Wenn der Nachwuchs das Süßigkeitenfach geplündert hat und die offensichtliche Tat mit schokoladenverschmiertem Mund leugnet, dann heben wir mahnend den Zeigefinger und zischeln: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht.“ Diese Warnung ist gleichzeitig eine Drohung und soll dem kleinen Langfinger die Auswirkungen eines Vertrauensbruchs verdeutlichen. Denn sollten in naher Zukunft wieder mühselig angehäufte Schokoladenreste auf magische Weise verschwinden, wird unser voreingenommener Blick zuerst den Übeltäter vergangener Tage ins Visier nehmen. Und dann wird ein wahrhaftiges Unschuldsplädoyer doch immer den Schimmer einer Lüge in sich tragen.
Lügen lohnt sich nicht. Oder doch?
Lügen lohnt sich also nicht. Oder doch? Im Jahr 2018 sagte der ehemalige Chefstratege und Berater von Donald Trump: „The Democrats don’t matter. The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit.“ (Anm. d. Red.: „Die Demokraten spielen keine Rolle. Die eigentliche Opposition sind die Medien. Und der Weg, mit ihnen umzugehen, besteht darin, den Bereich mit Scheiße zu fluten.“) Wie in einem klassischen „James Bond“-Film verriet der Bösewicht erstaunlich ehrlich und transparent seinen ultimativen Plan. Die verfeindeten Medien werden mit allerlei Unsinn und Lügen überflutet, um ihnen die qualitative Arbeit so schwer wie möglich zu machen. Ein den Plan vereitelnder britischer Geheimagent mit „Doppel Null“-Status erschien jedoch nie. Im Gegenteil. Bannon und Trump kamen mit diesem Plan bei einem großen Teil der Bevölkerung sogar erstaunlich gut durch.
Lügen lohnt sich also doch. Vor allem, wenn die Lügen eine starke emotionalisierende Wirkung besitzen und Menschen in ihren Überzeugungen und Gedanken abholt. Kinder, die über eine ungerechte Behandlung seitens der Lehrkraft lügen, werden bei den Eltern eine höhere Chance haben, durchzukommen. Gerade, wenn die Eltern eh schon keine gute Meinung von der Schule und dem pädagogischen Personal ihr Eigen nennen. Außerdem gilt es ja, den eigenen Nachwuchs zu schützen und zu verteidigen. Parallel dazu werden in vielen Bevölkerungsgruppen das Land und die Lebensweise verteidigt. Entsprechende Ängste und Sorgen können dabei ein wunderbarer Katalysator sein. Und ist an manchen Lügen nicht vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit dran?
Hinterfragen oder sich emotionalisieren lassen?
Um dies herauszufinden, müssten wir uns die Zeit nehmen, um zu recherchieren, zu hinterfragen und Sichtweisen sowie Kontexte abzuwägen. Was für ein furchtbar anstrengendes Unterfangen. Dann doch lieber zurücklehnen und sich emotionalisieren lassen. Ein bewehrtes Rezept, welches in der Unterhaltungs- und Werbebranche schon lange hervorragend funktioniert.
Dem „Wahrheitseffekt“ verfallen
Also konsumieren wir fröhlich Medieninhalte, die unseren Präferenzen am ehesten entsprechen und verfallen so dem sogenannten „Wahrheitseffekt“. Der österreichische Psychologe Werner Stangl erklärt diesen wie folgt: „Der Wahrheitseffekt beschreibt das Phänomen der kognitiven Psychologie, (Anm. d. Red.: Psychologie, die das Wahrnehmen, Denken und Erkennen betreffen) dass Aussagen, die zuvor bereits gehört oder gelesen wurden, ein größerer Wahrheitsgehalt zugesprochen wird als solchen, die zum ersten Mal gehört werden.“ Je öfter ich also eine Wahrheit oder Lüge höre, um so eher bin ich geneigt diese für wahr zu halten. Wenn wir uns nun in sozialen und medialen Filterblasen bewegen, werden entsprechende Ansichten, Informationen, Wahrheiten und Lügen häufiger wiederholt und gewinnen somit an Wahrhaftigkeit.
Dies betrifft natürlich alle Aspekte der eigenen Meinungsbildung. Entsprechend der eigenen sozialen Prägung und des individuellen Medienkonsums, manifestieren sich politische und gesellschaftliche Ansichten dank ihrer Wiederholung. Wenn ich also in meiner sozialen und medialen Filterblase immer wieder höre, dass ein Tempolimit sinnvoll ist, dann werde ich diese Ansicht vehement vertreten, weil sie für mich wahrhaftig geworden ist. Bin ich in einer entsprechend gegenteiligen Filterblase unterwegs, werde ich ein Tempolimit wohl mit aller Kraft ablehnen. Wenn nun ein konstruktiver Diskurs zwischen Vertreterinnen der unterschiedlichen Positionen stattfinden soll, wird dies nur schwer funktionieren, da ja beide Parteien fest davon überzeugt sind, auf der Seite der Wahrheit zu stehen. Ob ich zuvor auf eine Lüge oder Manipulation hereingefallen bin, spielt ab dem Punkt schon kaum eine Rolle mehr
Recherche und Faktenchecks nutzen
Was also tun? Es gibt viele Wege und Möglichkeiten die eigene Informationskompetenz zu stärken und Kommunikationsstrategien zu trainieren. Dafür werde ich mir in den nächsten Beiträgen noch ausführlicher Zeit nehmen. An dieser Stelle sollen aber bereits zwei Tipps verraten werden. Erstens: Wenn euch etwas komisch vorkommt, hört auf euer Bauchgefühl. Mit einer einfachen Suchanfrage im Internet findet man häufig und schnell weiterführende Informationen. Faktenchecks vom „ARD Faktenfinder“ oder die deutsche Webseite der französischen Agence France-Presse (AFP) geben schnelle und verständliche Hilfestellungen.
Zuhören ist schon mal ein Anfang
Zweitens: Seid euch euerer Filterblase bewusst. Wen ihr mit Menschen kommuniziert, die eine andere Weltsicht haben als ihr, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihr unterschiedliche „Wahrheiten“ konsumiert habt. Erzählt euch zunächst welche Informationen ihr woher habt und öffnet eure Filterblase für das Gegenüber. Dies ist nicht immer leicht und führt auch selten zum Ergebnis einer harmonischen Übereinkunft. Die andere Person aber mit allen Mitteln vom eigenen Standpunkt überzeugen und bekehren zu wollen, wird jedoch noch seltener funktionieren und sollte auch nicht grundlegendes Ziel der Kommunikation sein. Zuhören ist jedoch schon mal ein Anfang.
Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter Kay Albrecht die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne im t.akt über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.