Gleichberechtigung geht uns alle an. Sie ist ein Menschenrecht – unabhängig von Geschlecht, Sexualität oder Hautfarbe. Und weil diese Botschaft noch längst nicht in allen Köpfen angekommen ist, widmet sich die Thüringer LSBTIQ*-Koordinierungsstelle im t.akt-Magazin regelmäßig in unserem „Queer-Blog“ Themen, für die sensibilisiert werden muss.
30 Jahre ohne Paragraf 175
Am 10. März 2024 jährte sich die Abschaffung des Paragrafen 175 zum dreißigsten Mal. Erst 1994 wurde der diskriminierende Gesetzesabschnitt vom Bundestag aufgehoben. Der Passus, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte, bestand seit 1871 in Deutschland. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Paragraf verschärft und verstärkt angewandt, aber auch – für viele unbekannt – in den frühen Jahren im wiedervereinigten Deutschland, in denen die restriktive westdeutsche Rechtsprechung ohne rechtliche Grundlage auf die neuen Bundesländer angewendet wurde. In der DDR war die strafrechtliche Verfolgung von männlicher Homosexualität bereits vor der Wiedervereinigung abgeschafft worden.
Zur Verfolgung queerer Menschen forscht Historiker Dr. Christian Alexander Wäldner seit rund 20 Jahren. Sein Schwerpunkt liegt bei Männern, die wegen homosexueller Handlungen nach dem Paragrafen 175 und vergleichbarer Straftatbestände in die Verfolgung geraten sind. Er hat über 33.000 Schicksale zusammengetragen, von denen knapp 150 einen Bezug zum heutigen Thüringen aufweisen.
Häftlingsgruppe mit schlechten Überlebenschancen
Wäldner schätzt die Zahl derer, die wegen des Gesetzestextes in Thüringen in der NS-Zeit verfolgt wurden, auf mindestens 5000 Menschen. Allein im KZ Buchenwald waren ungefähr 650 RosaWinkel-Häftlinge inhaftiert. Ein Drittel von ihnen wurde dort ermordet. Insgesamt wird von einer Zahl von 10.000 homosexuellen Männern ausgegangen, die vom NS-Regime in Konzentrationslager verschleppt wurden. 50 bis 60 Prozent von ihnen überlebten die KZ nicht. Damit waren sie innerhalb der Lagerstrukturen unter den Häftlingsgruppen mit den schlechtesten Überlebenschancen.
Unter 100 Stolpersteine für Queers
Aktuell gibt es in Jena einen Stolperstein für einen Rosa-Winkel-Häftling. Heinrich Weidingers Stolperstein liegt vor dem Weimarischen Hof (Unterm Markt 4). Sein Stolperstein ist der einzige in Thüringen, der an eine unter Paragraf175 verfolgte Person erinnert. Unter www.stolpersteinehomosexuelle.de/heinrich-weidinger könnt ihr sein Schicksal nachlesen und auch die Geschichte von über 60 weiteren Todesopfern aus ganz Deutschland.
Wäldner weist zudem darauf hin, dass trotz der undifferenzierten Quellenlage, in der queere Identitäten oft ausschließlich unter dem Blick der Nationalsozialisten wiedergegeben werden, vor allem die Verfolgung von homosexuellen Männern gut belegbar ist. Das bedeutet jedoch nicht im Umkehrschluss, dass inter- oder transgeschlechtliche Menschen oder weibliche queere Personen gar nicht verfolgt oder unterdrückt wurden. In ganz Deutschland gibt es laut Amnesty International immer noch nur unter 100 Stolpersteine für Queers.
Homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus
Als LSBTIQ*- Koordinierungsstelle halten wir ein Gedenken auch durch Stolpersteine an alle vom NS-Regime verfolgten Gruppen für notwendig. Erst im vergangenen Jahr wurde erstmalig im Bundestag auch der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Queere Geschichte wurde durch den Nationalsozialismus sowohl in Form von Schriftstücken im Rahmen der Bücherverbrennung ausgelöscht, wie etwa 10.000 wissenschaftliche Werke der Bibliothek des sexualwissenschaftlichen Hirschfeld Instituts, als auch in Konzentrationslagern als Rosa Winkel Häftlinge ermordet. Unsere Verantwortung als Gesellschaft besteht darin, uns der Geschichte umfänglich bewusst zu werden, aufzuklären und nicht zu vergessen.
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