Annett Louisan ist die Stimme des deutschsprachigen Chansons. Zahlreiche Gold- und Platin-Alben stehen für sich. Am 23. Oktober tritt das Goldkehlchen in die Messe Erfurt auf. Wir haben vorab mit Annett über ihr neues Album, Erfahrungen und Social Media unterhalten.
Du hast fünf Jahre an den Songs für das neue Album gearbeitet. Nun ist es einen guten Monat draußen, war das ein befreiendes Gefühl?
Unbedingt. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man etwas fertigstellt und dann loslassen kann. Das ist in der Tat wie eine Befreiung. Und wenn man etwas abgeschlossen hat, kommen einem sofort neue Ideen für weitere Projekte – das ist immer eine sehr aufregende und spannende Zeit. Dieses Album war überreif, das gebe ich zu, aber ich bin froh, dass ich mir so viel Zeit genommen habe. So ist die „Große Liebe“, eine der beiden Platten des Doppelalbums, schon vor meinem Coveralbum, „Berlin, Kapstadt, Prag“ von 2017, entstanden. Die andere Disc, ‚Kleine Liebe‘, hingegen erst danach. Ich musste erst ein paar Umwege gehen, weil ich meinen Durst nach neuen Sachen, nach Experimenten stillen musste, um dann am Ende wieder nach Hause kommen zu können. Heute ergibt es für mich Sinn, so lange gewartet zu haben. Denn die Fragen, die ich mir in den frühen Songs gestellt habe, konnte ich in den späteren Liedern beantworten.“
Inwiefern?
Dieses Album hat mich durch eine ganz besondere Lebensphase begleitet. Das waren Übergangsjahre von einem Lebensabschnitt in den nächsten – und das kann ziemlich wackelig sein. Die Mitte des Lebens ist nicht immer ein ausgeglichener Ort, aber er ist so wichtig und intensiv. Wenn man sich den Fragen, die in dieser Zeit auftauchen, und auch der Krise stellt, die sich dann möglicherweise einstellen könnte, bringt einem das ganz viel. Für mich war das eine entscheidende Zeit, in der ich mich viel mit mir selber befasst habe, mit meiner Herkunft und meiner Vergangenheit. Ich habe mich ganz bewusst gefragt: Was will ich eigentlich in den nächsten 20 Jahren machen? Soll ich einfach so weitermachen? Bin ich überhaupt auf dem richtigen Weg? All das hat mich interessiert – die Ambivalenzen im Leben und an mir selbst. Dazu gehört dann auch der Blick in den Spiegel, man muss ehrlich sein mit sich selbst. Das sind alles Themen, die mich in dieser Zeit beschäftigt haben, und die in das Album eingeflossen sind.“
Als vor fünf Jahren das letzte Studioalbum mit eigenen Songs erschien, hatten Social-Media-Kanäle noch nicht den Stellenwert, den sie heute haben. Hast Du dort nun auch die Reaktionen auf das neue Album verfolgt?
Ja, ich bin wirklich sehr gerührt. Seit meinem Debütalbum habe ich nicht mehr so wundervolles Feedback bekommen. Ich war sehr erstaunt darüber, dass die Fans auch die neuen Songs so gut angenommen und mir die Weiterentwicklung zugestanden haben. Es ist großartig, wie sie die neuen Klänge auf dem Album gefeiert haben. Dennoch hat Social Media zwei Seiten. Zum einen ist es toll, im direkten Kontakt mit dem Publikum zu sein und zu lesen, was es denkt und fühlt. Aber man muss sich auch als Künstler manchmal davon fernhalten. Ich zwinge mich dann dazu, mir nicht ständig alles durchzulesen, was da geschrieben wird. Denn es kann bisweilen ungesund sein, wenn man das zu ernst nimmt. Es ist immer noch wichtig, dass man in seinem persönlichen Leben Berater hat, die einem die richtigen Ratschläge geben – und dass man sich selber vertraut.
Und dieses Mal hatten die Fans ja einiges an Neuem zu verdauen – erstmals ein Doppelalbum, aber auch musikalisch gab es neue Sounds, neue Arrangements – auch eine neue Annett Louisan.
Auch solche Reaktionen sind in Ordnung. Man muss ja auch nicht alles mögen und darf als Zuhörer sich jederzeit entscheiden. Für mich war auch deshalb das Konzept, ein Doppelalbum zu machen, so hilfreich. Denn das sind zwei verschiedene Alben, die aber inhaltlich doch zusammengehören und die zusammengenommen ein großes, ganzes Bild ergeben. Ich hatte zwischenzeitlich sogar mit dem Gedanken gespielt, doch zwei separate Alben zu machen. Aber im vergangenen Sommer, als ich das Album zusammenstellte, habe ich mich dagegen entschieden. Das hätte einfach nicht funktioniert, und es wäre auch etwas verloren gegangen, wenn das Doppelalbum als Klammer gefehlt hätte.
Wenn Du über Deine Texte sprichst, machst Du eine Unterscheidung zwischen persönlich und privat, wobei Du offen lässt, was nun wirklich autobiografisch ist und was nicht.
Genau. Und dieses Fragezeichen kann dort auch stehenbleiben. Es ist doch so: Wenn ich nur aus einem, sprich dem meinen Leben sänge, würde das einfach nicht reichen. Mich inspirieren doch auch die Erfahrungen von anderen, ich beobachte etwa fremde Menschen und was sie tun. All das fließt in ein Lied ein und verbindet sich mit meinen eigenen Erfahrungen. Und ich muss in einem Song die Geschichte doch auch ausschmücken dürfen. Es geht gar nicht um die eine Wahrheit, vielmehr muss ein Lied wahrhaftig sein.
Das heißt, ein Song wie „Meine Kleine“, der die Geschichte Deiner Mutter erzählt, die 20 Jahre alt war, als sie Dich zur Welt brachte, wirkt auch, wenn man diesen Hintergrund gar nicht kennt, richtig?
Das stimmt. Mir hat gerade zu diesem Lied jemand geschrieben, dass ihn der Song tief berührt habe und dass er dabei immer an seine eigene Tochter denken müsse. Und das war ein Mann. Daran sieht man, dass die Perspektive im Grunde egal ist. Dieses Lied behandelt einfach die Mutter aller Themen: die Beziehung zum eigenen Kind. Und das können auch Männer nachvollziehen oder vielleicht sogar Menschen, die keine Kinder haben. Denn wir sind ja alle Kind von jemandem.
Als Du vor fünf Jahren das letzte Studioalbum mit eigenen Songs veröffentlicht hast, sah die Welt – auch politisch – noch anders aus. Vielfach hört man jetzt Stimmen, auch und gerade die Künstler müssten Stellung beziehen. Teilst Du diese Ansicht?
Das, was ich mache, ist ja Politik im Kleinen. Denn man kann ja das Kleine auf das Große anwenden – und umgekehrt. Es gibt so viele Wege, wie man ein Thema oder eine Geschichte anschneiden kann. Und ich bin Geschichtenerzählerin. Ich habe kein Interesse daran, eine heile Welt zu zeichnen oder einen Idealzustand herbeizusingen und will auch nicht den Finger erheben, um die Leute zu belehren. All das möchte ich nicht. Wenn ich politisch werde, ist das immer auch nur meine Sicht, eine Facette einer Geschichte. Ich setzte mich da nicht unter Druck. Es gibt auf dem Album ein Lied, ‚Vielleicht‘, dass eine positive Sicht auf die Dinge zeigt, die eben auch denkbar ist. Ich bin ein hoffnungsvoller Mensch. Ich finde Hoffnung wichtig und inspirierend, auch weil sie so viel Energie freisetzt.
Was kann ein Künstler denn tun?
Die Frage ist, wie weit man als Künstler gehen sollte, wenn man etwa auf ein Thema aufmerksam macht. Wenn ich bei Auftritten etwas Kritisches anspreche, dann geht ein Raunen durch die Menge und ich spüre nicht immer nur Zustimmung. Das, was ich sage, ist immer nur meine Meinung. Und sicher, manchmal muss man sich positionieren, aber letztlich geht es mir darum, einen Weg zu finden, auch unterschiedliche Meinungen miteinander verbinden zu können. Denn im Publikum sitzen ganz unterschiedliche Mensc
hen und wenn ich nun sagen würde, du bist einfältig, weil du dieses oder jenes denkst, bringt das gar nichts – im Gegenteil: die Leute machen dann eher zu.
Verändert hat sich in diesen fünf Jahren seit Deinem letzten regulären Studioalbum, „Zu viel Information“, ja auch, dass der physische Tonträger auf dem Rückzug ist und Musik zunehmend digital über Streaming gehört wird. Bedauerst Du diese Entwicklung, wenn man sieht, wie viel Mühe Du Dir etwa mit der aufwändigen Covergestaltung gegeben hast?
Das ganze Leben ist Veränderung und ich lasse mich darauf ein. Ich habe keine Angst vor dem Wandel, auch wenn man bei der Digitalisierung von Musik immer darauf achten sollte, dass es für alle Beteiligten fair bleiben sollte – für den Künstler, die Musiker oder die Songwriter. Denn es wird immer schwerer, mit Musik Geld zu verdienen und davon zu leben. Der Topf wird immer kleiner. Ich bin ja noch privilegiert, da ich ein Publikum gefunden habe und ausverkaufte Tourneen spielen kann. Dafür bin ich unendlich dankbar. Gleichzeitig bin ich fest davon überzeugt, dass sich die Menschen auch in einer so schnelllebigen Zeit mit wahllos zusammengestellten Playlists die Zeit nehmen werden für Inhalte, für ganze Alben. Das sind dann vielleicht nicht mehr alle, aber ein paar wird es immer geben. Anfangs war ich aber schon traurig, dass man das Artwork und das Design des Albums im Netz zum Beispiel so nicht umsetzen kann. Denn bei Spotify oder iTunes kann man nur ein Albummotiv einstellen, wodurch wir das eigentliche Konzept mit den zwei Albumteilen online nicht abbilden konnten. Das ist schade.
In die Produktionszeit fiel auch Deine Teilnahme an „Sing mein Song – Das Tauschkonzert“. Hat das die Arbeit am Album beeinflusst?
Das war eine wichtige Zwischenstation, ich hatte einige Aha-Erlebnisse in Südafrika, als ich mich mit fremdem Repertoire befasst habe. Gleichzeitig habe ich dort gelernt, wo immer ich auch hingehe, ich nehme mich immer mit und es bleibt immer Annett Louisan. Das ist ein schönes Gefühl. Egal ob ich nun Songs von Rammstein oder Tokio Hotel singe, ich kann all diese Lieder zu meinen eigenen machen. Das habe ich als Erfahrung mitgenommen. Mir hat einmal ein Fotograf gesagt, dass man in einem Beruf, auch wenn man glücklich und erfolgreich ist, nach einer gewissen Zeit immer anfängt zu zweifeln, ob das alles richtig ist. Und das muss man annehmen. Die Sehnsucht nach Veränderung gehört zu dir. Man muss den Weg so tief ins Wasser gehen, dass man nicht mehr stehen kann. Wenn man immer nur die Erwartungen von anderen – oder die eigenen, die ein ganz schön quälen können – erfüllt, dann verkümmert man auch ein wenig. Umwege, Holzwege gehören zum Leben und sind wichtig.
Hast Du denn noch Verbindung zu ihren Kollegen aus der „Sing mein Song“-Staffel von damals?
Erst vor kurzem, als ich in der TV-Sendung von Markus Lanz saß, hat mir Alec von TheBossHoss geschrieben, dass er sich nun unbedingt das neue Album intensiv anhören wolle. Aber natürlich leben wir alle unser eigenes Leben. Und gerade nach ‚Sing meinen Song‘ habe ich persönlich mich etwas zurückgezogen und wurde schwanger. Das ist so eine private Zeit. Aber jetzt komme ich zurück und würde mich sehr freuen, sie alle einmal wiederzusehen.
Vielleicht ergibt sich das ja auf der nun kommenden Tournee. Kannst Du schon sagen, was die Zuschauer erwartet? Wirst Du die Zweiteilung des Albums auch live umsetzen?
Ich brenne darauf, das neue Album live umzusetzen – und zwar so authentisch wie möglich. Zurzeit laufen noch die Tourproben und wir überlegen, wie wir das am besten machen. Vielleicht bieten sich zwei verschiedenen Sets mit verschiedenen Bühnenbildern an. Denkbar wären aber auch vier Teile, so dass man in den zwei Sets jeweils schon den Bruch zeigen kann. Aber das ist noch nicht endgültig entschieden. Vor allem aber habe ich große Lust, einen Konzertabend einmal anders zu inszenieren.
Dennoch stehen bestimmt aber auch ein paar alte Songs auf dem Programm, oder?
Natürlich, es wird die Klassiker geben. Ich weiß ja, dass die Leute ins Konzert kommen und ihre Lieblingslieder haben. Und die spiele ich immer gern.
Zugleich ist es die erste Tournee mit Deiner kleinen Tochter, die Du nun mit nimmst. Hat man sich da eine rollende Kita vorzustellen?
Wenn man es genau nimmt, ist es schon die zweite Tour mit ihr. Denn ich stand noch auf der Bühne, als ich schwanger war…Und auch jetzt wird das ganz entspannt zu machen sein. Wir haben einen geräumigen Nightliner, mein Mann oder meine Mutter kommen eh mit und abends, wenn ich auf der Bühne stehe, schläft meine Tochter. Klar, vormittags kann man dann nicht mehr so lange ausschlafen. Aber das alte Tourleben von früher ist sowie erst einmal vorbei. Auch in dieser Beziehung ist eine neue Zeit angebrochen.
Hard Facts:
- Wann? 23. Oktober
- Wo? Messe Erfurt