Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Franziska Bracharz von der Kinderstadtführung aus Erfurt
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Franziska Bracharz. Seit fast 15 Jahren macht sie die Kinderstadtführung, die zum Verein Netz e.V. gehört und Mitglied des europäischen Netzwerks „Via Regia“ ist und Erfurt auf besondere Art und Weise erleben lässt.
Wie ist denn eure aktuelle Lage?
Der Verein ist durch andere Projekte und Maßnahmen längerfristig durchfinanziert. Bei mir ist es schwieriger, weil ich sozusagen eigenfinanziert bin. Normalerweise finanziert sich meine Stelle vor allem durch die Einnahmen der Kinderstadtführungen, hauptsächlich mit Schulklassen, Kita-Gruppen und Kindergeburtstagen. Ein kleiner Teil aber auch durch Seminare mit Studenten, Erziehern und Lehrern. Dass wir das alles zurzeit nicht anbieten können, ist sehr problematisch.
Die Aufbaubank greift bei uns nicht, weil wir eine gemeinnützige Organisation sind. Die Soforthilfe wurde auch abgelehnt, weil man über diese Förderung keine Personalkosten geltend machen darf. Das ist aber ein Problem vor dem nicht nur ich stehe, sondern sämtliche Soloselbstständigen, die kein Atelier oder Büro haben. Meine Projektleiterin versucht über Kurzarbeit meine Stelle geltend zu machen, was aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, weil ich eine sehr kleine Stelle habe.
Wie lange wäre es möglich deine Stelle noch zu halten?
Das ist schwer zu sagen. Es muss ganz schnell was passieren, dass wir wieder Einnahmen haben, um das lösen zu können.
Habt ihr aktuell eine Notlösung, um Geld einzunehmen?
Nein, wir haben keine Notlösung.
Was für Kosten fallen bei euch weiterhin an?
Wir haben Räume, die gemietet werden müssen, aber die sind auch ohne mich da. Das Problem ist wirklich nur meine Stelle. Natürlich ist es aktuell auch für den Verein schwierig – finanziell gesehen. Aber die Kinderstadtführung Erfurt ist an meine Person gehaftet. Das heißt, ich werde mich nicht überschulden, wenn wir einfach abwarten. Ich brauche nur eine Lösung für mich persönlich und die ist das Arbeitsamt, ganz klar.
Ab Juni bietet ihr wieder Führungen an. Wie bindet ihr die Hygienemaßnahmen ein?
Die Kinderstadtführung lebt von Nähe, von Erfahren. Ich stelle mir also gerade sowieso die Frage, inwiefern man diesen Anspruch auch nach Juni gerecht werden kann mit den Hygienemaßnahmen. Für mich macht es überhaupt keinen Sinn, eine Führung mit einer Klasse zu machen, bei der alle zwei Meter Abstand halten müssen. Die Kinderstadtführung ist so groß und gut geworden, weil wir besondere Vermittlungsformen anwenden. Emotionales Lernen und Aufbau persönlicher Beziehungen ist in einer normalen Stadtführung ja nicht gegeben. Deswegen funktioniert das aber so gut mit Kindern.
Anfangs war ich ein bisschen unter Schock. Als andere schon Ideen hatten und sich neue Sachen überlegt haben, habe ich extrem lange gebraucht das überhaupt zu realisieren. Jetzt habe auch ich eine Aufgabe gefunden, die ich jeden Tag mache und die mir das Gefühl gibt, dass die Kinderstadtführung noch existent ist. Ich habe vier bis fünf neue Formate konzipiert, die vielleicht funktionieren könnten. Da bin ich gerade dabei die Texte zu schreiben und die Fotos zu machen.
Habt ihr weitere Pläne für das Jahr?
Im Oktober soll das jüdische Kinder- und Jugendfestival „Meschugge“ stattfinden. Ich bin am Überlegen, ob wir das Festival nicht ins nächste Jahr schieben. Das ist ein Projekt, das im Rahmen „Bilder deiner Stadt“ stattfinden soll. Aber ich habe ein bisschen Angst vor einer zweiten Welle. Außerdem, wie soll beispielsweise eine Schlafnacht in der Synagoge mit 30 Kindern funktionieren, wenn wir plötzlich nur noch 10 oder 15 Kinder übernachten lassen dürfen und Abstand halten müssen. Viele sind da, glaube ich, ein bisschen zu optimistisch, dass im September/Oktober alles wieder easy ist.
Es kommen überall ja immer mehr Absagen, die bis in den Herbst reingehen, also es rückt immer weiter. Und das verunsichert. Wenn man kreativ arbeitet, behindert das. Man arbeitet ja in der Kreativbranche, weil man dafür brennt und hinter der Idee steht. Wir brauchen natürlich auch die Resonanz aus diesen Veranstaltungen. Wenn das aber wegbricht, man Wochen Arbeit da reingesteckt hat, da weiß ich nicht, ob ich das ein zweites und drittes Mal dieses Jahr aushalten möchte. Vielleicht sagt man dann eher, dass man das Jahr abhakt und sich auf diese neuen Kleinformate und auf Minigruppen konzentriert.
Was würdest du dir von der Politik wünschen?
Ich habe mir noch nie irgendwas von der Politik gewünscht. Ich fange damit nicht an, weil jetzt Ausnahmezustand herrscht. Ich bin jemand, der sehr auf Eigenverantwortung drängt, nicht nur in der Erziehung, auch auf mich selbst bezogen. Politik ist für mich nicht das, was den Menschen ausmacht. Ich versuche erstmal eigene Lösungen zu finden und wenn das nicht klappt, würde ich die nicht bei der Politik suchen, sondern eher an einem anderen Ort oder in einer anderen Form bei mir.
Du hast gerade gesagt, die Lage ist für dich echt schwierig und eigentlich auch nicht mehr tragbar. Wie machst du trotzdem weiter?
Um die Kinderstadtführung weiter in der Wahrnehmung der Stadt zu behalten, gibt es den Krämer-Kater-Aufgabenkorb. Auf der Krämerbrücke hängt ein Korb, das ist der Katzenkorb meiner beiden Katzen. Der Kater gibt außer montags jeden Tag Aufgaben an die Kinder. Das heißt, sie können sich einen Zettel aus dem Korb nehmen und eine Aufgabe zur Stadt lösen. Den Kindern macht das Spaß und es machen auch viele Erwachsene mit. Das funktioniert total gut.
Ich mache das auch so lange, bis die Grundschulen komplett geöffnet sind. Das war so die Intention, dass man den Kindern trotzdem für Heimat- und Sachkunde oder gegen die Langeweile eine Aufgabe gibt. Das werde ich mit verschiedenen Themen auch beibehalten. Dann habe ich Erklär-Videos für Kinder auf YouTube hochgeladen. In leichter Sprache und verschiedene Themen, wie zum Beispiel über die Stadtwerdung oder die Krämerbrücke.
Ich habe im Oktober eigentlich 15-jähriges Jubiläum. Wenn ich jetzt aufgebe, ist das wirklich schwer für mich. Das würde mir das Herz brechen. Deswegen halte ich daran auch noch so fest, obwohl es finanziell wirklich sinnfrei ist.
Würdest du sagen, dass Krise trotz überwiegend negativen Aspekten auch eine positive Seite hat?
Absolut! Das haben schon Denker und Philosophen Jahrzehnte und Jahrhunderte vor uns formuliert, was die Kraft von Negativität betrifft. Eine Negation ist immer eine Chance. Ich würde mir wünschen, dass man nicht einfach da weitermacht, wo man aufgehört hat. Ich denke, das sollten vielleicht einige als Anlass nehmen und sich komplett neu aufstellen.
Willst du noch was sagen? Liegt dir noch was auf dem Herzen?
„Die Negativität ist die belebende Kraft des Lebens. Sie bildet auch die Essenz des Schönen. Dem Schönen wohnt eine Schwachheit, eine Zerbrechlichkeit, eine Gebrochenheit inne. Dieser Negativität verdankt das Schöne seine Verführungskraft.“ (Byung-Chul Han) Ich wünsche mir für mich und alle anderen, dass man diese Verführungskraft in seine Arbeit und sein eigenes Denken wieder einbringt. Dann kann es gut werden.
Hard Facts:
- Den Katzenkorb mit Aufgaben findet ihr auf der Krämerbrücke | Di – So
- Mehr zur Kinderstadtführung gibt’s hier
- Für mehr Infos über Via Regia geht’s hier lang
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