Liebe Menschen, jetzt ist es leider auch bei uns so weit – die Pandemie hat nicht nur einige geplante Veranstaltungen zum Stillstand gebracht, sondern auch ein großes leeres Loch im Vereinskonto hinterlassen. Ihr wisst ja, wie es ist – Fixkosten laufen, der Veranstaltungsbetrieb aber nicht und damit haben wir kaum einen Puffer für den erneuten Stillstand aufbauen können…“. Ende des vergangenen Jahres schlägt der Klanggerüst e.V. aus Erfurt mit einem Hilferuf in den sozialen Medien Alarm.
Klanggerüst Erfurt in Not
Kein Geld mehr da. Corona verbietet Veranstaltungen, die wichtig sind, um alle Kosten zu decken. Müsste das Klanggerüst schließen, so würde es enorme Folgen haben: Ein wichtiger soziokultureller Ankerpunkt in Erfurts Norden würde wegbrechen. Mit ihm zahlreiche bunte und vielfältige Veranstaltungen sowie Projekte, die den kompletten Stadtteil aufwerten und bereichern, Menschen zusammenbringen und eine Plattform liefern. Um auf die Misere aufmerksam zu machen, haben wir mit Vorstandsvorsitzenden Steffen Müller über die Situation des etablierten Kulturortes gesprochen.
Ihr habt Ende November einen Hilferuf via Social Media abgesetzt. Was ist los?
Das Klanggerüst hat wie auch andere Kulturvereine während der Pandemie eine große Durststrecke hinter sich. Veranstaltungen innerhalb der Villa fielen weg und damit eine wichtige Einnahmequelle für uns. Das konnte weder durch die spontanen kleineren Außenveranstaltungen noch durch Einmietungen oder unsere Fixeinnahmen gedeckt werden. Dank zahlreicher Fördergelder und des Engagements unserer Mitglieder konnten wir bis in den November rein durchhalten, ohne aktiv nach Spenden zu fragen. Fördergelder sind aber zweckgebunden und werden beispielsweise nicht für unsere Miete verwendet. Der laufende Betrieb ist es also, den wir zurzeit nur schwer stemmen können. Dann war es für uns an der Zeit, das erste SOS auszusenden.
Wie viele Veranstaltungen waren denn geplant und was bedeutet es für euch, dass diese ausfallen?
In der Hoffnung auf die Wiederaufnahme unseres Veranstaltungsbetriebes war der Kalender gut gefüllt. Mit dem erneuten Lockdown fielen uns von einem Moment auf den nächsten gut und gerne 12 Veranstaltungen weg, sechs davon allein waren größere Tanz-Veranstaltungen. Wie bereits angedeutet, füllen wir vor allem mit Letzteren die finanzielle Lücke zwischen Fixkosten und Fixeinnahmen. Unsere fixen Einnahmen bestehen aus Mitgliedsbeiträgen sowie aus Mieteinnahmen durch die Räume, die wir Kunst- und Kulturschaffenden zur Verfügung stellen. Auf persönlicher Ebene ist das Vereinsleben zudem ein Stück grauer geworden, da wir weit weniger Zeit mit der Umsetzung kreativer Veranstaltungen verbringen. Die trockene Büroarbeit ist uns nämlich geblieben, wofür es derzeit nur selten einen freudigen Ausgleich gibt.
Wie hoch sind die Fixkosten? Was muss im laufenden Betrieb bezahlt werden?
Die fixen Kosten belaufen sich auf circa 2400 Euro monatlich, darin enthalten sind neben der Miete und Nebenkosten für Villa und Grundstück der Malzwerke Erfurt GmbH auch Kosten für das Steuerbüro, diverse Versicherungen, Gas und Strom, Vereinsbeiträge an die LAG Soziokultur, Internet, Notarkosten und Kontoführungsgebühren. Um die Fixkosten besser zu decken, stehen demnächst leider eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrags sowie der Raummieten an. Das macht uns zwar nicht reich, aber Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist.
Oha. Das klingt nach viel Geld. Wie lange könnt ihr noch durchhalten?
Das ist letztlich schwer zu sagen. Wir haben bereits einige dankbare Spenden erhalten, die uns Hoffnung geben. Ein Insolvenzverfahren haben wir in den ersten beiden Quartalen des neuen Jahres wohl abgewendet. Zuvor lagen unsere Schätzungen für ein finanzielles Aus etwa bei Mitte 2022. Wir bemühen uns natürlich auch selbstständig um finanzielle Hilfestellungen von Bund und Land, was sich nicht immer als einfach oder möglich erweist.
Und soweit ich weiß, habt ihr nicht nur Fixkosten, sondern auch weitere Baustellen im Haus, oder?
Wo fangen wir da an? Neben der Hauselektrik, die Stockwerk für Stockwerk angegangen wird, sind wir seit Jahren mit der Umsetzung von Lärm- und Brandschutz beschäftigt. Ein großes Problem stellt momentan das Dach dar: Dieses muss neu eingedeckt werden, einige Balken gehören zudem ausgetauscht, was uns beim Einbau von Brandschutzfenstern für die Zimmer im Dachgeschoss aufgefallen war. Seitdem bewegt es sich nur sehr langsam vorwärts, nicht zuletzt, weil uns die Villa nicht gehört und investive Maßnahmen in ein Privatgebäude – das heißt in dem Fall ein Gebäude, das den Malzwerken und nicht einem gemeinnützigen Verein gehört – sind nur bedingt förderfähig. Daneben gibt es noch zahlreiche kleinere Baustellen wie den Wiederaufbau unserer Terrasse, das „Flicken“ der Kellerräume oder die Fertigstellung der Vordächer zu den außenliegenden separaten Kellereingängen – hier hat uns bereits der Europäische Solidaritätskorps sowie der internationale Bauorden unterstützen können.
Wie viel Geld bräuchtet ihr, um beruhigt schlafen zu können?
Mit etwa 1000 bis 1500 Euro mehr im Monat könnten wir wohl beruhigt schlafen. Unsere Fixkosten könnten damit zunächst gedeckt werden, eventuell wäre der Aufbau eines zweckgebundenen Puffers denkbar. Dies entspricht in etwa einer größeren, erfolgreichen Tanzveranstaltung im Monat.
Dann hoffen wir, dass es bald wieder los gehen kann. Welche Veranstaltungen fürs kommende Jahr habt ihr denn schon geplant?
Wir sind bereits jetzt dabei, ausgemachte Termine nach hinten zu verschieben und hoffen, dass zum Frühjahr und Sommer hin wieder größere Veranstaltungen in den Innenräumen durchführbar sein werden. Der Kalender ist daher vor allem im zweiten Quartal bisher gut gefüllt. Neben unseren geliebten Jamsessions ist auch unsere hauseigene Retroparty wieder im Gespräch – Zeitpunkt unbekannt. Außerdem sind mehrere Konzerte unterschiedlicher Genres geplant, bis jetzt steht uns da der Sinn nach Punk und Metal. Zudem stehen eine Soli-Tanzveranstaltung mit Teilen des Kulinarischen Kollektivs Erfurt sowie eine „Open Circuit“-Party (Drum and Bass) und eine Veranstaltung des Kollektivs „Linie 9“ auf unserer Speisekarte.
Es sind nicht „nur“ Veranstaltungen, die das Klanggerüst so wichtig für den Erfurter Norden machen. Was würdet ihr sagen, welche Bedeutung das Klanggerüst für die Kultur in dem Bereich hat?
Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir in unseren nunmehr fast 13 Jahren in Ilversgehofen einen großen Beitrag zum kulturellen Leben im Erfurter Norden geleistet haben und leisten. Umgeben von anderen soziokulturellen Akteuren wie dem Veto, dem AJZ, der Frau Korte und der Saline34 stellt das Klanggerüst mit seinem reichhaltigen Veranstaltungsangebot einen kulturellen Leuchtturm dar, der nicht so leicht ersetzt werden kann. Neben Tanzveranstaltungen und Konzerten kann man hier auch zu Gast sein bei Lesungen, Improvisationstheatern, Poetry-Slams, Filmabenden, Workshops und Tagesfestivals. 2021 beispielsweise hat sich das Klanggerüst mit anderen Akteuren zusammengetan, um nicht nur ein mehrtägiges, familienfreundliches Fest am Ilversgehofener Platz zu veranstalten, sondern auch, um eine Kunstaktion aus dem Boden zu stampfen, die unter dem Titel „Ein Viertel Gefahr – Dreiviertel Kunst“ die Magdeburger Allee als Gefahrenviertel und potenziellen Raum für Kreativnutzung thematisiert hat. Die Expertise, die durch die vielen engagierten Mitglieder im Verein gebündelt wird, geben wir zudem gerne weiter, um unseren Stadtteil noch bunter zu gestalten. Ohne das Klanggerüst wären viele kulturelle Projekte im Erfurter Norden nur noch schwer und mit langem Atem denkbar.
Bleibt zu hoffen, dass der Pandemiezustand bald endet. Was hofft ihr für die Zukunft?
Genauso wie alle anderen kulturellen Stätten hoffen auch wir, dass Corona und alternative Kultur miteinander dauerhaft vereinbar werden. Zudem müssen wieder mehr Gelder seitens Stadt und Land für Kulturprojekte frei werden, weitere Kürzungen sind nicht nur für uns nicht hinnehmbar. Es stand mal im Raum, dass der Klanggerüst e.V. institutionell gefördert werden könnte – dann kam die Pandemie. Wir würden wahrscheinlich einen vereinsinternen Feiertag ausrufen, sollte dies in absehbarer Zukunft Realität werden. Eine Weile werden wir also noch durchhalten müssen, hoffentlich mit Unterstützung: ob durch finanzielle Spenden, engagierte Neumitglieder oder Sachspenden zu anstehenden Bauarbeiten, wir sind dankbar für alles.
Hoffentlich klappt das alles. Stimmt es, dass es da Problemchen mit Vermieter gibt?
Hier spalten sich wohl die Geister. Der Verein ist im Groben und Ganzen der Ansicht, dass wir mit einer vergleichsweise günstigen Miete beschenkt werden, eine klare Gewinnabsicht kann unserem Vermieter daher nicht unterstellt werden. Aber für uns als gemeinnütziger Verein bedeutet dies dennoch nicht, dass es einfach ist, die anfallenden Kosten zu tragen oder aber die Verantwortung für ein in die Jahre gekommenes Gebäude wie es die alte Direktorenvilla der Malzwerke ist. Denn viele Kosten dafür tragen wir, anders als bei einem traditionellen Mietverhältnis (mit Gewinnabsicht des Vermieters), an das die meisten Leute wahrscheinlich erst mal denken. Das Dach oder die Elektrik im Haus lasten mehr oder weniger auf unseren Schultern, in finanziellen Gesichtspunkten wie auch die Sicherheit betreffend. Da lehnt sich vor allem der Vorstand – keiner von uns ist fachkundiger Handwerker – ganz schön weit aus dem Fenster. Das führt natürlich auch mal zu hitzigeren Debatten mit unserem Vermieter, denn jeder versucht, seinen Standpunkt zu verteidigen. Uns liegt aber vor allem eine längere Mietsicherheit am Herzen, damit wir einerseits als Verein langfristiger planen als auch mit Fördergeldern verantwortungsvoll und nachhaltig umgehen können.
Amen! Deshalb beenden wir dieses Interview, wie es begonnen hat – mit den Worten aus dem Hilfe-Post zu Beginn dieses Textes:
„Damit wir uns auch im nächsten Jahr mit voller Kraft ins kulturelle Veranstaltungsleben stürzen und für euch weiterhin spannende Formate organisieren können, brauchen wir jetzt eure Unterstützung. Falls Ihr etwas auf der hohen Kante habt und euer lokales Lieblingsörtchen zum Musik hören, Kunst machen und kreativ sein unterstützen wollt, könnt ihr euch auf unserer Webseite informieren: www.klanggeruest.de/spenden. Wir sind dankbar für jede helfende Hand und freuen uns über eure Unterstützung.“