Vielleicht brauche ich mal eine Pause von der Medienpädagogik und muss einfach mal ein paar Gedanken zum Thema ruhen lassen und irgendwann wieder aufgreifen. Denn ganz so schlimm, wie es die Überschrift formuliert, ist es ja noch lange nicht. Außerdem wird der Originalauszug aus Heinrich Heines „Nachtgedanken“ auch gerne von Schwarzmalern genutzt, was ich an dieser Stelle nicht sein will. Dennoch möchte ich für die ruhigen Sommernächte gerne ein paar Gedanken und Impulse teilen. Vielleicht eröffnen sie euch ja neue Perspektiven oder regen einfach nur ein wenig zum Nachdenken an.
Medienkompetenzen schon in der Schulzeit vermitteln
1. Aktuell wird viel darüber diskutiert, ob ein Fach „Medienkunde“ bundesweit in Schulen verpflichtend eingeführt werden soll. In solch einem Unterrichtsfach sollen sowohl technische als auch kritisch-reflexive Kompetenzen im Umgang mit Medien vermittelt werden. Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler fit im Umgang mit digitalen Tools, künstlicher Intelligenz und den sozialen sowie gesellschaftlichen Herausforderungen der Digitalisierung zu machen. Wieder einmal versehen Erwachsene Entscheidungsträger junge Menschen mit einem immensen Kompetenzdefizit, um das es sich möglichst bald zu kümmern gilt. Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz zu vermitteln ist dabei natürlich absolut richtig und wichtig. Dennoch lohnt es sich auch als Erwachsener die eigene Medienkompetenz zu hinterfragen.
Betrugsmaschen, Verschwörungserzählungen, Hassrede und viele weitere digitale Problemlagen haben meist erwachsene Absender und Adressaten. Die Einführung eines niedrigschwelligen und lebenslangen Unterstützersystems beim Umgang mit neuen Herausforderungen und Bedarfen könnte die Gesellschaft auf vielen Ebenen voran- und zusammenbringen. Doch wie man alltägliche Strukturen aufbrechen kann, um individualisierte Bildungsangebote für alle Menschen zur Verfügung zu stellen, ist ein ganz eigenes Thema, das den Rahmen dieses Kommentares sprengen würde. Vielleicht kann aber dieses Zitat von John F. Kennedy ein wenig zum Weiterdenken anregen: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“
Eine zeitgemäße Unterrichtsgestaltung muss her
2. Dass unser aktuelles Schulsystem nach preußischem Vorbild schon lange nicht mehr so funktioniert, wie es soll, ist wahrscheinlich den meisten klar. Anpassungen und Veränderungen müssen her. Dabei wird sowohl über zeitgemäße Leistungserhebungen und Unterrichtsgestaltung debattiert als auch über neue Fächer wie Ernährungskunde, Kommunikation, Umgang mit dem Klimawandel oder das Fach „Glück“, um Zufriedenheit und Lebenskompetenz zu vermitteln. Was dabei mit den klassischen Unterrichtsfächern wird oder ob die neuen Inhalte noch obendrauf kommen, steht dabei noch nicht fest. Der Alltag eines jungen Menschen ist dabei eh schon sehr vollgestopft und sollte nach meinem Empfinden zugunsten der individuellen Hobbys und Ideale entschlackt werden.
Kurze Wechsel für viele neue Inhalte und Themen
Zum Vergleich: Eine vollarbeitende Lehrkraft im Sekundarbereich unterrichtet zwei bis drei verschiedene Fächer und bei hundertprozentiger Anstellung bis zu 26 Unterrichtsstunden pro Woche. Hinzu kommen Vor- und Nachbereitung der jeweiligen Fächer. Ein Zehntklässler lernt in bis zu 14 verschiedenen Unterrichtsfächern bei einem Umfang von bis zu 34 Unterrichtsstunden pro Woche. Thematisch werden in kurzen Wechseln permanent neue Inhalte und Themen aufgemacht, die es zu bearbeiten gilt. Hinzu kommen Hausaufgaben, Lernen für Leistungserhebungen und außerschulische Aktivitäten in Vereinen oder externen Bildungseinrichtungen. Wenn der Lehrberuf schon anstrengend ist, wie anstrengend klingt denn dann erst das? Eine Reduktion durch individualisierten Unterricht könnte ein zielgerichteteres und entspannteres Lernen und Lehren für Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte ermöglichen.
3. Eine Anpassung von Schule und pädagogischer Begleitung ist aus meiner Sicht auf jeden Fall dringend notwendig. Ob ein separates Fach „Medienkunde“ alle Probleme löst, wage ich aktuell zu bezweifeln. Sowohl die Unis als auch die Studienseminare, in welchen die zukünftigen Lehrkräfte ausgebildet werden, sind aktuell noch nicht in der Lage, diese pädagogischen Kompetenzen umfassend an die neuen Pädagoginnen zu vermitteln. Meist werden notgedrungen dann junge Lehrkräfte oder klassische Informatiklehrer für die Medienkompetenzvermittlung eingesetzt, ohne sie auf komplexe digitale Themen wie Social Media, Geschlechtsidentitäten und -vorbilder oder virtuelle Welten vorzubereiten, geschweige denn auf Problemlagen wie Cybermobbing, Konsum nicht altersgerechter Inhalte oder Anzeichen von digitaler Sucht. Genauso wie Schreiben, Rechnen oder körperliche Bewegung Teil von Unterrichtsstunden sein sollten, müssen es auch digitale Themen aus der direkten Lebenswelt sein. Und dazu sollten wir dringend die Ausbildung unserer zukünftigen pädagogischen Fachkräfte unter die Lupe nehmen.
Die Schule: ein autokratischer Ort
4. Wir wollen jungen Menschen die Werte der Demokratie vermitteln und schicken sie dazu in einen absolut autokratischen Ort: die Schule. Menschen, die in starren Hierarchien heranwachsen, werden nur in anderen Kontexten demokratische Verhaltensweisen kennenlernen und anwenden können. Warum können Schülerinnen und Schüler Themen der Schulentwicklung und Bildung nicht mitbestimmen? Warum entscheiden Erwachsene über den Essensanbieter einer Schule, wenn die Kinder und Jugendlichen dann die Suppe wortwörtlich auslöffeln müssen? Klassenzimmer und Schulausflüge können gemeinsam gestaltet werden. Sogar Unterrichtsinhalte, Methoden und Umgangsweisen können mit der Zielgruppe besprochen und festgelegt werden. Und dass schulische Bewertung nur von oben nach unten passiert, stört mich schon lange. Schülerinnen und Schüler sollten auch die Möglichkeit bekommen, Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge zu geben und vor allem darin auch ernst genommen werden. So könnten nachhaltig wichtige Kompetenzen für das Miteinander in zukünftigen Beziehungs-, Freundschafts- oder Arbeitsstrukturen gelegt werden.
Die kleinsten Impulse können Dinge verbessern
Und nun lass ich euch mit meinen Gedanken allein, welche ich aus meiner privilegierten Stellung als freiberuflicher Medienpädagoge gut äußern kann, denn an den entscheidenden Stellschrauben sitzen andere. Aber vielleicht führen ja auch die kleinsten Impulse dazu, Dinge zu verbessern. Aufgeben will ich dieses Ideal nicht. Dann wäre ich nämlich wirklich um den Schlaf gebracht.
Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter Kay Albrecht die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne im t.akt über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.