Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbstständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Aber auch größere Unternehmen sind betroffen. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur-Shutdown mit Ulrike Köppel von der „weimar GmbH“
In unserer Interview-Reihe „Kultur-Shutdown“ sprechen wir diesmal mit der Geschäftsführerin der weimar GmbH, Ulrike Köppel. Die „weimar GmbH“ ist die Marketinggesellschaft der Stadt Weimar. Sie betreibt das „congress centrum weimarhalle“ und die Tourist Information Weimar. Das Tourismus- und Stadtmarketing gehört ebenfalls zu den Kernaufgaben der „weimar GmbH“.
Gemeinsam mit Carsten Müller (JenaKultur) und vielen anderen Vertretern der Veranstaltungsbranche habt Ihr eine Petition gestartet. Wie kam es dazu und worum geht es?
Richtig. Ich glaube, es gab noch nie eine so übergreifende Beteiligung der Thüringer Veranstaltungswirtschaft. Das liegt auch daran, dass es bundesweit für die Veranstaltungswirtschaft keinen Lobbyverein gab und gibt. Jeder Bereich ist Mitglied in seinem eigenen Verein. Die „weimar GmbH“ ist genau wie die Jenaer Kollegen im Europäischen Verein der Veranstaltungszentren (EVVC). Darüber hinaus gibt es noch einen für Messen und Veranstaltungstechniker, einen Bühnenverein und andere. Carsten Müller und ich haben diese alle Betroffene einbeziehende Initiative auf den Weg gebracht, weil wir alle dringend Unterstützung und Hilfe brauchen, die über die Soforthilfen hinausgehen müssen. Inzwischen wissen wir, dass die Veranstaltungsbranche einer der Branchen ist, die extrem lange im Lockdown sein wird.
Anlass für diese Petition war die Absage der Jenaer Kulturarena. Bis dahin war unsere Branche viel zu leise. Im Unterschied zur Gastronomie, Kulturschaffenden und der Reisebranche hörte man aus der Veranstaltungsbranche ganz wenig, weil die immer gut funktioniert hat. Wir haben festgestellt, dass viele gar nicht wissen, was alles dahintersteckt. Das ist ein Wirtschaftszweig mit einem erheblichen Volumen. Ein Außenstehender sieht nur die reine Veranstaltung, was alles dazugehört offenbart sich nicht. Um die Veranstaltungsbranche rankt sich eine ganze Industrie. Veranstaltungstechniker, Caterer, Dolmetscher, Agenturen und viele andere Dienstleister.
Für Weimar wichtig ist auch die Tagungshotellerie, der jetzt die vielen Übernachtungen fehlen. Oder der Einzelhandel vor Ort: Hier sorgen für einen großen Teil des Umsatzes neben den Touristen, die jetzt erst langsam wieder kommen, auch die Tagungs- und Kongressteilnehmer.
Inwiefern und wie stark ist die Weimarhalle aktuell betroffen?
Wir waren einer der Ersten, die ihren Betrieb erst schrittweise und dann komplett einstellen mussten. Begonnen hat das Anfang März. Zuerst gab es keine Reisen aus dem Ausland mehr, das heißt, unsere internationalen Kongressteilnehmer und Referenten konnten nicht mehr kommen. Wir hätten in der ersten Märzwoche einen großen internationalen Kongress gehabt, der schon nicht mehr stattgefunden hat, obwohl es noch keine Verordnungen gab.
Wenn wir auf die Abstands- und Hygieneverordnungen schauen, die für uns sicher weiterhin gelten werden, dann sind Veranstaltungen mit 1,50 Meter Abstand zwar machbar, aber sie reduzieren die Kapazitäten so drastisch, dass diese nicht wirtschaftlich sind. Wir veranstalten in der Weimarhalle gerade Stadtratssitzungen im Großen Saal. Normal finden dort 1.200 Menschen Platz, jetzt sind das maximal 200 bis 250 Plätze, die genutzt werden können. Solche verkleinerten Veranstaltungen rechnen sich nicht – auch nicht für ein Cateringunternehmen oder einen Konzertveranstalter.
Unsere Forderung ist nicht, die Abstandsregeln zu kippen. Wir wollen mit der Petition vielmehr nachdrücklich unterstreichen, dass wir wirtschaftlich nicht überleben können. Wir ahnen ja schon, dass es wahrscheinlich bis mindestens Ende des Jahres so bleiben wird.
In der Weimarhalle haben wir zunächst die vertraglich vereinbarten Termine vom Frühjahr in den Herbst verlegt. Aber viele unserer Kunden gehen jetzt auf Nummer sicher und verschieben jetzt schon vom Herbst ins Frühjahr 2021. Das ist verständlich, dennoch äußerst problematisch für uns, weil wir dieses Jahr keine Chance haben, verschobene Erlöse zu generieren und obendrein reichen im Frühjahr die freien Kapazitäten nicht, um den Verlust aus diesem Jahr auffangen zu können.
Die Bücher sind ja gerade im Langfristgeschäft mit wiederkehrenden Veranstaltungen für die nächsten Jahre schon gut gefüllt, so dass wir keinen Platz mehr haben um auszuweichen. Letztlich geht es mit unseren Aktionen darum, den politischen Fokus auf unsere Branche zu werfen. Es ist ein echter Hilferuf für einen Bereich, der bis jetzt nicht gehört worden ist. Im Land Thüringen ist es uns gelungen, wir sind auf offene Ohren bei den Parlamentariern gestoßen und auch auf den Willen, sich für uns einzusetzen. Mit der bundesweiten Petition wollen wir das Thema in ganz Deutschland auf den Plan zu rufen.
Warum verschieben sich die Termine vom Herbst in das Frühjahr 2021? Weil die Teilnehmer nicht einreisen können, aus Angst oder gibt es einen anderen Grund?
Die Anreise der Teilnehmer spielt zu einem kleineren Teil eine Rolle. Es herrscht vielmehr eine vollkommene Unsicherheit, wie lange noch Abstandsregeln gelten. Und bestimmte Formate insbesondere Konzerte und Kongresse sind nicht durchführbar mit den Kapazitäten, die wir aktuell anbieten können. Das ist leicht zu rechnen: Wenn wir ein ausverkauftes Sitzplatz-Konzert für 1.200 Personen haben, dann decken erlaubte 250 Besucher nicht die Kosten – nicht für uns, nicht für die Tournee-Agentur, nicht für den Künstler.
Und im Tagungs- und Kongressbereich ist es genauso. Große Formate sind momentan wirtschaftlich einfach nicht möglich. Deshalb versuchen die Veranstalter, diese in ein sicheres nächstes Jahr zu legen. Man hofft, dass dann die Krise vorbei ist und keine Abstandsregelungen mehr gelten.
Die Verlegung hat also eher was mit nicht planbaren Kapazitäten zu tun als mit Angst. Denn es gibt uns eben keiner die Sicherheit, dass wir im Herbst wieder so arbeiten können wie vor dem März 2020, also mit vollen Kapazitäten und ohne Abstandsregeln. Hygienetechnisch ist das wieder anderes, damit kann man gut umgehen. Darauf ist die Veranstaltungswirtschaft eingestellt. Die Einlasssituation ließe sich auch regeln.
Es gibt eine Zahl, die dieses Crux sehr gut darstellt: Für alle Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft bedeuten die geplanten Veranstaltungen mit Abstandsregeln einen Umsatzverlust von 75 Prozent. Und die laufenden Kosten fallen trotzdem an. Natürlich wollen wir trotzdem Veranstaltungen machen, auch unter den aktuellen Gegebenheiten. Die decken aber nicht unsere Kosten, dabei brauchen wir einfach Unterstützung. Auch einheitliche Regeln für die Veranstaltungsbranche sind wichtig. Wir müssen verlässlich wissen, welche Veranstaltungen unter welchen Bedingungen machbar und erlaubt sind. Dazu gib es derzeit noch keine Aussage.
Die aktuelle Lage in der Weimarhalle ist also so, dass kleine Formate stattfinden, aber ansonsten steht alles still?
Genau. Es finden nur Veranstaltungen statt, die mit den Abstandsregeln möglich sind Das sind Stadtratssitzungen, das sind auch Prüfungen und das sind beispielsweise Gerichtsverhandlungen. Also alles das, was man mit viel Abstand und einer überschaubaren Personengröße machen kann. Alle anderen Veranstaltungen, die wir üblicherweise haben – Konzerte, Comedy, Tagungen, Kongresse und ganz schade die gesellschaftlichen Anlässe, die für das öffentliche Leben so wichtig sind, wie Abibälle und Jugendweihen – finden nicht statt.
Für die Jugendweihefeiern haben wir neue Termine im Herbst gefunden in der Hoffnung, dass diese dann möglich sind. Es ist tatsächlich so, dass wir noch einen gut gefüllten Veranstaltungskalender für den Herbst haben, aber alle Veranstalter abwarten, wie die Lage sich bis dahin entwickelt. Kommt eine zweite Welle oder kommt sie nicht? Wir merken das daran, dass die Stornierungen scheibchenweise erfolgen. Es gibt außerdem Kunden, die am liebsten Verträge mit einer sehr kurzen Kündigungsfrist haben wollen, also wenige Tage vor dem Termin, wenn beispielsweise die Abstandsregeln noch gelten, weil sie dann auf der sicheren Seite wären.
Geht Ihr auf diese kurze Kündigungsfrist ein? Denn das ist zwar gut für den Kunden, aber für Euch ja kaum schaffbar bezüglich Absagen der Techniker, Caterer, etc.
Das ist eine riesige Herausforderung für das Projektmanagement. Für die Kunden hat das natürlich etwas mit Geld und Haftung zu tun. Wir versuchen, für jeden einzelnen Kunden eine für beide Seiten annehmbare Regelung zu finden. Auch, wenn es um die Raumgröße geht. Wir suchen dann ein Format, das für ihn passt. Statt einer Absage empfehlen wir immer eine Verschiebung. Und bisher hat das auch hervorragend geklappt. Wir kommen den Veranstaltern sehr entgegen.
Wie werden die Ausfälle der Weimarhalle bis Ende des Jahres überbrückt? Denn die Kosten laufen ja zumindest zum Teil trotzdem weiter.
Wir haben alle laufenden Kosten extrem reduziert. Alles was ging, haben wir storniert oder eingeschränkt soweit es möglich ist. Die Mitarbeiter sind weitgehend in Kurzarbeit. Es bleiben dennoch laufende Kosten. Wir sind ein kommunales Haus und bekommen einen Zuschuss vom Gesellschafter, das ist in unserem Fall die Stadt Weimar, den wir aktuell immer wieder neu diskutieren müssen. Uns fehlen aber die eigenen Einnahmen, die den weitaus größeren Anteil ausmachen.
Wir haben aber beispielsweise die Soforthilfe Thüringens beantragt und bekommen sie auch. Die hilft uns auf jeden Fall ein bisschen. Und die Stadt Weimar hat uns auch zugesichert, dass sie unsere Gesellschaft vor einer Zahlungsunfähigkeit bewahren würde.
Wie lange würde das so funktionieren? Hat die Stadt Weimar da eine Grenze gesetzt?
Soweit sind wir noch nicht. Wir haben diesen Monat noch eine Aufsichtsratssitzung, in der wir einen neuen Wirtschaftsplan vorlegen. Wir hoffen außerdem sehr, dass wir mit der Weimarhalle antragsberechtigt für das Soforthilfeprogramm 2 sind. Dann würden wir möglicherweise Unterstützung bei den Betriebskosten bekommen, das wäre ganz wichtig für uns.
Habt Ihr schon einen Plan, um gegebenenfalls direkt loslegen zu können, wenn das im September der Fall sein sollte?
Ich glaube, dass es ganz sicher ab dem 1. September wieder Veranstaltungen geben wird. Dann unter Umständen immer noch mit einem Hygienekonzept und mit Abstandsregeln. Darauf sind wir auf jeden Fall vorbereitet. Wir konnten das ja bereits bei solchen Veranstaltungen wie der Stadtratssitzung ein bisschen testen und haben unsere Erfahrungen gesammelt. Also ja, wir können sofort loslegen, wenn die Abstandsregeln verkleinert werden oder im besten Fall irgendwann fallen.
Unsere Veranstalter warten genau wie wir darauf. Aber es wird ein schwerer Anlauf. Alles, was ein bisschen größer ist oder länger geplant werden muss, wird nicht sofort wieder stattfinden können. Aber Publikumsveranstaltungen, sobald sie erlaubt sind, wird es geben. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Abibälle nachgeholt werden und dafür würden sich im Herbst auch bestimmt Termine finden.
Hatte diese Schließzeit trotzdem was Positives für Euch?
Wir haben die Zeit jetzt genutzt, um sämtliche Wartungen, Tüv-Prüfungen und Reparaturen vorzunehmen. Dass, wenn es dann wieder losgeht, nicht eine einzige Stunde dafür aufgewendet werden muss, sondern ungebremst nur noch Veranstaltungen stattfinden können. Das alles ist jetzt erledigt.
Liegt Dir noch etwas auf dem Herzen?
Wir brauchen treue Besucher. Das ist, glaube ich, etwas ganz Wichtiges. Wir merken doch jetzt erst, wie wichtig uns kulturelle Veranstaltungen und der Live-Austausch sind. Wie wichtig das alles für unsere Lebensqualität ist, wenn man schöne Dinge gemeinsam erleben kann. Ich würde mich persönlich sehr freuen, wenn wir das bald ohne Angst im Nacken wieder uneingeschränkt genießen können.
Ihr seid Kulturakteur oder kreativer Einzelhändler in Thüringen und wollt mit uns über euer Leben in der Krise sprechen? Schreibt uns mit dem Betreff “Kultur Shutdown” an: f.dobenecker@mediengruppe-thueringen.de