Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer*innen, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Karolin Jungfer und Norman Hahn von der LKJ Thüringen aus Erfurt
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit Karolin Jungfer, Projektkoordinatorin Freiwilligendienste Kultur und Bildung, und Norman Hahn, Projektleiter Freiwilligendienste Kultur und Bildung, von der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen e.V. (LKJ). Die LKJ vereinigt unter sich die Träger und Akteure der kulturellen Kinder- und Jugendbildung in Thüringen und agiert dabei als Berater der Mitglieder, Vernetzung und fördert den Fachaustausch zwischen ihnen. Die LKJ Thüringen e. V. ist darüber hinaus Träger verschiedener Projekte, wie den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung, zu denen das FSJ Kultur, das FSJ Politik und der BFD Kultur und Bildung gehören.
Wie ist denn eure aktuelle Lage?
Karo: Dadurch, dass sehr viele Einrichtungen von diesem Shutdown betroffen sind, ist es schwierig, ein Allgemeinbild abzugeben. Einige unserer Freiwilligen sind noch in den Einrichtungen, beziehungsweise waren die ganze Zeit vor Ort unter Berücksichtigung der Mindestabstände und Hygienemaßnahmen. Der Großteil der Freiwilligen wurde allerdings ins Home-Office geschickt und hat Aufgaben bekommen, die sie zu Hause bearbeiten können.
Norman: Leider mussten wir das Großgruppenseminar im Urwald-Life-Camp absagen, das hätte am 10. Mai beginnen sollen. Die Abstandsregeln hätten dort nicht einhalten werden können, weil die Freiwilligen alle in Mehrbettzimmern untergebracht wären. Auch andere Bildungsveranstaltungen können wir so, wie wir sie eigentlich geplant hatten, momentan nicht durchführen. Aktuell arbeiten wir an einem Konzept für virtuelle Bildungstage für die Freiwilligen.
Um reguläre Seminare durchführen zu können, müssten wir die Gruppen teilen oder andere Räumlichkeiten suchen und das lässt sich so kurzfristig nicht realisieren. Und es ist auch eine finanzielle Frage. Wenn man Seminare verkleinert, müssten diese mehrfach stattfinden und dann würden sich bestimmte Kosten duplizieren und das ist nicht so einfach umsetzbar.
Gibt es Einsatzstellen, die ihre Freiwilligen nicht mehr halten konnten/können?
Karo: Wir haben aufgrund von Corona noch keine Kündigung erhalten, was sehr schön ist. Wir hatten Bedenken, dass Einrichtungen sich als erstes von ihren Freiwilligen trennen und da dementsprechend die Verträge auflösen. Einige Kultureinrichtungen haben Kurzarbeit angemeldet. Aber auch diese Einrichtungen versuchen, ihre Freiwilligen so lange wie möglich zu halten. Sie arbeiten dann dementsprechend auch weniger, bekommen aber Aufgaben für das Home-Office und können ihr Jahr somit zu Ende machen.
Wie geht’s den Freiwilligen aktuell in dieser Lage?
Karo: Wir hatten vor einigen Tagen ein virtuelles Treffen mit unseren Freiwilligen, wo sie sich über ihre aktuelle Situation austauschen konnten. Die Freiwilligen sind schon ziemlich traurig, dass sie nicht in ihren Einsatzstellen sein können. Die erste Woche überwog vielleicht der Gedanke „Ah ja, hab ich mehr Zeit und kann im Home-Office in Ruhe an etwas arbeiten“, aber es ist schon traurig, dass Veranstaltungen nicht mehr stattfinden bzw. dass die Freiwilligen bestimmte Dinge nicht mehr erleben werden oder sie nicht mehr in der Einrichtung angebunden sind, obwohl sie gerne arbeiten gehen würden.
Ich habe erst kürzlich mit einer Einrichtung gesprochen, wo der Freiwillige gesagt hat: „Ich will nicht mehr zu Hause bleiben, ich will was machen. Ich will genauso auf Arbeit kommen wie ihr.“ Also es gibt ein Engagement von den Freiwilligen, die sagen: „Hey, ich will arbeiten und ich will mich einbringen und holt mich endlich aus dem Home-Office!“
Es gibt natürlich auch diejenigen, die die Zeit nutzen, um sich beruflich zu orientieren, weil sie das bislang noch nicht so intensiv verfolgt haben. Sei es, wenn es um die bevorstehende Ausbildung oder das Studium geht. Die meisten Einrichtungen befürworten es, wenn die Freiwilligen diese neu gewonnene Zeit hierfür verwenden.
Wie verläuft die Kommunikation mit den Einsatzstellen?
Karo: Letzte Woche hatten wir auch ein virtuelles Treffen mit den Einsatzstellen, da gab es einen regen Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen vor Ort. Darüber hinaus sind wir natürlich auch viel per Mail und Telefon mit unseren Einsatzstellen in Kontakt.
Norman: Ab sofort soll jeden Monat ein virtuelles Treffen Monat der Einsatzstellen stattfinden.
Bewerbungen für das nächste Jahr sind aber weiterhin möglich?
Karo: Genau, Anmeldungen sind noch möglich. Aktuell läuft der dritte Anmeldezeitraum ab dem 1. Mai bis die Stellen besetzt sind. Gerade jetzt ist es für einige Jugendliche vielleicht auch sehr interessant, einen Freiwilligendienst zu absolvieren, weil man aktuell nicht ins Ausland für ein Work and Travel oder Au-Pair kann. Wir halten auch am Start vom 1. September fest. Einsatzstellen werden individuell schauen, wie die konkrete Umsetzung dahingehend möglich ist.
Gibt es bei euch im Team der LKJ Änderungen?
Norman: Wir sind jetzt seit dem Shutdown hauptsächlich im Home-Office tätig, sind aber auch regelmäßig im Büro. Für uns ist es ein einschneidendes Erlebnis, bezogen auf Seminare und Bildungstage. Es ist aktuell noch unklar, wie das bis zum Ende des Zyklus läuft. Wir arbeiten aktuell an Alternativen für das Abschlussseminar, denn das wird wahrscheinlich auch nicht wie geplant stattfinden können.
Habt ihr zum weiteren Werdegang Erwartungen an die Politik?
Norman: Für uns ist es wichtig, dass die finanziellen Mittel, die für den aktuellen Freiwilligendienstjahrgang bereitgestellt wurden, auch so erhalten bleiben. Es gibt noch keine Anzeichen dafür, dass die Mittel gekürzt werden, mit denen die Freiwilligendienste finanziert werden.
Das Bildungsministerium in Thüringen will, dass alle Verträge mit den Freiwilligen gehalten werden und niemand aus Kostengründen gekündigt werden muss. Der Freistaat Thüringen würde in dem Fall einspringen und betreffenden Einsatzstellen bei der Finanzierung des Platzes unterstützen.
Nichtsdestotrotz haben wir ein wenig Bauchschmerzen bei dem Gedanken, wie es mit den Freiwilligendiensten weitergehen wird, da es ja noch nicht absehbar ist, welche Folgen die Krise für die Kultureinrichtungen in Thüringen hat. Inwieweit sich die Situation noch verschlechtert oder Einrichtungen zum nächsten Zyklus entscheiden, dass sie sich den FSJler oder die FSJlerin nicht mehr leisten können, weil die Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen. Es wäre uns ein großes Anliegen, dass Kulturakteure und -einrichtungen weiter finanziell unterstützt werden, sie ihre Arbeit fortsetzen können und sich weiterhin die Unterstützung durch Freiwillige leisten können.
Habt ihr einen Plan, wie es für euch nach der Krise weitergehen soll?
Norman: Wir starten auf jeden Fall den neuen Zyklus zum 1. September. Wir sind jetzt gerade in den Planungen für den nächsten Jahrgang. Bisher ist auch nur eine Einrichtung abgesprungen. Wir hoffen natürlich, dass nicht noch mehr folgen. Wir müssen dennoch prüfen, welche Angebote wir so durchführen können, wie wir es bisher gemacht haben, zum Beispiel die Auftaktveranstaltung. Da stellt sich die Frage, ob sie in dem Umfang stattfinden kann oder ob wir auf kleinere, regionale Veranstaltungen umsteigen müssen.
Die gesamten Auswirkungen der Krise auf den nächsten Jahrgang können wir noch nicht einschätzen. Aktuell ändert sich sehr viel von Monat zu Monat und von Woche zu Woche. Wir hoffen, dass wir viele Angebote so wie bisher anbieten können. Für die Freiwilligen sind die Seminare und die gemeinsamen Erfahrungen sehr wichtig. Die ersten Seminare des nächsten Jahrgangs beginnen bereits im Oktober. Wir hoffen, dass wir diese dann auch durchführen können.
Wir hoffen auch, dass unsere Fördergelder im nächsten Zyklus nicht gekürzt werden oder es andere kurzfristige Einschränkungen geben wird. Aktuell existieren dahingehend aber auch keine Anzeichen vom Land oder vom Bund. Aber wir wissen natürlich nicht, wie sich alles noch entwickeln wird.
Denkst du, dass das ganze trotzdem was Positives an sich hat?
Norman: Noch überwiegen die negativen Aspekte, als Folge der vielen Einschränkungen. Für den aktuellen Jahrgang finde ich es sehr schade, weil die Freiwilligen gerade Vieles nicht so erleben, wie die vorherigen Jahrgänge. Die ganzen großen Projekte, die jetzt ausfallen und auf die sich viele auch gefreut haben. Viele Veranstaltungen, viele Festivals, Premieren, etc. Und auch die Seminare. Es fällt mir dementsprechend schwer zu sagen, was die Krise Positives mit sich bringt.
Wir fangen gerade erst an, Angebote und Aufgaben digital zu denken. Vielleicht ist das eine Chance, nachhaltige Bildungsangebote im digitalen Raum zu schaffen. Oder auch unsere Kommunikationsweisen zu überdenken und in Austausch zu treten, ohne lange Reisezeiten auf uns nehmen zu müssen. Im Vermittlungsverfahren haben viele Einsatzstellen Kennenlerngespräche per Video durchgeführt. Das ist eine positive Entwicklung, weil viele Interessierte aus ganz Deutschland kommen und die Reisekosten nicht erstattet werden.
Willst du noch irgendwas sagen? Liegt dir noch irgendwas auf dem Herzen?
Norman: Wir möchten positiv und motiviert in den neuen Jahrgang starten und hoffen, dass es auch viele junge Menschen geben wird, die Lust auf einen Freiwilligendienst haben, auch trotz der Krise. Also wenn ihr immer noch auf der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit nach der Schule seid oder eure Pläne über den Haufen werfen musstet, weil ihr zum Beispiel ins Ausland wolltet, seid ihr herzlich eingeladen, einen Freiwilligendienst in Thüringen zu machen!
Wer dieser Einladung folgen möchte, kann sich hier informieren, umschauen und anmelden!
Ihr seid Kulturakteur oder kreativer Einzelhändler in Thüringen und wollt mit uns über euer Leben in der Krise sprechen? Schreibt uns mit dem Betreff “Kultur Shutdown” an: f.dobenecker@mediengruppe-thueringen.de
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