Touristen wollen nach Weimar, junge Leute nach Jena. Familien zieht es nach Erfurt. Aber Gera? Vor rund 100 Jahren muss das anders gewesen sein: Gera war wohlhabend, weltoffen und beinahe vibrierend. Es gab Fabriken, Kinos, Klubs, Kunst und Avantgarde-Architektur. Davon zeugt die Zahl 53 – so viele eingetragene Bauhausdenkmäler gibt es in der ehemals florierenden Industriestadt. Das ist definitiv die höchste Dichte in Thüringen, vielleicht sogar weltweit. Sie alle aufzusuchen würde den Rahmen eines Spaziergangs sprengen. Picken wir uns also die schönsten und spannendsten heraus.
Unsere Karte für euren Bauhaus-Spaziergang in Gera:
Keine Stadt hat mehr Bauhaus-Denkmäler als Gera
Ich starte in der Wiesenstraße 202. Dort plante Thilo Schoder 1918/19, gerade einmal 30 Jahre alt, den Industriebau Golde: Klare, schlichte Formen, große Sprossenfensterfronten, abgerundete Ecken – man sieht dem Gebäude an, dass Schoder in Weimar Meisterschüler Van de Veldes war. Wie schnell er sich vom Art-Nouveau-Architekten zum Meister des Neuen Bauens entwickelte, zeigt ein anderes Geraer Industriegebäude. Es steht in der Langen Straße 73. Hier stockte Schoder für Paul Schulenburg 1925 die Woll- und Seidenweberei auf und wirkte auch als Innenarchitekt – das Empfangszimmer ist originalgetreu restauriert und im Rahmen spezieller Stadtführungen zu besichtigen.
Das berühmte Haus Schulenburg
Ganz in der Nähe ist in der Walter-Erdmann-Straße 28 das Wohnhaus Kratsch/ Schumann zu bewundern. Schoder baute es 1929 – im reinsten Bauhaus-Stil mit Flachdach, Übereck- Fensterfronten und relingartigem Balkongeländer. Weiter geht es nach Norden in Richtung Innenstadt. Im berühmten Haus Schulenburg, jener noch fast schlossartigen Villa, die Henry Van de Velde 1913 für den Textilfabrikanten Paul Schulenburg plante, ist heute ein Museum. Ausstellungen gehen auf van de Velde als “ Wegbereiter des Bauhauses“ (15. März 2019 bis 15. Februar 2020) ein und zeigen Schlüsseldokumente aus dem Nachlass Thilo Schoders (noch bis 15. Januar 2020).
Eine Grafik veranschaulicht das Haus Schulenburg
So viel Bauhaus auf engstem Raum!
Rund 800 Meter von Haus Schulenburg entfernt findet man ein Bauhaus- Konglomerat, das zwar weniger berühmt ist, aber zeigt, wie sehr das Neue Bauen in Gera florierte: In der Vollersdorfer Straße 13 baute Schoder 1928 ein Wohnhaus, das Bauhauselemente und fast skandinavisch anmutende Holzvertäfelung kombinierte. Prompt entstand auf dem Grundstück der Nummer 15 im Jahr darauf eine ganz ähnliche, holzvertäfelte Villa der Geraer Architekten Eckler und Knoblauch. Zeitgleich baute das ebenfalls in Gera ansässige Büro Heinrich Drechsel schräg gegenüber für den Gemeinnützigen Bauverein Reuß extrem schlichte Doppelwohnhäuser, die eine Putz- und Ziegelfassade kombinieren. So viel Bauhaus auf engstem Raum!
Für mehr freshe News und geilen Scheiß:
Unübersehbare Architektur
Weiter geht es in die Schlossstraße 11 – dem Handelshof, erbaut vom Berliner Architekten Hans Brand. Auch am Bahnhof finden sich unübersehbare Bauhaus-Spuren: das ehemalige Postamt am Bahnhofsplatz 1 des Erfurter Architekten Wilhelm Düwel von 1930. Von dort ist es ein Katzensprung zu zwei schönen Ziegelbauten Schoders, die im Bauhaus-Jahr teilweise Endpunkt organisierter Stadtführungen mit Konzerten zum Ausklang sein werden: In der Kurt-Kreicher-Straße 11 baute Schoder ein symmetrisches Wohnhaus. Wenige Meter entfernt steht dann Schoders letzter reiner Ziegelbau in der Gagarinstraße 19: Die Frauenklinik Dr. Ernst Schäfer – heute ein Bürogebäude. In die Julius-Sturm-Straße 6 baute Schoder 1926 das Wohnhaus Meyer. Früher vom Mitteldeutschen Rundfunk genutzt, steht dieses Denkmal derzeit leer. Es wartet wohl geduldig darauf, dass der Immobilienboom irgendwann auch Gera erreicht.
Mehr über Bauhausjubiläum auch unter: bauhaus100.de
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