Eine Mondlandschaft. Welt in Schnee. Krater voller schwarzer Flüssigkeit kontrastieren die dystopisch anmutende Szenerie. Kleine Bäume, die sich bei näherer Beobachtung als verbrannte Streichhölzer entpuppen. Über all dem fliegen Planeten auf ihren Umlaufbahnen, die quietschend und surrend Schatten auf die Gipslandschaft werfen. Es sind zusammengeknüllte Papierkugeln, die Notizen enthalten. Grobe, fast aufgerissene Ebenen treffen auf filigrane kinetische Objekte. Sie. Nix. Hat. Wir. Auf die Schneelandschaft projizierte Silben und Wörter wandern in Ameisenstraßen über die Miniaturwelt.
Faszinierende 3D-Wimmelbilder
Wie dreidimensionale Wimmelbilder erscheinen die Installationen von Simon Hehemann. Der in Hamburg lebende Künstler stellt derzeit im Kunsthaus Erfurt aus. Oder besser: verwandelt die Galerie für Gegenwartskunst in ein begehbares Kunstwerk. Bis zum 6. Oktober sind die fantastischen Welten von Hehemann in der Thüringer Landeshauptstadt zu sehen und laden ein, der Realität zu entfliehen und seine Wahrnehmung auf die Probe zu stellen.
Ausstellung „Immer im Interim“
„Immer im interim“ heißt die Ausstellung und wirft via Titel ein Schlaglicht auf ebendiese. Aber nicht nur auf die Kunst spielt das „Zwischenzeitliche“, das „Interim“ im Titel an. Auch ganz bewusst auf den Künstler, dessen Arbeiten im Kunsthaus zwar als Abgeschlossenes erscheinen, aber doch nur eine Momentaufnahme des künstlerischen Seins von Simon Hehemann darstellen. Vollendet und doch nur ein Ausschnitt. Alles ist im Werden und nichts kann sich dem entziehen. „Es fällt nicht leicht, das Ganze in Worte zu verpacken. Man hat immer das Gefühl, es entsteht eine Verknappung. Ich versuche mit meinen Instillationen etwas in künstlerischer Form zu greifen. Um dies nachträglich in eine Wortform zu übersetzen, fehlen mir die Begriffe“, erklärt Simon in Bezug auf die Frage, wie er seine Werke beschreiben würde.
Alles scheint in Bewegung
Monique Förster, die Kuratorin und Kunsthauschefin, wird da konkreter: „Es sind Rauminstallationen, innerhalb derer viele verschiedene Elemente ein Ganzes bilden. Kinetische Objekte, die sich bewegen. Kollagen-Bild-Elemente. Ephemere Bestandteile wie Projektionen. Es sind ganz viele verschiedene Medien, die ein großes Schauspiel aufführen.“ Alles scheint im Kunsthaus in Bewegung. Der Hamburger Künstler definiert so den Inhalt seiner Kunst nicht nur durch seine Form, sondern auch durch seine Bewegung. Der Begriff Schauspiel trifft es ganz gut.
Doch starten wir am Kunsthaus-Entree, das so etwas wie einen sanften Einstieg in Simon Hehemanns Welt darstellt. „Tiefdruck im Hochgebirge“ heißt eine der etwa zwei mal zwei Meter großen Bilder, die die Galeriebesucherinnen und -besucher begrüßt und zart in eine Bergwelt zieht. Die Gebirgslandschaft mit Bäumen entlarvt sich bei näherer Betrachtung als eine Fotografie von Simons Bettwäsche. Auf ihr bilden hunderte Graphitstriche eine monochrome Waldlandschaft. Der Himmel besteht aus quadratischen Elementen in verschiedenen Schwarz- und Grauabstufungen. Es sind Scans, die bei Dunkelheit in Simon Hehemanns Atelier entstanden.
Kunst als Eintritt in eine Neue Realität
„Ich möchte die Menschen, die meiner Kunst begegnen, so abholen, dass sie sich intensiv in eine andere Welt entführt fühlen. Dass die Wahrnehmung geschärft wird, weil eine Anziehungskraft von den Werken ausgeht, die in eine andere Realität ziehen“, forciert der Hamburger sein künstlerisches Ziel. Etwas komplett anderes wahrnehmen und dadurch die eigene Welt neu wahrnehmen ist sein Motiv.
Eine Reise durch Raum und Zeit
Auf der unteren Ebene des Kunsthauses versucht die eingangs beschriebene Mondlandschaft, den Besuchenden zu entführen. Vollends entrückt in der Folge die dritte Ebene der Galerie. Durch eine ovale Öffnung betritt man eine Raumstation. Überall bewegen sich kinetische Elemente. Sonnensysteme. Ein Baum aus Projektoren gibt den klickenden Takt vor. Bewegende Schatten wabern entlang der Wände des komplett in Holz verkleideten Raumes. Dias, in denen Simon Wollmäuse aus seinem Atelier eingeschlossen hat, projizieren kleine Universen in das Blickfeld. Alles erscheint wie in einem Werk von Jules Verne, der technischen Fortschritt romantisierend beschreibt.
Düster-poetische Welten
In eine düster-poetische Welt entführt Simon Hehemann auch auf der vierten Ebene des Kunsthauses. Miniaturbunker in einer Landschaft aus Mohn umrundet von Seilbahnen entführen in eine düstere Traumwelt – eine Welt dazwischen. Und genau das ist es, was der Hamburger Künstler durch die kleinen schwarzen Blumensamen erzeugen will. Simon Hehemann interessieren die Zustände zwischen wach sein und Träumen, wo Realität verschwimmt und surreale Ideen den Kopf erfassen. Wie Poesie öffnet die Ausstellung „immer im interim“ einen Interpretationsspielraum, der eine Sogwirkung entfaltet. Oder wie es der 1982 in Mettingen in Nordrhein- Westfalen geborene Künstler beschreibt: „Wenn ich es schaffe, einen poetischen Moment zu erzeugen, komme ich einer vermeintlich wahrhaftigen Schönheit näher. Das Schöne ist für mich ein positiver Mehrwert und vielleicht ist es genau das, was ich den Menschen mitgeben möchte, die meine Ausstellung sehen.“
Hard Facts:
- Immer im interim: Kunsthaus bis 6. Oktober
- Michelisstr. 34
- Mehr unter kunsthaus-erfurt.de