mai dürfen Gaststätten wieder öffnen. Seid ihr auch dabei oder bleibt ihr vorerst weiter Straßenverkauf?
Wir haben uns gegen eine Öffnung unserer Räumlichkeiten für unsere Gäste entschieden. Der Straßenverkauf läuft unter dem Namen „Pandemieverkostung“, bei dem wir von Montag bis Freitag zwischen 11 und 14 Uhr unsere Speisen als „Take-Away“-Variante anbieten. Das hat folgende Gründe: Die Datenerfassung der Gäste betrachten wir kritisch. Denn obwohl der Grund dieser Maßnahme nachvollziehbar ist, steht er mit unseren Idealen allerdings nicht in Einklang. Zudem greift der ermäßigte Steuersatz für den Verzehr von Speisen an einem unserer Tische erst ab dem 1. Juli.
Wie ist eure aktuelle Lage? Veranstaltungen sind ja bis Ende August trotzdem nicht möglich.
Die Kulturarbeit ruht bis auf Weiteres. Die Angestellten des Wagner e. V. sind auf Kurzarbeit weiterhin beschäftigt. Wir hoffen darauf, dass wir im Spätsommer noch einige Veranstaltungen in unserem Garten durchführen können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Abstandsgebot und die Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden, ohne diese Vorkehrungen in Frage zu stellen.
Erst nach einer Aufhebung kann ein Kulturevent kostendeckend durchgeführt werden. Wir hoffen, dass das unter freiem Himmel schon früher möglich sein wird, als in geschlossen Räumen. Bei „In-House“-Veranstaltungen gehen die Meinungen in unserem Verein weit auseinander. Teilweise läuft das Booking für September weiter, manche Mitglieder gehen aber davon aus, dass eine Tanzveranstaltung oder ein volles Konzert in diesem Jahr nicht mehr durchführbar ist.
Die aktuelle Lage ist allerdings noch von einer weiteren Tatsache beeinflusst, welche nicht im Zusammenhang mit der Pandemie steht. Unsere Vermieter, das Studierendenwerk Thüringen, möchte das Haus gern teilweise sanieren. Das kann bereits im nächsten Frühjahr losgehen. Wie lange unser Betrieb eingestellt werden muss, ist aktuell noch nicht bekannt. Wir hoffen, bald einen genaueren Zeitplan zu erfahren, um im Falle einer längeren Schließzeit nach möglichen Ausweichquartieren zu suchen.
Wie war, beziehungsweise ist, die Schließzeit für euch? Was habt ihr in der Zeit gemacht?
Zunächst sind wir etwas in Schockstarre und Wehmut verfallen. Wir hatten für das Frühjahr wirklich ein tolles Programm auf die Beine gestellt. Da lag viel Herzblut und langwierige Planung dran. Ab Mitte April sind jedoch langsam die Lebensgeister wieder erwacht und dann haben wir bald unsere „Pandemieverkostung“ in Angriff genommen und sind nach wie vor beeindruckt, wie viel Dankbarkeit uns dafür entgegen gebracht wird.
Auch wurde in Zusammenarbeit mit anderen Jenaer Clubs unter den gemeinsamen Decknamen „Zwo20“ ein Streamingangebot geschaffen, zu dessen Programm wir schon mehrmals einen Beitrag geleistet hatten.
Derzeit ist allerdings noch nicht absehbar, wie sich die langwierigen Folgen auf unseren Verein und unsere Mitglieder auswirken. Betätigungsfelder sind weggefallen und die kulturelle Selbstwirksamkeit geht verloren. Das Zwischenmenschliche wird herausgefordert und natürlich auch von den persönlichen Erfahrungen in der Pandemie beeinflusst. Ob das Vereinsleben in seiner Qualität und Vielfalt dadurch negativ beeinflusst wird, ist zu befürchten.
Was wäre euer Wunsch an die Politik für die Zukunft, wenn ihr auf die Handlungen wie Soforthilfen und so schaut?
Fast alle Industrie- und Dienstleistungszweige haben Ansprüche an die Politik gestellt, sei es durch finanzielle Hilfen oder durch Anpassung von Gesetzen. Es ist zu befürchten, dass im weiteren Verlauf erneute Maßnahmen gefordert und notwendig werden. Freiwillige Leistungen und Pflichtleistungen des Staates und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, erfüllt durch das Land, die Kommune oder freie Träger, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Aussage „Wir sind systemrelevant!“, wird viel zu viel Bedeutung geschenkt, beziehungsweise halten wir das für einen falschen Ansatz.
In einer ausdifferenzierten Gesellschaft sind autopoietisch agierende Systeme immer mit kapitalistischen Verwertungslogiken konfrontiert und ihren Lobbygruppen wird zu viel Bedeutung beigemessen. Ungleichheiten werden fortlaufend produziert und die Politik muss versuchen, mit ihren Maßnahmen diese nicht weiter zu befeuern. Wer am lautesten schreit und das Bruttosozialprodukt am meisten nährt, bekommt auch mehr.
Habt ihr Unterstützung bekommen? Sowohl finanziell, als auch durch Zuspruch?
Wir haben die Soforthilfe bekommen und Spenden sind an uns gesendet worden. Das war und ist immer noch sehr hilfreich. Auch einzelne Bands haben Aktionen gestartet, um uns zu supporten. So hat die Band „Brechraitz“ mit ihrer Kampagne „Banned From The Clubs“ auch direkt Hilfen für uns eingeworben und die Band „Scapegoat“ hat uns alle Einnahmen ihrer neu erschienenen EP versprochen.
Des Weiteren hat die bei uns stattfindende Lesebühne „Sebastian ist krank“ Geld im Rahmen ihres Streamingangebotes für uns eingeworben. Die aus Jena stammende Soundsystem-Crew „Basskateers“ hat uns einen Teil ihrer gesammelten Spenden weitergeleitet.
Ebenso bieten wir gemeinsam mit den anderen Jenaer Clubs ein Soli-Ticket via TixforGigs an. Diese Möglichkeit der Unterstützung wird sehr gut aufgenommen. Über Textbotschaften wurde uns Mut zugesprochen. Alles in allem können wir nur sagen: „Wow, das macht Mut! Danke.“
Was hat sich durch die Corona-Krise für euch auch nachträglich verändert?
Ob es nachträgliche Veränderungen geben wird, kann in unserem Betrieb wohl erst die Zukunft zeigen.
Hatte die Schließzeit auch was Positives für euch?
Ob sich durch die Schließzeit positive Effekte ergeben, ist fraglich und schwierig zu betrachten. Wir haben einiges, was wir von unserer regulären Sommerschließzeit an kleinen Renovierungs- und Umbauarbeiten in die jetzige Zeit schieben können. Gut wäre auch, so glauben wir, wenn die Zusammenarbeit und Vernetzung der Jenaer Club- und Kulturszene auch nach der Pandemie bestehen bleiben würde.
Gibt es noch etwas, dass du sagen willst? Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?
Anderthalb Meter Abstand bedeuten für uns, das Café Wagner, dass sich unsere Kultur in eine Unnahbarkeit verschiebt. Unnahbar am Erlebnis selbst, unnahbar an Momenten der Intimität und erst recht unnahbar ein Programm anzubieten, welches sich auch wirtschaftlich trägt.
Ihr seid Kulturakteur oder kreativer Einzelhändler in Thüringen und wollt mit uns über euer Leben in der Krise sprechen? Schreibt uns mit dem Betreff “Kultur Shutdown” an: f.dobenecker@mediengruppe-thueringen.de
Hard Facts:
- Wo? Wagnergasse 26 | Jena
- Hier geht’s zum Café Wagner
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