0„Zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuh!“ Diese Zeile eines Kinderlieds ist für einen Bauhaus-Spaziergang durch Jena durchaus ernst zu nehmen. Denn man braucht gute Schuhe, die Stadt ist bergig und die wichtigsten Bauhaus-Gebäude liegen an steilen Hängen.
Beginn des Spaziergangs: Jenaer Stadtzentrum
Man beginne den Rundgang im Stadtzentrum, lege auf dem Ernst- Abbe-Platz den Kopf in den Nacken und lasse den Blick schweifen bis er, direkt unter dem JenTower auf Deutschlands ältestes Hochhaus trifft: Bau 15 des ehemaligen Zeiss- Werkes, 1915 nach Plänen des hessischen Architekten Friedrich Pützer erbaut. Noch nicht Bauhaus, aber mit vielem, was das Bauhaus auszeichnet: flaches Dach, große Fenster und die Faszination fürs Funktionale.
Weiter geht’s: am betriebsältesten Planetarium der Welt vorbei
Weiter geht es nordwärts, vorbei am betriebsältesten Planetarium der Welt. Es wurde 1926 eröffnet und vom örtlichen Architekturbüro Schreiter & Schlag entworfen – doch zu dieser Architektengemeinschaft später mehr, denn jetzt wartet das erste richtige Bauhaus-Denkmal.
Die Split-Level-Bauweise
Es gilt, einen schmalen Pfad zu erwischen und durch den Griesbachgarten bergauf zu laufen zur Mensa am Philosophenweg. Gebaut nach Plänen des Bauhaus-Absolventen Ernst Neufert und des Bauhaus-Ideengebers Otto Bartning, wurde sie 1930 fertiggestellt. Der Ziegel-Komplex fügt sich wie gestapelte Bauklötze an den Hang – in der Fachsprache nennt man das Split-Level-Bauweise. Er bietet viel Raum, ohne riesig zu wirken.
Wenige Schritte entfernt: das Abbeanum
Wenige Schritte entfernt steht das Abbeanum. Ebenfalls um 1930 von Neufert erbaut, lohnt es sich, in das Physik-Institut auch mal hineinzugehen und die Oberlichter zu betrachten, bevor es weiter bergauf geht, zur
Gillestraße 17.
Villenviertel-„Professorenhügel“
Hier ist man endgültig im scherzhaft „Professorenhügel“ genannten Villenviertel angekommen: Die schlichte Villa in roten Ziegeln und mit Balkonen, die wie ein Schiffsbug aussehen, wurde vom bereits erwähnten Büro Schreiter & Schlag entworfen. Wie sehr sie vom Bauhaus und der Stuttgarter Schule inspiriert wurden, zeigt sich auch an einer Villa in der Weinbergstraße 18 einige hundert Meter weiter südwestlich.
Das erbaute Haus ist zeitlos modern
Weißer Putz, runde wie kubistische Elemente und eine Dachterrasse, von der aus man Kilometerweit ins ferne Tal blicken kann – dieses 1928 erbaute Haus ist zeitlos modern. Und doch: Es steht im Schatten seines Nachbarn. Denn in der Weinbergstraße 4a findet sich die Villa Zuckerkandl. Deren Architekt hieß: Walter Gropius.
Neuer Hausbesitzer 2019
1929 zogen die Professorenwitwe Therese Zuckerkandl und ihre erweiterte Familie ein. 2019 bekommt das Haus einen neuen Besitzer. Zuletzt stand es über Monate zum Verkauf – für 10 Millionen Euro, inklusive der fast vollständig konservierten und denkmalgeschützten Inneneinrichtung. Leider wollte die Stadt Jena es nicht erwerben und für die Öffentlichkeit zugänglich machen: Nicht die Summe, sondern zu wenig Parkmöglichkeiten in der schmalen Hangstraße seien das Problem. Und so bleibt die Meldung aus, auch Jena habe ein Bauhaus-Museum – und einen zukunftsweisenden Elektro- Shuttle vielleicht noch dazu.
Schlichte, weiße Villa mit dem rosafarbenen Wintergarten
Ein letzter Blick noch auf die schlichte, weiße Villa mit dem rosafarbenen Wintergarten, dann läuft man bergab in die Stadt zurück. Nicht aber ohne in der Schefferstraße vor der Villa Auerbach Halt zu machen, dem bereits 1924 erbauten Gropius- Entwurf in Jena. Von der Straße aus wirkt es karg, fast unfreundlich. Zum Garten hin aber öffnen sich Fensterfronten und selbst als Zaungast kann man sich gut vorstellen, wie die intellektuellen Bauherren in diesem Haus lebten und diskutierten. Indes, die Förderer moderner Architektur, sie waren nur kurz in ihren phantastischen Häusern: Der Physiker Felix Auerbach und seine Frau Anna nahmen sich bereits im Februar 1933 nach Hitlers Machtergreifung das Leben, Therese Zuckerkandl und ihre Adoptivtochter taten es ihnen gleich, als sie Deportationsbescheide in ihrem schlichten Metallbriefkasten vorfanden.