Es gibt Dinge, die sollte man nicht sammeln. Strafzettel zum Beispiel. Aber hunderte orangene DIN-A6-Papiere mit Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung könnten, interessant angeordnet, ein echtes Kunstwerk ergeben. Ein Kunstwerk, das man verkauft und so nicht nur all die Bußgelder wieder reinholt, sondern auch einen Typus Mensch damit vielleicht sogar glücklich macht: die Kunstsammlerin oder den Kunstsammler. Doch wer sammelt Kunst? Was macht die Faszination eines echten Kunstwerkes aus? Und wie ist es, wenn man privat Kunst sammelt? Diesen Fragen spürt eine besondere Ausstellung in Jena nach, die vom 17. September bis 30. Oktober in der Galerie im Stadtspeicher am Markt zu sehen ist. Die Exponate stammen allesamt aus Jenaer Privathaushalten.
Aus Jenaer Sammlungen
Da ist das Ölgemälde von Rikizo Fukao, dem das Sammlerpaar im Urlaub in einem Tempel in Kyoto begegnete. Da ist eine signierte Fotografie des berühmten französischen Fotografen Édouard Boubat aus den 1940er-Jahren. Da sind Betonfiguren der Bildhauerin Eva Mandok, eine Grobspanplatte von Georg Thumbach oder eine Lithographie mit den markanten Konturen des Schriftstellers Thomas Mann, die der Schauspieler Armin Müller-Stahl gezeichnet und für das Besitzerpaar eigens mit einer Widmung versehen hat. „Wir wollen mit der Ausstellung erforschen, wie es ist, wenn Kunstobjekte gewissermaßen zu Mitbewohnern werden und Besitzerinnen und Besitzer so immer wieder in einen Dialog mit ihnen treten können“, sagt Robert Sorg, Vorsitzender des Jenaer Kunstvereins und Kurator der Ausstellung.
Beziehung der Sammelnden zu ihrer Kunst
So geht es bei dieser Ausstellung gar nicht so sehr um die einzelnen Bilder und das Staunen, welch guter Geschmack oder welch namhafte Künstlerin hinter so mancher Tür der Saalestadt hängt, sondern es geht den Machern um diese ganz besondere Beziehung der Sammelnden zu ihrer Kunst. Über diese Beziehungen und Begegnungen geben die Sammelnden Auskunft – und zwar auf verbale wie nonverbale Weise: Verbal, weil Sorg die Teilnehmenden gebeten hat, ihre persönliche Geschichte zum Bild zu beschreiben. Die Texte sind in einem liebevoll gestalteten Begleitheft enthalten, das auch Wege zu weiterführenden Informationen über die nicht immer weltberühmten Künstlerinnen und Künstler beinhaltet. Nonverbal, weil der Jenaer Fotograf Wolfgang Grau die Kunstbegeisterten mit ihrer Kunst im privaten Raum porträtiert hat und so eigens für die Ausstellung ganz neue Kunstwerke schuf.
Während jedes Ausstellungsstück aus einer Jenaer Sammlung stammt, also gänzlich verschieden gearbeitet ist, bilden die Fotografien des natürlichen Habitats der Exponate und ihrer Hüter eine reizvolle, doppelbödige Klammer. So stellen Sorg und Grau auch die Frage: Wo beginnt Kunst, wo hört sie auf? Endet sie an der Kante des Blattes, auf dem gezeichnet wurde, oder an der Kante des Rahmens? Oder kann das Blatt der großen grünen Monstera, das sich je nach Blickwinkel vor das Kunstwerk schiebt, kann der Briefstapel – mit Strafzettel womöglich –, der auf dem Möbel unter dem Kunstwerk wächst, nicht genauso Teil der Kunst sein?
Eintritt zur Ausstellung ist kostenlos
Mit der Ausstellung ist jedenfalls das Kunststück gelungen, einen Kreislauf der Kunstbegeisterung transparent zu machen. In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft gezwungenermaßen tief ins Private zurückzieht; in einer Zeit, in der viele Menschen jede Ausgabe wägen – der Eintritt zur Ausstellung ist kostenlos – und andere Menschen eine Wertanlage suchen, diese in Kunstwerken finden, welche dann in wohltemperierten Depots im Dunklen harren, wird hier auf drei Ebenen deutlich, wie lebendig und nahbar das Kunstsammeln doch auch sein kann.
Da sind 20 Originale, da sind ihre 20 Geschichten und da sind 20 Fotos der Originale mit ihren Geschichtenerzählern. Da ist ein echter Rikizo, ein Boubat, Mandok, Thumbach, Müller-Stahl. Da ist aber auch die Grafik eines jungen Wiener Kunst-Studenten: Marc Truckenbrodt. Geboren wurde Truckenbrodt 1998 in Jena und die Besitzer des ausgeliehenen Kunstwerkes sind seine eigenen Eltern. Über ihren Künstlersohn kamen sie zum Kunstsammeln. Sie verleihen prompt das Kunstwerk, das viel mehr ist als ein Mitbewohner, wie Sorg es nannte: Es ist eine Erinnerung an einen vertrauten Menschen, der auszog, um die Welt und die Möglichkeitsräume der Kunst zu erforschen.
Hard Facts
- Wann: Mi., Fr., Sa. 12 bis 16 Uhr | Do. 12 bis 19 Uhr
- Wo: Galerie im Stadtspeicher | Markt 16 | Jena
- Mehr unter www.jenaer-kunstverein.de
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