Die Jugend von heute hat keinen Respekt mehr vor Autoritäten, ist komplett selbstverliebt und hängt nur noch am Smartphone. Sie will möglichst viel Geld verdienen und dabei möglichst wenig arbeiten. Wir Erwachsenen wissen noch, wie sich eine glückliche Kindheit anfühlt. Wir waren noch draußen spielen und haben aufeinander aufgepasst. Das waren noch ganz andere Zeiten.
Medienpädagoge Kay klärt auf – Die Jugend von heute…
Sind euch solche Aussagen selbst schon einmal durch den Kopf geschwirrt oder habt ihr sie im Gespräch mit Bekannten oder Verwandten gehört? Wenn ja, dann ist das völlig normal und absolut nichts Neues. Diese Form des nostalgischen Erinnerns nennt man die „Rosige-Vergangenheit“-Verzerrung. Hierbei werden vergangene Ereignisse und Situationen positiver bewertet, als sie wirklich waren. In zahlreichen Studien (u.a. von Terence Mitchell, 1997) wurde dokumentiert, dass Menschen schon nach wenigen Tagen negative Emotionen und Gedanken vergessen und sich nur noch an schöne Momente erinnern. Die Forscher vermuten, dass dies daran liegt, dass man je mehr Zeit vergeht, Geschehnisse nicht mehr so persönlich nimmt. Außerdem erinnern wir uns lieber an emotional bedeutungsvolle Ereignisse. Diese sind häufig mit positiven Emotionen wie Freude, Glück und Zufriedenheit verbunden und bleiben so länger im Gedächtnis.
Nostalgisches Erinnern führt also dazu, dass unser Gedächtnis einen Filter einbaut, der sowohl Vorteile als auch Nachteile haben kann. Starten wir doch mit den positiven Aspekten. Die bleiben scheinbar eh länger hängen. Nostalgie kann unserem Wohlbefinden zuträglich sein. Alte Lieblingslieder anzuhören, Fotos anzuschauen oder in Erinnerungen zu schwelgen kann zufriedener, selbstbewusster und optimistischer machen, weiß das Wissenschaftsmagazin „Spektum“ zu berichten. Wir empfinden unser Dasein mit nostalgischem Blick als sinnvoll und wichtig. In der Fachzeitschrift „Journal of Neuroscience“ wird sogar nachgewiesen, dass nostalgische Gefühle Schmerzen lindern können. Hirnareale, die mit dem Schmerzempfinden verknüpft sind, sind beim Erinnern weniger aktiv.
Generationskonflikte gab es schon immer
Wie kann nun bei all dem positiven Effekten, nostalgisches Erinnern auch negative Auswirkungen haben? All die schönen Gefühle und Gedanken, sollten nicht dazu führen, dass wir unsere Erlebnisse idealisieren und nachfolgende Generationen abwerten. Generationskonflikte gab es zwar schon immer, sorgen aber nicht selten für Reibung. Schon im antiken Griechenland wurde sich über die Jugend aufgeregt, die keinen Respekt mehr hat und ihre Beine übereinanderschlägt, anstatt sich gerade hinzusetzen. Von dieser sittenhaften Verschlechterung der jungen Generation weiß schon die antike Komödie „Die Wolke“ von Aristophanes 423 v. Chr. zu berichten. Sokrates selbst wurde unter anderem hingerichtet, weil er angeblich die Jugend verderbe, indem er kritisches und selbstständiges Denken lehrte.
Der Generationenwandel
Der Einfluss der Medien befeuert diesen Konflikt noch mal. Die Nutzung von Me[1]dien gibt den jungen Menschen die Möglichkeit, sich der Kontrolle und dem Sichtfeld der Eltern und anderen erwachsenen Menschen zu entziehen. Medieninhalte beeinflussen dabei nicht selten ihre Rezipienten und können kritische Gedanken oder unerwartete Verhaltensweisen hervorrufen. Der Hüftschwung von Elvis, Madonnas freizügiges Outfit oder die Auswirkungen der Beatlemania – welche ganze Heerscharen junger Mädchen in ekstatische Schreiorgien versetze – immer wieder gab es ältere Generationen, die sich sowohl aus Sorge als auch aus Unverständnis darüber echauffierten, was mit dieser Jugend bloß los sei. Im 19. Jahrhundert wurden die Kinderbücher verteufelt, da sie mit ihren Phantasiewelten zu Realitätsferne führten. Im 20. Jahrhundert sorgten Film und Fernsehen für riesige Sucht- und Verwahrlosungsdebatten. Die „Generation Fernsehen“, welche lethargisch vor der Flimmerkiste hockt und sich bestrahlen lässt, wurde abschätzig belächelt.
Die Generation von Heute
Und heute sind es Smartphones und Social-Media-Apps, die Eltern und Pädagoginnen in verzweifeltes Kopfschütteln versetzen. Phänomene, die es zur eigenen Jugendzeit nicht gab, können nicht nostalgisch aufgeladen und positiv besetzt werden. Abweichungen zu den eigenen Erlebnissen wird häufig mit Unverständnis begegnet. Und natürlich kann man über TikTok, YouTube, Gangster Rap, Fortnite und Co. auch allerhand Schlechtes berichten. Doch sind Talk-Shows, Gerichtssendungen, vermeintliche Reality-Shows wie „Dschungelcamp“ oder Klatschzeitungen wie „Die Bunte“ auch nicht das Ergebnis hochqualitativer Medienproduktion.
Lebenswelten verändern sich gerade rasant. Die Digitalisierung und eine wach[1]sende Bedürfnisorientierung ermöglichen andere Blickwinkel auf Arbeit und Privates. Ökologische, ökonomische und geopolitische Herausforderungen können bedrohlich wirken und Sicht- und Verhaltensweisen maßgeblich beeinflussen. Hinzu kommt, dass junge Menschen sich von Erwachsenen abgrenzen und eigene Identitäten, Rollen und Lebensentwürfe ausprobieren wollen. Dabei sollten wir akzeptieren, dass diese Veränderungen sowohl mit positiven als auch negativen Effekten einher[1]gehen. Wollen wir der jungen Generation mit Rat und Tat zur Seite stehen, sollten wir diese nicht mit Abwertung strafen. Niemand wird mit mir über Ängste und Probleme reden, wenn die Gefahr einer geringschätzigen und abwertenden Gegenreaktion besteht. Lasst uns also die positiven Aspekte nostalgischen Erinnerns nutzen und mit fröhlichem Blick zurückschauen. Gleichzeitig sollten wir aber auch alles dafür tun, dass die Kinder und Jugendlichen von heute dies in gar nicht allzu weit entfernter Zukunft auch noch tun können.
Autor und Medienpädagoge Kay Albrecht ist Profi auf seinem Gebiet. Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne im t.akt über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.
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