Wer den Namen „Patti Smith“ hört, wird vermutlich zuerst an ihren Welthit „Because the night“ von 1978 denken. Doch die „Godmother of Punk“ ist eine Künstlerin, die ihresgleichen sucht. Sie ist nicht nur Sängerin, sondern auch eine begnadete Schriftstellerin, Humanistin und meine Heldin. Sie ist eine 76-jährige Legende mit 1,2 Millionen Followern auf Instagram und hat einen eigenen Newsletter, den sie persönlich verfasst. Am 9. Oktober kommt die Amerikanerin mit ihrer Band für ein Konzert ins beschauliche Weimar.
Erstes Buch wird zum Bestseller
Ihr Buch „Just Kids – Die Geschichte einer Freundschaft“ wurde 2010 zum Beststeller und war mein Einstieg in die literarische Welt von Patti Smith. Das Buch handelt von ihrer Liebe und späteren Freundschaft mit dem Künstler Robert Mapplethorpe, der Ära des Rock’n’Roll und der Bestimmung Künstlerin zu sein. Robert selbst war es, der sie zum Schreiben des Buches bewegte. Als er 1989 mit Aids im Sterben lag, musste sie ihm das Versprechen geben, ihre gemeinsame Geschichte aufzuschreiben. Es sollte zwei Jahrzehnte dauern bis sie bereit war dieses Buch zu schreiben und es mit der Welt zu teilen.
Begegnung mit Robert Mapplethorpe
Wir gehen zurück in den Sommer 1967. Patti hatte gerade ein Kind auf die Welt gebracht, es zur Adoption freigegeben, brach die Zelte in New Jersey ab und ging nach New York. Dort nahm das Schicksal seinen Lauf als sie Robert Mapplethorpe traf. Beide hatten kaum Geld und schlugen sich fortan zusammen durch. Zuerst als Liebespaar und später als Freunde bis an sein Lebensende. Sie arbeiteten Seite an Seite an ihrer Kunst. Im Interview mit Harper’s Bazaar von 2023 sagte sie: „Als ich Robert traf, war ich gerade 20 Jahre alt. Er war dafür geboren Künstler zu sein. Er hatte ein absolutes Selbstbewusstsein, wer er war und was seine Vision war. Immer wenn ich zweifelte, kam er zu meiner Rettung, aber er schimpfte auch mit mir. Er beharrte darauf, dass ich mein Rückgrat stärke und weiß, wer ich bin. Dass ich meine Berufung kenne, so wie er es tat. Robert gab mir den Glauben an mich selbst.“
Robert sollte sich voll und ganz der Fotografie verschreiben und verschob mit seinen Darstellungen der Schwulen– und Fetisch-Szene New Yorks die Grenzen des Zeigbarem in der Fotografie. Die Qualität seiner Werke sowie sein Sinn für Komposition zogen mich als junge Kunststudentin in seinen Bann. Erst durch seine Kunst bin ich auf Patti aufmerksam geworden. Denn sie war seine erste Muse. Er portraitierte sie unzählige Male und fertigte beispielsweise das berühmte Cover ihres Albums „Horses“ von 1975 an. Darauf trägt Patti ein weißes Hemd, das schwarze Sakko hängt lässig über ihrer Schulter und bildet zusammen mit ihrer schwarzen Zottelmähne einen Kontrast zum Weiß des Hemdes und des Hintergrundes. Damals war sie mit ihrer Attitüde und ihrem knabenhaften Aussehen – abseits des Stereotyps der klassischen Weiblichkeit – ein absolutes Novum. Ein Label-Mitarbeiter wollte Patti’s Damenbart retuschieren lassen, aber sie weigerte sich. In einem Interview von 1976 sagte sie zum Thema Freiheit: „Freiheit ist in mir. Es interessiert mich nicht, was andere für eine Idee davon haben, wie ich sein soll. Ich stehe außerhalb der Gesellschaft. Ich bin eine Künstlerin. Rock’n’Roll ist meine Kunst.“
Unverwechselbarer Einblick in 60er und 70er Jahre in New York
Das Buch gibt zudem einen unverwechselbaren Einblick in das Leben der späten 60er und 70er Jahre in New York. Patti lebte mit Robert von 1969 bis 1970 im legendären „Chelsea Hotel“, in dem sich zu dieser Zeit Musiker, Künstler und Schriftsteller tummelten. Kritiker warfen ihr vor, ihr Buch wäre das reinste „Namedropping“. Doch sie war einfach mittendrin und bewegte sich unter all diesen Menschen, die wir heute als Legenden verstehen. Sie erwähnt Jimmy Hendrix, Andy Warhol und Janis Joplin – um nur ein paar der Namen zu nennen. Im Chelsea lernten Robert und Patti die Künstlerin Sandy Daley kennen. Jedes der Hotelzimmer sah anders aus. Das der Künstlerin Sandy beschrieb Patti mit den Worten: „Ihr Zimmer war völlig weiß gehalten, selbst die Fußböden waren weiß. […] Silberne, heliumgefüllte Kissen aus der ursprünglichen Factory [von Andy Warhol] schwebten über uns und um uns her. So etwas hatte ich noch nie gesehen.“ In diesem Zimmer ließ sich Patti 1971 ihr erstes Tattoo stechen. Einen Blitz auf eines ihrer Knie. Das Ambiente, in dem ich mir ebenfalls einen Blitz auf das Knie stechen ließ, war zwar nicht so spektakulär, aber durch das Tattoo fühlte ich mich Patti ein bisschen mehr verbunden. Ich bin nun mal ein echtes Fan-Girl – in aller Kitschigkeit.
Eines ihrer Interviews ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Ich habe es mir so oft auf YouTube angesehen, dass ich es inzwischen mitsprechen kann. Darin gibt sie einen Ratschlag an die junge Generation. Ihre Worte sind dabei geprägt von Weitsicht und Solidarität, denn sie ist keine alte Dame, die sich über die Jugend beschwert. Nein, sie hat einen offenen Blick und glaubt an die Menschen. „Wir werden geboren und wir werden sterben. Wir wissen das und deshalb macht es absolut Sinn, dass wir sehr glücklich sein werden, aber manche Dinge auch verdammt abgefuckt sein werden. […] Jede Generation glaubt, dass ihre Zeit die schönste und zugleich schlimmste ist. Ich denke, wir befinden uns in einer Pionierzeit, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat und das macht diese Zeit einzigartig.
People Have The Power
Es ist die Zeit der Menschen, denn Technologie hat den Selbstausdruck demokratisiert. Anstelle von einer Hand voll Menschen, die Platten machen oder ihre eigenen Songs schreiben, kann es jeder machen. Jeder kann ein Gedicht im Internet posten, sodass es Leute lesen können. Alle haben Zugang, den es niemals zuvor in dieser Form gab. Es gibt die Möglichkeit für globale Streiks gegen Regierungen oder Unternehmen, die glauben die Welt zu regieren. Die Menschen können sich durch Technologie verbünden. Wir sind noch dabei herauszufinden, wie viel Macht in uns steckt. Die Menschen haben die Macht. Mehr denn je.“ Eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist der Klimawandel. Ihre Tochter Jesse Paris Smith ist Mitbegründerin der Organisation „Pathway to Paris“. Diese setzt sich für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens ein. Eigens dafür brachten Mutter und Tochter ein T-Shirt mit dem Aufdruck „People Have The Power“, nach dem gleichnamigen Song von 1988, heraus.
Ein Mittel, dem sich Patti über die Jahre hinweg in ihren Büchern immer wieder bediente, ist die Kombination aus Text und Fotografie. Sie fertigte auf ihren Reisen zahlreiche Fotografien in Form von Polaroids an, die sie kontinuierlich in ihre Poesie einband. Wie eine Pilgerin, besuchte sie Grabstätten, Geburtshäuser oder ehemalige Wohnhäuser ihrer Helden, wie zum Beispiel dem französischen Dichter Arthur Rimbaud oder dem „The Doors“-Frontmann Jim Morrison und fotografierte ihre Grabsteine oder persönlichen Gegenstände. Genauso, wie sie jeden Tag schreibt, fertigte sie jahrelang täglich Polaroids an, bevor sie sich 2018 der digitalen Fotografie zuwandte. Denn im März 2018 startete Patti auf Anraten ihrer Tochter ihren Instagram-Kanal „thisispattismith“.
Instagram lässt Fans an ihrem Leben teilhaben
Am Ende des Jahres hatte sie jeden Tag ein Foto geposted. Dieser erste Zyklus aus Fotografien und Texten wurde 2022 unter dem Titel „Buch der Tage“ in gebundener, analoger Form veröffentlicht. Trotz des Schrittes in die digitale Welt, blieb Patti ihrem Konzept treu und lässt nun ihre 1,2 Millionen Follower auf Instagram an ihrem Leben teilhaben. Sie teilt Fotos ihrer Katze Cairo, ihrem morgendlichen Kaffee oder ihrer Weggefährten. Patti Smith ist nahbar und mit 76 Jahren gleichsam unerschrocken sich neuen Medien zu bedienen.
Im Interview mit Harper’s Bazaar sagte sie: „Soziale Medien sind eine schöne Art direkt mit den Menschen zu kommunizieren. Während der Pandemie war es großartig, denn ich sollte eigentlich auf eine Welttournee gehen, aber diese musste selbstverständlich abgesagt werden. Es gab mir die Möglichkeit mit den Leuten überall auf der Welt in Kontakt zu bleiben.“ In der Zeit von Lockdown und Schutzmaßnahmen begann Patti zudem ihren eigenen Newsletter. Seitdem teilt sie kurze Videos, Sprachnachrichten und Bilder mit ihren Fans. Mehrfach in der Woche flattern E-Mails von ihr in mein Postfach. Manchmal trägt sie ein Gedicht vor oder berichtet von ihrer neuen Tour.
Publikum in Weimar erwartet lebendige und mitreißende Performance
Als ich sie 2022 in Dresden live sah, ging für mich ein Traum in Erfüllung. Es kommt vor, dass man enttäuscht wird, wenn man musikalische Helden live sieht, aber bei Patti war das nicht der Fall. Neben ihrer lebendigen und mitreißenden Performance fiel mir auf: sie interagiert mit dem Publikum. Sie zieht nicht einfach ihre Show durch und verschwindet von der Bühne. Nein, sie hat Empathie und Umsicht. Während des Konzerts verließ sie kurz die Bühne und kam mit Ohrstöpsel für die Kinder in der ersten Reihe zurück. „Es ist sehr laut hier, die Kinder müssen ihre Ohren schützen.“ sagte sie anschließend. Für mich wieder ein Beweis dafür, dass diese Frau einfach der Hammer ist. Aber davon könnt ihr euch am 9. Oktober in der Weimarhalle selbst überzeugen.
Hard Facts:
- Patti Smith in Weimar: 9. Oktober | 20 Uhr | Weimarhalle | Unesco-Platz 1
- Mehr: www.pattismith.net
- Instagram: @thisispattismith