Der aus Thüringen stammende DJ, Produzent und Labelbetreiber Torsten Kanzler prägt bereits seit über 20 Jahren die hiesige Techno-Szene. Als DJ erspielte er sich bei zahlreichen Festivals und Clubs der Welt einen guten Ruf. Legendäre Clubs wie der Berliner Tresor, in dem er viele Jahre seine eigene Kanzlernacht veranstaltete, oder das Kasseler Stammheim zieren seine Referenzliste. Nach längerer Pause tritt Torsten am 11. September erstmals wieder in Thüringen beim Anorrack-Open-Air auf dem Gelände des Club Central in Erfurt auf. Wir haben ihn an einem verregneten Montagmorgen Ende August an der Strippe, sprechen mit ihm über Techno, Work-Life-Balance und dem Leben als DJ in der Pandemie.
Was macht denn ein DJ früh halb 11 in Deutschland?
Ich sitzt im Studio. Natürlich. Und arbeite (lacht).
Du bist aus Thüringen, oder?
Genau, ich bin Thüringer und hab zwischendurch in Berlin gewohnt. Von 2001 bis 2016.
Und jetzt wieder zurück in der Heimat? Wo ist die eigentlich genau
Ich wohne am Harz. In der Nähe von Nordhausen.
Und du fühlst dich in Thüringen wieder wohl, obwohl du so lange in Berlin warst?
Auf jeden Fall. Es ist entspannt hier. Ich wohne in einem kleinen Dörfchen und habe ein großes Grundstück direkt am Wald. Die Kühe links und rechts und der nächste Nachbar ist 100 Meter entfernt …
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So wie es sein muss in Thüringen.
Genau (lacht).
Du bist DJ, Produzent und Labelbetreiber. Als DJ bist du jetzt schon lange unterwegs. Seit wann eigentlich genau?
Seit 2001 professionell.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie es bei dir losging? Wie kommt man darauf DJ zu werden?
Das war am Anfang gar nicht meine Intention. Ich bin einfach nur feiern gegangen. Ein Freund hat mich damals auf eine Techno-Veranstaltung mitgeschleppt. Dort lernte ich viele Leute kennen, unter anderem auch Veranstalter und DJs. Durch Zufall konnte ich jemandem ein DJ-Setup abkaufen. Ich fand Gefallen am Auflegen und bin dann nach und nach reingerutscht.
Warum gerade Techno?
Ganz am Anfang habe ich in der Tat House gespielt. Aber Techno war für mich schöner. Mehr Energie, mehr Möglichkeiten. Das hat mich einfach mehr interessiert.
Mittlerweile spielst du auf den großen Festivals. Wie ist das, wenn du die letzten 20 Jahre Revue passieren lässt. Bist du glücklich?
Ich habe den besten Job der Welt. Ich machte mein Hobby zum Beruf und habe damit auch Erfolg. Besser kann es ja eigentlich nicht sein. Ich kämpfte aber auch viele Jahre dafür, um das zu schaffen, was ich jetzt erreicht habe. Die ersten 10 Jahre konnte ich nicht von meiner Musik und den Gigs leben. Unter der Woche arbeiten gehen und gleichzeitig die DJ-Karriere nach vorne treiben war schon schwierig.
Warst du einfach zielstrebig genug oder hattest du eine gute Work-Life-Balance?
Ich war schon sehr ehrgeizig und hatte auch Glück, die richtigen Leute kennenzulernen. Aber man solle schon viel Ehrgeiz und Geduld mitbringen.
Man arbeitet als DJ zu teils unmöglichen Nachtzeiten. Wie bleibt man da jung und fit?
Indem man sich nicht jedes Wochenende abschießt. Das muss man schon unter Kontrolle haben. Früher bin ich an den Wochenenden auch schon mal eskaliert. Jedoch war ich schon immer der Typ, der Montagfrüh gearbeitet hat. Unter der Woche, nie in die Nacht hinein. Ich war immer bemüht, meinen normalen Tagesablauf beizubehalten. Das macht, glaube ich, schon viel aus. Außerdem treibe ich viel Sport. Aber es entlastet auch sehr, dass ich inzwischen von meiner Arbeit als DJ und Musiker leben kann und ich unter der Woche nicht noch einen zusätzlichen Job ausüben muss.
Musik unterliegt vielen Einflüssen. Wie würdest du sagen hat sich Techno in den letzten Jahren verändert?
Die Szene ändert sich ständig. Sachen, die bereits vor 10 oder 20 Jahren angesagt waren, sind es jetzt wieder. Zum Beispiel Rave und Acid Sound. In den Shows geht es wieder härter zu.
Das merkt man auch auf deiner aktuellen Platte „Mirror“. Lässt du dich da beeinflussen? Wie lässt du den Zeitgeist in deiner Musik einfließen?
Klar lasse ich mich da auch beeinflussen. Ich setzte mich aber nicht ins Studio und nehme einen Track auf, der auf Biegen und Brechen dem Trend entsprechen muss. So funktioniert das nicht. Ich nehme das auf, was mich interessiert, was mir gefällt – aber man geht natürlich schon ein bisschen mit dem Trend.
Machst du das bewusst oder unbewusst?
Teils, teils. Ich achte auf manche Sounddesigns, um aktuell zu klingen. Aber ansonsten mache ich das, was mir Spaß macht und was mich inspiriert. Wenn ich einen Track höre, denn ich geil finde, lasse ich mich schon gern von diesem beeinflussen. So funktioniert Musik. Du hast Input. Lässt dich inspirieren. Und das manifestiert sich auch in deinen Songs.
Tech-House, Deep-House, Deep-Techno, Acid-Rave, Hardtrance – es gibt mittlerweile 1000 Genres. Wie behältst du da den Überblick?
Als ich anfing gab es eigentlich nur Techno und House. Da lief Techno und House auch auf einem Floor. Es wurde soft mit House angefangen und später ein bisschen Techno gespielt. Heutzutage ist das streng in Schubladen unterteilt. Auf jedem Floor wird nur ein Genre gespielt. Viele Acts passen auch genau auf, wer vor einem spielt. Es werden Verträge unterschrieben, dass der Act vor einem nur in einer bestimmten Geschwindigkeit spielen darf. Das nimmt einem manchmal ein bisschen den Spaß und die Überraschung. Aber viele Leute wollen vielleicht auch nicht überrascht werden.
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Wie findest du das Schubladen-Denken?
Ich finde das ein bisschen extrem. Wenn ich auf einer Veranstaltung gebucht bin, dann spiele ich meine Sets aktuell mit 132 bpm (Anm. d. Red. – engl. beats per minute, die Bassanschläge pro Minute, Geschwindigkeitsmesser in der elektronischen Musik). Wenn vor mir jemand mit circa 145 bpm spielen würden, dann wäre das natürlich schlecht für die Leute. Der Körper und die Ohren gewöhnen sich an den Takt und die Geschwindigkeit. Wenn ein Techno-DJ dann plötzlich langsamer spielt, hat der Hörer das Gefühl einzuschlafen – zumindest im übertragenen Sinn. Deswegen finde ich, man sollte bei den Line-ups schon schauen, welche Geschwindigkeiten zusammenpassen, um den Abend aufzubauen. Da ist das Schubladen-Denken von Vorteil, aber sonst finde ich es oft too much.
Du bist nicht nur DJ, sondern auch Chef deines Musiklabels TK Records (TKR). Hast du da ein klares Raster, welches Genre du veröffentlichst und welche Künstler du mitnimmst?
Auf TKR gibt es klar Techno zu hören. Ich veröffentliche, was mir die Leute schicken und was mir gefällt. In der Regel sind es viele Freunde, die ich bereits kenne. Aber auch neue Leute.
Wie kommt man darauf ein Label zu gründen?
Um für mich den Wandel zum Techno einfacher zu machen. Lange Zeit spielte ich Hard-Techno. Heute ist meine Musik nicht mehr so schnell.
Aber hinter so einem Label steht ja noch mehr. Wie sieht deine Arbeit auf diesem Gebiet aus?
Das ist viel Arbeit und eigentlich ein Fulltime-Job. Ich bekomme viele Demos zugeschickt, die müssen alle erst mal durchgehört werden. Normalerweise teste ich die Tracks, die mir gefallen dann auch noch auf meinen Gigs. Ich muss mich um das Marketing kümmern, Videos erstellen, die Grafik organisieren, Mastering und, und, und. Das kostet alles viel Zeit und Geld. Und das ausgegebene Geld wieder reinzukriegen, dass schaffen die wenigsten. Ich denke, wenigsten Labels können von ihren Einnahmen leben.
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Geld verdient man dann mit Auftritten?
Außerhalb von Corona verdient man Geld mit Auftritten.
Wo wir schon beim Thema sind: Du trittst Mitte September im Central in Erfurt auf. Wie fühlt es sich an, wieder an den Turntables zu stehen?
Ein paar Gigs hatte ich schon. Zuletzt spielte ich in Hanau auf einem Open-Air-Festival. Aber ich freue mich schon sehr auf das Central. Es ist in meiner Heimat und ich finde, ich spiele hier viel zu selten. Den Aufbau des Central Clubs verfolge ich von Anfang an. Bin gespannt drauf, das alles zu sehen.
Wie hast du denn die Lockdown-Zeit verbracht? Konntest du dich gut beschäftigen, oder war es eine schwierige Zeit?
Am Anfang hatte ich viel Optimismus. Ende März 2020 hatte ich meinen letzten Gig und danach beschäftigte ich mich erst einmal mit meinem Grundstück. Da sah ich alles noch locker. Aber mit der Zeit musste ich mir schon Gedanken um die Finanzen machen. Ich habe ein Haus gebaut und das ist natürlich eine finanzielle Belastung. Wenn man dann keine Kredite mehr tilgen kann, weil man keine Einnahmen hat, ist das natürlich schwierig. Ich bin auch froh, dass ich in Deutschland wohne, weil hier schon vieles gut abgesichert ist. Hier kann man mit den Finanzämtern oder auch Banken reden und die Unterstützung vom Staat kam bei mir auch relativ schnell. Das reicht natürlich hinten und vorne nicht. Aber ich bin handwerklich begabt und habe mein Gewerbe erweitert. Jetzt betreue nebenbei kleinere Baustellen.
Du hast bestimmt viel Kontakt mit Kollegen oder Venue-Betreibern. Wie ist denn da die Lage?
Im Moment habe ich noch nicht so viel Negatives gehört. Die meisten sind echt positiv gestimmt und hoffen, dass es nicht mehr lange dauert. Aber bei vielen ist es nur die Hoffnung. So richtig daran glauben tut noch keiner. Wir gehen aber alle davon aus, dass es nächstes Jahr weiter geht.
Du machst Musik, die man mit dem ganzen Körper spürt. Wie hast du das wahrgenommen, als Menschen nach so langer Zeit wieder bei deinen Gigs getanzt und gefeiert haben?
Die Leute sind im Moment noch ein bisschen euphorischer als vorher. Jedenfalls empfinde ich es so. Auch ich bin aufgeregter als ich es früher war. Man spielt ja nicht mehr jedes Wochenende. Ich spiele zurzeit alle vier Wochen und freue mich auch immer mega darauf. Es tut gut Techno mal wieder Laut auf einer Clubanlage zuhören und es ist schön mal wieder andere Leute zu sehen, sich mit ihnen zu unterhalten und zu feiern.
Hard Facts
- Was: Anorrack Rec. W/ Egbert Live & Torsten Kanzler
- Wann: Samstag | 11. September | 18 bis 1 Uhr
- Wo: Central Erfurt | Am Wasserturm 8-10