In meiner Februar-Kolumne haben wir uns den Kopf über den ganzen Hass im Netz zerbrochen. Kaum ein journalistischer Beitrag mit etwas Reichweite, kann sich auf Social Media noch vor dem übelriechenden Herannahen des Shitstorms schützen. In den Kommentarspalten werden immer schnell die Schuldigen gefunden: die Anderen! Währenddessen möchte man selber am liebsten gar nichts ändern oder reflektieren, da ja sonst das fragile Kartenhaus der eigenen Weltsicht zusammenfallen könnte und die eigene Fehlbarkeit in Kommunikation und sozialem Miteinander sichtbar wird. Wut und Hass sind zwei trotzige Halunken, die kurzzeitig Genugtuung liefern können aber oft viele Beteiligte mit nichts als Leere zurücklassen.
Digitaler Hass mit Silencing Effekt
Alexandra Witting und Elisa Hoven von der juristischen Fakultät der Universität Leipzig forschen unter anderen zu digitalem Hass und haben in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter“ von 2021 den sogenannten „Silencing Effect“ beschrieben. Dieser fußt auf einer Befragung mit folgendem Ergebnis: „… 42 Prozent aller Befragten haben angegeben, dass sie aufgrund von Hassrede vorsichtiger eigene Beiträge im Internet formulieren oder darauf verzichten, etwas zu posten; bei den von Hate Speech betroffenen Personen sind es sogar 68 Prozent.“ Wer Hass und Hetze als Meinungsfreiheit deklariert, unterdrückt die freie Meinungsäußerung vieler anderer Menschen. Im digitalen Raum sind diejenigen, die schweigen, dann nicht sicht- und wahrnehmbar
Wie kann man also dafür sorgen, dass Menschen nicht leiser, sondern bestärkt werden, digitale Kommunikationsräume für sich zu nutzen? Die Antwort ist denkbar einfach: Wenn ein Shitstorm mit Hass und Hetze Diskurse vergiftet, dann kann ein Love-Storm mit positiven Kommentaren das komplette Gegenteil erzeugen. Jetzt hat so ein Love-Storm nichts mit der schnulzigen Telenovela „Sturm der Liebe“ auf ARD zu tun, kann aber unter Umständen genauso erfolgreich sein, wie die Namensvetterin.
Mit digitaler Zivilcourage deeskalieren
Das Buch „LOVE-Storm – Das Trainingshandbuch gegen Hass im Netz“ von Margaretha Eich, Björn Kunter, Bea Tholen und Markus Wutzler aus dem Jahr 2022 gibt dem Prinzip des LoveStorms einen simplen Äquivalenzbegriff: digitale Zivilcourage. „Mit digitaler Zivilcourage können und sollen Konflikte daher nicht gelöst, sondern deeskaliert werden. […] Ziel von Zivilcourage ist es dann, vor allem die negativen Wirkungen von Hass und Gewalt auf Angegriffene und Zuschauende einzudämmen. Das Handeln des Angreifenden ist dagegen eher nebensächlich. Im besten Fall gelingt es, dass die Angriffe eingestellt werden.“ Die Autorinnen und Autoren des Werkes sagen also nichts anderes, als dass man erstmal die Würze aus dem Konflikt nehmen muss, bevor man sich an die Bearbeitung und eventuelle Lösung macht.
Beeinflussung der Debattenkultur
Personen, die digitale Kommentare absetzen, wollen etwas mitteilen und wahrgenommen werden. Das ist das grundlegende Prinzip von Kommunikation. In digitalen Räumen, in denen der Hass dominiert, wird dieser als normale Kommunikation wahrgenommen und als Echokammer verstärkt. Hater erlangen Selbstwirksamkeit, weil andere Hater ihnen diese verleihen. Die sachliche und vernunftorientierte Diskussion verstummt (siehe Silencing Effect). Finden sich im Kommentarbereich positive Kommentare, beeinflussen diese maßgeblich die Debattenkultur. Einerseits werden verschiedene Meinungen wieder sichtbar. Andererseits nehmen Angegriffene und Zuschauende Unterstützung wahr und können so mehr Selbstwirksamkeit erlangen. Der Hass verfehlt sein Ziel und versinkt in der Masse an positiven Kommentaren in der Bedeutungslosigkeit.
Die gemeinnützige Organisation für Menschenrechte im Netz „HateAid“ umschreibt das Phänomen wie folgt: „Positive Kommentare können nicht nur das Unterstützungsgefühl verstärken, sondern auch Kreativität und Produktivität steigern. In einem positiven Umfeld fühlen sich Menschen ermutigt, ihre Ideen, Meinungen und Projekte zu teilen, was zu fruchtbaren Diskussionen, innovativem Denken und neuen Ideen führt. Online-Communitys, die auf positiven Interaktionen und Unterstützung basieren, ziehen Menschen an, die nach einer Umgebung suchen, in der sie sich frei äußern können, ohne Furcht vor Verurteilung oder Anfeindung.“
Mehr sachliches Feedback
Anstatt also Hass im Netz mit im schlimmsten Fall ebenso gewaltvollen Gegenkommentaren zu begegnen, sollte man den Hass in der Kommentarspalte zunächst überwältigen, indem man unabhängig davon positive Kommentare formuliert. Das kann sowohl Dankbarkeit als auch Freude über den zu kommentierenden Inhalt sein oder konstruktives und sachliches Feedback. Wer selber nicht kommentieren will, kann auch einfach positive Kommentare liken. Ist im digitalen Raum erstmal ein Normalzustand gesunder Kommunikation hergestellt, ist auch ein Diskurs möglich, der etwas Lösungsorientiertes hervorbringen kann. Oder wie es HateAid schreibt: „Das Netz hat uns die Fähigkeit gegeben, unsere Gedanken und Gefühle weltweit in Sekundenschnelle zu verbreiten. Dabei Gutes zu teilen, liegt in unseren Händen.“
Hard Facts:
- Kostenfreier Crash-Kurs: Ausbildung zur oder zum Faktenforschenden am 19. und 20. April in Erfurt.
- Anmeldung unter: anmeldung@faktenforschen.de
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