Wenn im Juni erstmals rund 30 unterschiedlichste Menschen in den alten Industriehallen des Kreativstandortes Kontor in Erfurt zusammenkommen, geht das Projekt „Change my Mind“ in seine zweite, spannende Phase. Ilversgehofener Urgesteine werden sich mit Zugezogenen, Studierenden, Kulturakteuren des Stadtteils und denen, die hier Arbeiten und diesen vielseitigen Ort prägen, in einem „Dialog der Vielfalt“ über Diversität und Inklusion austauschen. Persönliche wie berufliche Kenntnisse, Empowerment und Diskriminierungserfahrungen stehen im Vordergrund.
Klanggerüst fördert Kultur im Erfurter Norden
Das Projektteam des Klanggerüst e.V. hat die Zusammensetzung des Bürger:innendialogs bewusst divers gewählt: Menschen von 16 bis 80 Jahren mit verschiedenen sozialen und beruflichen Biografien, mit und ohne körperlichen Beeinträchtigungen oder auch Menschen mit verschiedenen kulturellen und religiösen Lebensrealitäten sind Teil des Projektes. „Das Format ist der Idee der Bürger:innenräte entsprungen, die in Europa gerade eine beliebte Form der gesellschaftlichen Teilhabe sind“, erklärt die Projektleiterin Anna Allstädt. Dazu verteilten sie und ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Kulturmanagement, Psychologie, Theaterpädagogik, Grafikdesign, globale Geschichte und BWL mehr als 500 Briefsendungen mit Einladungen an die Haushalte in Ilversgehofen.
Der Klanggerüst e.V., ein Verein, der seit 14 Jahren die Kunst und Kulturschaffenden im Norden von Erfurt fördert, hat sich in den vergangenen Monaten zunächst selbst unter die Lupe genommen und das eigene Programm wie die internen Strukturen auf ein diversitätsbewusstes Miteinander abgeklopft. Anna bemerkt im Interview mit t.akt, dass im alltäglichen Ehrenamt wenig Raum für eine bewusste Reflexion zu Wertefragen bleibt. „Die Projektförderung des Fonds Soziokultur zum Thema Diversität und Inklusion ist eine sehr gute Gelegenheit, die ehrenamtlichen Strukturen weiterzuentwickeln und neue, vielfältigere Mitglieder:innen zu gewinnen.“
Konkrete Maßnahmen für Diversität
So setzten sich rund 20 aktiv Gestaltende des Klanggerüst e.V. mit zahlreichen Fragen auseinander: Sind wir offen, vielfältig und niedrigschwellig genug, um für Ilversgehofen als Kulturort anerkannt zu sein? Spiegeln unsere Projekte die zunehmende Diversität des Stadtteils und sind gleichermaßen einladend für Familien mit Kindern, People of Colour oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen? Wie können wir souveräner auf Sexismus bei Vielfalt Veranstaltungen reagieren? Welche konkreten Maßnahmen können umgesetzt werden, um noch mehr ein Ort des vielfältigen Austauschs zu werden? Dieses ambitionierte Vorhaben setzt ein wichtiges Zeichen für die Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der Stadtteilkultur. Wie relevant solche Projekte sind, zeigt sich nicht zuletzt an den Ergebnissen der letzten Landtagswahl von 2019. Ilversgehofen spaltet sich zunehmend in einen linken und einen rechten Wähler:innenkreis – ein Problem, dass in vielen Städten Deutschlands die urbane Gemeinschaft und das zukunftsfähige Miteinander vor soziale Herausforderungen stellt.
Inklusive und diverse Formate in Ilversgehofen
Das partizipative Projekt „Change my Mind“ hat das Potenzial, Menschen zusammenzuführen und in einen nachhaltigen Dialog zu bringen, die sonst aus Angst vor Ausgrenzung, vermeintlich fehlenden Erfahrungshintergründen oder schlicht wegen Missverständnissen nicht zueinander finden. „Sollte uns die Pandemie nicht dazwischen funken“, so Anna Allstädt optimistisch, „würden an vier moderierten und methodisch begleiteten Dialogen im Laufe des Sommers nicht nur die Empathie für die verschiedenen Bedürfnisse gesteigert, sondern auch konkrete Veranstaltungsideen für inklusivere und diversere Formate in Ilversgehofen entstehen.“ Im August könnten dann ein internationaler Liederabend, ein generationsübergreifendes Straßenfest, feministisches Kino, Garten-Workshops oder eine Diskussionsreihe zum inklusiveren Zugang zu Kunst und Kultur stattfinden. Vieles sei möglich und soll möglich sein.
Projekt erhält Unterstützung
Schon jetzt bringt das vorerst bis Oktober 2021 währende Projekt verschiedene städtische Akteure zusammen und erfährt Unterstützung durch den gut vernetzten Quartiersmanager Oliver Gerbing, der traditionsreichen Musikbar Ilvers, dem neuen Kreativstandort Kontor, dem städtischen Beirat für Menschen mit Behinderung, dem thüringenweit agierenden LAP Erfurt (Lokalen Aktionsplan gegen Rassismus) und der Thüringer Staatskanzlei. Dass das Projekt „Change my Mind“ bzw. der „Dialog der Vielfalt“ als eine Art Expert:innengremium weitergehen könnte oder ob sich daraus langfristige Kooperationen und Veranstaltungsformate etablieren, wäre eine wünschenswerte Entwicklung. Der Grundstein für ein neuartiges und nachhaltiges Miteinander ist durch das Einbeziehen von verschiedensten Menschen und Organisationen schon jetzt gelegt.