In Gera wird es schon zehn Tage vor Halloween gruselig. Im Kultur und Kongresszentrum ist am 21. Oktober der Stummfilmklassiker „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ zu sehen. Die Begleitmusik kommt live vom Kyiv Symphony Orchestra. Das Orchester ist seit über einem Jahr zu Gast in der Dixstadt. Nosferatu erzählt von Graf Orlok aus den Karpaten, der 1838 im fiktiven Ostseestädtchen Wisborg ein Haus kaufen will. Daraufhin schickt der Makler seinen Sekretär Thomas Hutter zur Unterzeichnung der Papiere zum Grafen. Mehrfach wird Hutter gewarnt, aber viel zu spät erkennt er, dass der Graf ein Vampir ist. Der ist mittlerweile auf dem Weg nach Wisborg – und mit ihm Tod und Verderben.
Stummfilmklassiker Nosferatu in Gera
Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau schuf gemeinsam mit dem Thüringen geborenen Kameramann Fritz Arno Wagner mit Nosferatu ein expressionistisches Meisterwerk. Viele ihrer Effekte, Details und Stilmittel wurden von späteren Vampir- und Horrorfilmen übernommen. „Nosferatu“ gilt heute als Filmklassiker und wurde seinerzeit in den Kritiken gelobt, war aber kein an den Kassen erfolgreicher Streifen. Heute wird er als eines der wichtigsten Werke des Weimarer Kinos (1918 bis 1933) gesehen.
Wer den Klassiker bis dato noch nicht kennt, hat Glück. Am Samstag (21. Oktober) begleitet das Kyiv Symphony Orchester den Stummfilm unter Leitung des Dirigenten Vitalitii Protasov und mit der von Hans Erdmann komponierten Musik. Diese Art von Film-Konzert spielte das Orchester zuvor bereits in der Ukraine, wenn dabei auch meist modernere Blockbuster untermalt wurden. In Gera setzt das Ensemble diese Tradition nun fort. Im Mai führte die Musiker und Musikerinnen so schon der Film „Metropolis“ von Fritz Lang in Gera auf. Für Vitalitii Protasov ist es jedoch das erste Mal, dass er Filme auf dies Art vertont, auch wenn er schon länger mit dem Orchester zusammenarbeitet. „Es ist eine interessante Erfahrung“, sagt der Dirigent, der Respekt vor der Aufgabe hat: „Wir müssen ständig die Zeit im Auge behalten und schauen, was im Film passiert, sonst kann die Musik nicht ihre volle Wirkung entfalten.“
Sinfonieorchesters aus der ukrainischen Hauptstadt
Mit diesem Konzert haben die Gerschen zum wiederholten Mal die Chance, die Künste des Sinfonieorchesters aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw zu bewundern. Seit Sommer letzten Jahres residiert das Orchester schon in der Dix-Stadt. Als im Februar 2022 der großangelegte Angriff Russlands auf Ukraine begann, flüchteten auch die Mitglieder des Orchesters. Dem Intendanten Oleksandr Zaitsev gelang es, sie in Deutschland wieder zusammenzubringen. Das sei sehr schwierig gewesen, denn einige der Musiker und Musikerinnen hielten sich bereits besetzten Gebieten auf. Andere waren im Schockzustand. Das ukrainische Kultusministerium erlaubte dem Orchester als Ganzes das Land zu verlassen, jedoch nur, wenn sie eine Einladung vorweisen können.
Von Kyjiw nach Gera – Ein Orchester im Krieg
Dabei half dann die Künstleragentur KD Schmid, die in kürzester Zeit eine Tour organisierte. Über Polen ging es nach Deutschland, wo das Orchester in den größten Konzerthallen spielte. Mit dem Ende der Tour musste eine dauerhafte Bleibe her. Die fand sich in Gera. Ein Glücksfall war hier ausgerechnet der große Leerstand an Wohnungen. So fanden die Musiker und Musikerinnen samt Familien eine Unterkunft.
Kyiv Symphony Orchester an kultureller Front
Neuer Trainingsort für das Ensemble von Weltrang ist die Tonhalle in Gera, wo fleißig geprobt wird. Auch wenn die Akustik des Ballettsaals die Proben erschwert, stehen Freude und Dankbarkeit im Vordergrund. „Wir sind gerne hier“, sagt Intendant Zaitsev. Auch Violinistin Tetiana Bahrii ist gerne in Gera, doch sie ist erschüttert von den Demonstrationen aus dem rechtsextremen Spektrum, die jeden Montag mit Russlandfahnen durch die Innenstadt ziehen. „Das Ziel der Russen ist es, die Ukrainer auszurotten“, erklärt Bahrii. „Dafür sind sie in unser Land gekommen und das ist es, was sie dort tun. Und wenn ich diejenigen sehe, die Russland unterstützen, möchte ich fragen: Warum? Warum wollt ihr meinen Tod?“
Orchester kämpft für Kultur
Das Orchester befindet sich laut den Musiker und Musikerinnen ebenso an einer Kriegsfront – wenn auch an einer kulturellen, denn Russland versuche, das Leben und die Kultur der Ukrainer zu zerstören. Deshalb müsse auch die ukrainische Kultur um ihren Fortbestand kämpfen. Durch ihre Konzerte hält das Orchester einen Teil der ukrainischen Kultur am Leben. Nicht nur weil sie viele Stücke ukrainischer Komponisten spielen. Mit Erfolg berichtet der Intendant: „Nach den Konzerten kommen regelmäßig deutsche Musiker:innen auf zu uns und fragen: Wie heißt der Komponist? Können sie uns die Partituren geben?“, sagt Zaitsev, der sich ähnlich wie seine Kollegin und Cellistin Daria Dziadevych darüber freut, in Gera eine neue Heimat gefunden zu haben – auch wenn sie vermittels Nachrichten und Montagsdemonstrationen immer aufs Neue mit dem Krieg konfrontiert sind. „Doch man kann das Ganze auch in Inspiration und Energie umwandeln“, erklärt Dziadevych. Inspiration und Energie, die sich am kommenden Samstag garantiert im Auftritt des Orchesters in Gera manifestiert.
Hard Facts:
- Wann? Sa., 21. Oktober | 19:30 – 21:30 Uhr
- Wo? Kultur- und Kongresszentrum | Schloßstraße 1 | Gera
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