Bespitzelung, Kontrolle, Repression und drakonische Strafen – das Ministerium für Staatssicherheit hat über Jahrzehnte die Freiheit der Thüringer Bevölkerung massiv beschnitten. Das alles wurde zu DDR-Zeiten umfangreich dokumentiert. Trotz massiver Aktenvernichtungen durch den Staatssicherheitsdienst in der Vorwendezeit sind insgesamt über 12 Regal-Kilometer Schriftgut in den drei Thüringer Dienststellen des Stasi-Akten-Archivs erhalten geblieben. Sie zeigen, was dieser Geheimdienst gemacht und wie er das Leben von Menschen beeinflusst hat.
Stasi-Archiv in Erfurt
Noch heute werden die Akten, die Zeugnisse des DDR-Regimes, im Stasi-Akten-Archiv bewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 2021 wurde aus dem Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen das Amt der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag. Seit gehört das Archiv in Erfurt und die Außenstelle in Gera zum Bundesarchiv. Trotz dieser Umstrukturierung verblieben die Akten in Thüringen. Es wird weiterhin an den Standorten Bildungsarbeit geleistet. Führungen, Lesungen, Ausstellungen und mehr – neben der Dauerausstellung wird in der Außenstelle Erfurt aktuell eine Ausstellung zum Besuch von Willy Brandt in Erfurt 1970 gezeigt. Wir nahmen das zum Anlass, uns die Arbeit des Stasi-Unterlagen-Archivs genauer anzusehen und sprachen mit Außenstellenleiterin Alrun Tauché.
Liebe Alrun, welche Aufgaben hat eigentlich das Archiv in Erfurt?
Im Erfurter Stasi-Unterlagen-Archiv wird die Überlieferung der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt (mit seinen 13 Kreisdiensstellen) verwahrt, erschlossen und genutzt. Insgesamt befinden sich in den Magazinen der Außenstelle 4,5 laufende Kilometer Akten und 1,7 Millionen Karteikarten. Der dokumentierte Zeitraum erstreckt sich von 1945 bis 1990.
Die Aufgabe des Stasi-Unterlagen-Archiv Erfurt ist Menschen Zugang zu den Informationen zu geben, die die Stasi heimlich über sie gesammelt hat, damit sie ihr Schicksal aufklären können – vor allem hier in der Region Erfurt. Zudem beraten wir Wissenschaftler sowie Medien und stellen Stasi-Unterlagen zur Verfügung, damit sie zur historischen und politischen Aufarbeitung der DDR-Diktatur beitragen können.
Außerdem unterrichten wir die Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie Charakter und Symbolwert des Stasi-Unterlagen-Archivs – durch eigene Forschung, Ausstellungen, Vorträge, Veranstaltungen sowie Bildungsangebote für Schulen und Fachhochschulen sowie Universitäten (Projekttage). Zugleich finden regelmäßig Bürgerberatungstage statt, die zumeist in der Region stattfinden und Bürgerinnen und Bürger zur Antragstellung beraten.
Wie funktioniert das, wenn man als Thüringer Einsicht in sein Unterlagen nehmen will?
Wer Einsicht nehmen will, stellt einen entsprechenden Antrag bei uns oder an jedem anderen Standort oder online mit dem neuen Personalausweis. Wir unterstützen auch bei der Antragstellung. Für Forschung und Medien läuft es ähnlich. Danach läuft das Verfahren in folgenden Schritten ab:
Unser Bereich Aktenauskunft bearbeitet die Anträge und recherchiert mit Hilfe der Archivarinnen und Archivare nach Personen und Themen und bereitet die Unterlagen für die Einsichtnahme vor.
Bei einem Antrag zu Personen oder Themen wird zunächst im Archiv nach Unterlagen recherchiert. Die Unterlagen werden dann im Bereich Auskunft für die Einsichtnahme oder Kopien-Herausgabe recherchiert und vorbereitet. Nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz kann jeder und jede die Information einsehen, die ihn selbst betreffen. Informationen zu Dritten werden anonymisiert; lediglich Namen und Decknamen der Stasi-Mitarbeiter bleiben offen.
Und wie läuft das bei Einsicht zu Recherchezwecken von Wissenschaftlern und Journalisten?
Im Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) ist festgelegt, für welchen Zweck und unter welchen Regeln die Herausgabe der Kopien möglich ist, da das MfS mit seiner Arbeit die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt hat. Informationen zu Dritten, zu denen die Stasi heimlich Informationen gesammelt hat, werden in der Regel in den Aktenkopien des Einsichtnehmenden geschwärzt. Dieses Verfahren ist zum Schutz der betroffenen Personen unverzichtbar. Erkennbar sind die Namen derer, die im Auftrag des Staates als offizielle und inoffizielle Mitarbeiter der Stasi gehandelt haben oder in offiziellen Funktionen tätig waren.
Wenn Wissenschaftler und Journalisten Einsicht für die historische Aufarbeitung beantragen, gehen mit diesen Anträgen in der Regel sehr umfangreiche Recherchen und Vorbereitungen einher. Hinter einem Forschungsantrag kann eine Vielzahl von Einzelpersonen- und Themenrecherchen stehen.
Was kann man im Stasi-Archiv als Besucher zudem sehen?
Die Außenstelle Erfurt bietet die Gelegenheit, einen wichtigen Teil der DDR-Geschichte zu erkunden. Verschiedene Filme, Vorträge und Führungen durch das Archiv und das Informations- und Dokumentationszentrum geben einen ersten Überblick zur Staatssicherheit bzw. vertiefen die einzelnen Themen. Um dieses Angebot anschaulich zu gestalten, werden die Stasi-Akten als konkrete Beispiele mit hinzugezogen. Zudem besteht die Möglichkeit, Ausstellungen auszuleihen, die sich mit dem Stasi-Thema auseinandersetzen.
Auch Führungen werden organisiert?
Ja. Im Stasi-Unterlagen-Archiv Erfurt gibt es neben den zweimal monatlich stattfindenden öffentlichen Archivführungen auch regelmäßige Veranstaltungsformate wie die „Akte Spezial“ oder die Beteiligung an der Langen der Nacht der Museen. Jährlich findet zudem am 4. Dezember, dem Tag der Besetzung der Bezirksverwaltung des MfS Erfurt eine Veranstaltung unter Einbeziehung von Filmen, in der Außenstelle statt.
Stichwort: Bildung. Welche Angebote gibt es da konkret?
Es bestehen verschiedene Möglichkeiten für Bildungsangebote. Man kann das Stasi-Archiv kennenlernen, Filme zu verschiedenen Inhalten ansehen und Gespräche mit Zeitzeugen führen. Außerdem unterstützen wir bei Seminarfacharbeiten sowie Schülerarbeiten. Des Weiteren bieten wir Vorträge an, um sich einen Überblick zur Staatssicherheit sowie zu einzelnen Themen zu verschaffen.
Neben vielen Fakten werden auch konkrete Beispiele dargelegt. Anhand von Projekttagen können Schulklassen, die das Thema DDR-Geschichte bereits behandelt haben bzw. behandeln, das Stasi-Thema ergänzend vertiefen. Die Schüler oder Studenten arbeiten mit Quellen aus Originaltexten von Stasi-Akten. An konkreten Beispielen lernen sie die Methoden des Staatssicherheitsdienstes kennen. Im anschließenden Zeitzeugengespräch können die erarbeiteten Fakten und offen gebliebenen Probleme kritisch hinterfragt werden. So lernen die Schüler den Umgang mit Primärquellen einerseits und der mündlich überlieferten Geschichte andererseits. Um dieses Projekt durchführen zu können, sind Kenntnisse zum politischen und zum Rechtssystem der DDR notwendig. Außerdem finden Quellen-Zeitzeugen-Projekte mit dem Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur statt.
Derzeit findet die Sonderausstellung „Im Fokus der Staatssicherheit; Willy Brandt 1970 in Erfurt“ statt. Gibt es zudem eine feste Ausstellung?
Ja. Die Ausstellung „Sicherungsbereich DDR“ in unserem Informations- und Dokumentationszentrum zeichnet die geschichtliche Entwicklung des Staatssicherheitsdienstes nach und dokumentiert einige seiner regionalen Aufgaben im ehemaligen Bezirk Erfurt. Dazu zählten insbesondere die Sicherung der Staatsgrenze zur Bundesrepublik und die Überwachung der Transitstrecke zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin. Daneben gibt die Ausstellung einen Einblick in die Überwachungsmethoden der Stasi. Dazu kann man in den Vitrinen Abhörtechnik in Wohnungen, Kameraverstecke, Geruchsproben von Menschen in Einweckgläsern sehen, wie Menschen observiert oder als IM (inoffizieller Mitarbeiter) angeworben wurden.
Wie viel Sonderausstellungen werden in Erfurt im Jahr gezeigt?
Neben der Dauerausstellung werden jährlich etwa vier bis sechs temporäre Ausstellungen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten gezeigt. Sie vermitteln anhand biografischer und regionalspezifischer Beispiele Grundlagenwissen zur DDR-Staatssicherheit und die Auswirkungen ihrer Tätigkeit. Aktuell zeigen wir, wie bereits erwähnt, eine Ausstellung zum Besuch von Willy Brandt in Erfurt 1970 gezeigt. Zum Hintergrund: Am 19. März 1970 trafen Willy Brandt und Willy Stoph im Rahmen des ersten deutsch-deutschen Gipfels in Erfurt zusammen. Damit begann 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen. Für die Stasi galt es sich bereits im Vorfeld auf alle möglichen Situationen einzustellen. Am 13. März 1970 erließ Stasi-Chef Erich Mielke den „Befehl 12/70“, der die Aktion „Konfrontation“ auslöste – der Codename für das Treffen von Willy Brandt und Willi Stoph in Erfurt. Dazu gibt es Schautafeln und Roll-Ups zu entdecken. Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Mai zu sehen.
Wie viel Menschen besuchen euch jährlich?
So einige. Die Besucherzahlen dokumentieren, wie wichtig die Außenstelle Erfurt als Anlaufstelle in der Region für Besucher und Besucherinnen ist. Im Jahr 2019 haben die Außenstelle Erfurt 45 Gruppen junger Leute mit insgesamt 890 Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden besucht. Mehr als 85.000 Besucherinnen und Besucher haben uns seit 1996 besucht und eine viertel Million Menschen haben seit 1992 hier einen Antrag auf Akteneinsicht oder Ersuchen gestellt.
Warum ist es auch heute noch wichtig, sich mit dem Thema Stasi auseinanderzusetzen?
In der ehemaligen DDR regierte die allmächtige Partei, die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) autoritär. Ihr Werkzeug zur Machtsicherung war ein ihr unterstellter Geheimdienst, die Stasi. So lautet die umgangssprachliche Abkürzung für das „Ministerium für Staatssicherheit“, abgekürzt „MfS“, das in der Zeit des Kalten Krieges Anfang 1950 in der DDR gegründet wurde. Aus Furcht vor einem Machtverlust veranlasste die SED, Oppositionelle als „Konterrevolutionäre“ oder „Klassenfeind“ zu diffamieren.
Auch die Stasi übernahm ein stark abwertendes Feindbild-Vokabular und sprach von „antisozialistischen“ und „feindlich-negativen“ Personen oder „Elementen“. Viele Betroffene leiden noch immer unter den Folgen der SED-Diktatur, die sie unter den Repressionsmaßnahmen der Stasi erlitten haben. Dazu gehörten unter anderem berufliche Behinderung, Studienverbote, Inhaftierungen oder sogenannte Zersetzungsmaßnahmen.
Das Interesse an der Einsicht in die Stasi-Akten ist nach wie vor vorhanden. Die Betroffenen wollen Akten einsehen, zum Beispiel um ungeklärte Schicksale von Familien aufzuklären, Rehabilitierungsansprüche umzusetzen oder die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Vor allem aber interessiert sich auch die Generation der Kinder und Enkel, was mit ihren Eltern und Großeltern zu DDR-Zeiten passiert sein könnte, wenn es Brüche in den Biografien gibt.
Es gibt jedoch auch immer mehr Forschende, die sich mit einzelnen Wirkmechanismen oder strukturellen Themen des MfS beschäftigen, wie zum Beispiel derzeit dem Thema der psychologischen „Zersetzung“ von Oppositionellen in der ehemaligen DDR. Außerdem ist die archivpädagogische Bildungsarbeit wichtig, um zukünftigen Generationen von Schülern und Schülerinnen die Arbeitsweise und Mechanismen des ehemaligen MfS näher zu bringen, da sie ein Bestandteil auch der Gesellschaftsgeschichte der DDR darstellt. Dazu gehören natürlich auch die Vorträge und weiteren Veranstaltungen, die im Rahmen der politischen Bildungsarbeit angeboten werden. Sie ermöglichen den Diskurs darüber, was eine Demokratie ausmacht und das demokratische Grundrechte ein hohes Gut sind.
Hart Facts:
- Stasi-Unterlagen-Archiv Erfurt: Petersberg Haus 19
- Öffnungszeiten: Mo. bis Do.: 8 – 17 Uhr | Fr.: 8 – 14 Uhr
- Mehr: www.stasi-unterlagen-archiv.de