Die Achava Festspiele Thüringen präsentieren seit dem 10. September zwei Wochen lang über 50 Veranstaltungen, davon neun große Konzerte, Kochkurse, mehrere Workshops, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen und Zeitzeugengespräche, unter anderem in Weimar, Erfurt und Gotha. Wir sprachen vorab mit den Organisatoren der Festspiele, die jüdische Kultur in den Mittelpunkt stellen.
Warum ist es in der heutigen Zeit besonders bedeutsam „Brüderlichkeit / Geschwisterlichkeit“ mit Kultur in den Fokus zu rücken?
Achava- also Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit im Sinne von Freundschaft – hat schon immer die Gesellschaft zusammengehalten. Jeder Mensch braucht Freunde und Familie, um sich wohl zu fühlen, Sicherheit zu spüren oder einfach gemeinsam etwas zu unternehmen. Im größeren Zusammenhang erleben wir aktuell beispielsweise Freundschaft im Umgang mit Flüchtlingen, die aufgenommen und unterstützt werden. Freundschaft verhindert Streitigkeiten oder ist zumindest Voraussetzung für Empathie bei einer Konfliktlösung. Wo Worte enden, kann Kunst wirken. Über Kunst und Kultur finden sich Wege und Ausdrucksformen, die auch Menschen ansprechen, die man persönlich nicht kennt. Kultur kann Dolmetscher sein, Wegweiser, Mahner. Sie kann unterhalten und verstören, aber auch versöhnen und vermitteln.
Was gibt es Neues bei den 8. Achava Festspielen im Vergleich zu den Vorjahren?
Die Arbeit mit den Überlebenden und Zeitzeugen wird stetig weiterentwickelt, es gibt Konzerte und Ausstellungen, sowie Strassenfeste und Kochkurse. Ganz neu ist die Open-Air Foto-Ausstellung „Sehnsucht nach dem Paradies“ des Fotografen Aribert Spiegler auf dem Erfurter Petersberg. In seinen schwarz-weiss Fotografien hält der die Sichtbarkeit des Glockenturms von Buchenwald in unterschiedlichsten Stadtansichten fest. Scheinbar weit weg, aber immer präsent. Die Peterskirche wird erstmalig nach der Sanierung wieder mit wunderbaren Konzerten bespielt, darunter Banda Communale aus Dresden und der Countertenor Nils Wanderer. Ein ganz neuer Partner ist die Stadt Gotha, die ein vielseitiges Programm zu den ACHAVA Festspielen anbietet. Hier wird nach über 80 Jahren der erste jüdische Gottesdienst mit anschließendem Kiddush am 16. September gefeiert.
Was sind die Highlights der Festspiele?
Schon das Eröffnungskonzert, das gleichzeitig das Abschlusskonzert des Weimarer Kunstfestes ist lohnt sich. Weitere Höhepunkte des diesjährigen Programms sind sicher die Konzerte in der Peterskirche sowie die H-Moll Messe mit dem Thüringer Bach Collegium am 15.9. in der Eisenacher Georgenkirche. Eisenach feiert ausserdem 500 Jahre Bibelübersetzung, so dass auch hier ein spannendes Programm, inkl. Strassenfest, Suppenduell, einem Shabbat G*ttesdienst sowie Konzerten bevorsteht. Die Gesprächsmöglichkeiten mit den Zeitzeugen sollte man sich ebenfalls nicht entgehen lassen, es könnte das letzte Mal gewesen sein. Am Internationalen Kindertag laden die ACHAVA Festspiele zum ACHAVA Strassenfest auf dem Petersberg ein mit buntem Programm und Leckereien.
Warum steht die jüdische Küche vermehrt im Fokus?
Die jüdische Küche ist äußerst vielseitig und hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer gewandelt, angepasst, verändert. Was für das jüdische Volk unmenschlich und tragisch war – regelmässige Progrome und Vetreibungen – gab den Rezepten immer neue Impulse. Beim Weimarer Kochkurs mit der Kanadierin Tanya Harding spielt der Mix aus europäischer und nordamerikanischer Küche eine Rolle. Beim Eisenacher Kochkurs mit dem Syrer Malik Alkhalifa lernen die Teilnehmer die orientalische Küche kennen, die heute viele Parallelen zur jüdisch-israelischen Küche hat.
Warum ist euch die Bildungsarbeit so wichtig?
Das Konzept des Schüler- und Bildungsprogramms ist deshalb so wichtig, weil nur die permanente Erinnerungsarbeit an vergangene Menschenrechtsverletzungen sowie das Aufzeigen aktueller Krisensituationen ein Bewusstsein bei der nächsten Generation schafft. Im Hinblick auf die ACHAVA Schülerveranstaltungen bereiten sich einzelne Klassen auf bestimmte Themen vor und kommen dabei auch oft aus der Komfortzone heraus. Die Gespräche mit Zeitzeugen – seien es Holocaustüberlebende oder jesidische Flüchtlinge – sind unbezahlbar, weil sie Berichte aus erster Hand liefern. Wir sind den Protagonisten unendlich dankbar, dass sie sich dazu berufen fühlen, immer wieder ihre dunkelsten Erinnerungen hervorzuholen, um der Jugend zu einem besseren Mensch-sein zu verhelfen.
Welches Konzert und welche Aktion dürfen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen?
Wir empfehlen 2 Wochen Urlaub, um alles zu sehen und zu hören! Aber je nach Interesse lohnen sich für Familien die Strassenfeste in Eisenach und Erfurt sowie die Schülerkonzerte mit dem Romano Glaszo Project aus Ungarn, für Klassikfans bietet das Konzert „Wandern zwischen den Welten“ eine spannende Mischung aus Barockmusik und Elektropop, Kunstliebhaber dürfen die Fotoausstellungen nicht verpassen und Hobbyköche die Kochkurse. Gotha hat tolle Stadtführungen, die sicher auch für Einheimische noch Neues bieten.
Warum ist es wichtig, dass es solche Festivals wie das Achava gibt?
Der jüdische Fokus entstand aus der langjährigen Erfahrung bei der Organisation der Jüdischen Kulturtage Berlin. Unabhängig davon ist der Intendant Martin Kranz schon lange in der Weimarer Kommunalpolitik unterwegs. Als evangelischer Pfarrerssohn, dessen Eltern in der Wendezeit auch politisch und gesellschaftlich aktiv waren, zeigte sich deutlich, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement ist. Ein Kernpunkt jüdischer Religion ist das lebenslange Lernen. Nie etwas als gegeben hinnehmen, nicht aufgeben, weiterdenken. Für ein friedliches Miteinander sind Dialog und Interesse am Anderen ebenso wichtig, wie sich von rassistischem und antisemitischen Gedankengut abzugrenzen. Und aus der Vergangenheit zu lernen, das schließt natürlich auch den Austausch mit den anderen Religionen ein.
Hard Facts:
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