Das Interview mit Thees verspätet sich aus dem sympathischsten Grund. Der Lehrer seiner Tochter ist ausgefallen und damit verzögert sich der Schulstart. Aber auch ohne diesen Grund wartet man gern auf ihn. Denn alles danach entschädigt für die Wartezeit. Für alle, die Thees Uhlmann nicht kennen (was?!): Der 48-jährige Musiker ist Sänger der Hamburger Band Tomte, seit 2011 als Solomusiker unterwegs, Bestsellerautor, Labelchef, Fußballfan und Vater einer Tochter. Und einfach ein bodenständiger Typ. Am 10. Juli kommt er mit Band für ein Konzert nach Erfurt zum SommerPalooza. Was er über Elektroroller denkt und warum eine Schnellfragerunde mit Thees Uhlmann unmöglich ist.
Moin Thees, bist du fit? Wach durch deine Tochter ja auf jeden Fall?
Ich bin schon immer ein totaler Morgenmensch gewesen. Das ist wie bei Angela Merkel, die angeblich 1 Uhr ins Bett geht und 4 Uhr wieder aufsteht. Wenn ich absolute Freiheit habe, dann ist das mein Rhythmus. Und dann fange ich direkt an zu arbeiten. Das ist eine der schönsten Sachen, die ich kenne. Vor der Welt aufzustehen, mag ich sehr gern.
Geht es dann direkt an den ersten Kaffee, oder hast du ihm abgeschworen, seit er sich mit dem Wein verbündet hat? (Anm. d. Red.: Kaffee und Wein ist ein Song von Thees)
Ich habe einen wirklich guten grünen Tee gefunden. Den brühe ich bei 80 Grad Celsius auf. Da freut sich der Mund über jeden Schluck. Noch sanfter ist dann der zweite Aufguss. Früher habe ich Punk-Vinyls gesammelt – jetzt eben so …
Ist das eine dieser kleinen Spießigkeiten, die einem im Laufe der Jahre sympathisch werden?
Ich finde, wenn Leute in meinem Alter mit Ende 40 so ein Gewese darum machen, dass sie nicht spießig sind, da werde ich immer ganz misstrauisch. Zum Beispiel, wenn Leute über 40 einen Philipp Plein Pullover anhaben, wo dann so Totenköpfe aus Strasssteinen drauf sind, die sagen sollen: „I´m really wild, i´m really rocky!“. Ich würde solche Leute gern mal kennenlernen, aber ich bin einfach misstrauisch. Dazu habe ich einfach zu viele normale Freunde und Freundinnen, die so abgedrehte Sachen machen. Wenn mein Freund Uwe vom Versicherungsbusiness erzählt, das ist ein solcher Wahnsinn. Das finde ich einfach interessanter, als wenn mir Leute erzählen, dass sie ein teures Steak essen waren, weil sie Geld haben und das dann Rock´n´Roll finden.
Wie sieht denn ein typischer Thees-Tag aus? Und hat er sich durch die Pandemie verändert?
Das ist eigentlich wie bei allen. Meine Tochter ist 15 und ist wahnsinnig gut zurecht gekommen mit dem Homeschooling. Ich kann jeden verstehen, dem da die Decke auf den Kopf gefallen ist, vor allem mit mehr und jüngeren Kindern. Aber wir sind zu zweit super durchgekommen. Dafür muss man dankbar sein. Ich habe einfach große Freude daraus gezogen, Vater zu sein. Jetzt wird es doch ein bisschen spießig (lacht). Ich koche und wir schauen gern zusammen Fernsehen.
Du sagtest mal in einem Interview, dass du am ehesten Erzieher wärst, wenn es mit Musik und Büchern nicht funktioniert hätte?
Das ist das Realistischste. Ich habe Lehramt studiert, ich bin nur mit dem Studium nicht zurechtgekommen. Das war mir einfach zu viel Eigenverantwortung und Orga. Erzieher hätte ich aber gern gemacht.
Apropos Erziehung. Du magst keine Gleichgültigkeit. Was bringt dich so richtig auf die Palme und nutzt du Songs als Erziehungsmaßnahme?
Ich kann jetzt natürlich sagen: der Krieg oder die AfD. Ich glaube aber, das braucht man nicht explizit zu erwähnen. Was mich besonders hier in Berlin in den Wahnsinn treibt: Ich kann es in der Essenz des Gehirns und dergleichen DNA nicht verstehen, dass jemand mit einem Elektroroller durch die Gegend fährt und denkt: „Ich werde ihn jetzt im rechten Winkel zum Gehweg abstellen.“ In den Fluss werfen könnte noch jugendliche Randale sein. Etwas, dass ich zutiefst unterstütze. In Paris gibt es ein magnetisches Boot, dass durch die Seine fährt und die Roller wieder hochholt. Geniale Idee. Aber wenn die in Gruppen unterwegs sind und dann nicht mal einer auf die Idee kommt zu sagen: „Diggi, lass die mal so hinstellen, dass die nicht im Weg stehen.“ das macht mich wahnsinnig. Da werden auch diese millionenschweren Firmen viel zu wenig in Regress genommen. Das ist der Beweis und die Definition eines evolutionären Rückschrittes und rücksichtlos gegenüber Älteren und Menschen mit Sehbehinderung. „Schau mal, hinter mir ist keine Welt und vor mir ist auch keine Welt“. Da kocht der absolut wahnsinnige, norddeutsche Zorn in mir. Es gibt keine Proberäume für Bands in Berlin aber 50.000 von diesen beschissenen Rollern, die dazu dienen sollen, urbane Bewegungsströme zu untersuchen. Die fahren einfach vor der Schule auf und ab und versuchen Mädchen zu beeindrucken. That´s modern mobility.
Das klingt, als dürften wir demnächst einen Roman oder einen Song über Elektroroller von dir erwarten?
(Lacht) Ich weiß es nicht. In der Kunst prangere ich ungern an. Ich schreibe nur, wenn ich wirklich Lust auf Kunst habe. Und dann schreibe ich richtig doll. Wenn ich dann um vier Uhr morgens anfange zu arbeiten, mache ich halb zehn Mittagsschlaf, weil ich vollkommen fertig bin. Aber dann ist der Tag ja nicht zu Ende. Vielleicht sollte ich danach Wutkolumnen schreiben.
Wann hast du am meisten Bock auf Kunst? Wenn du glücklich oder wenn du traurig bist?
Glücklich ist vielleicht zu viel gesagt. Wenn positiv nichts los ist. Das Beste ist, wenn meine Tochter im Urlaub ist und ich weiß, ihr geht es gut. Wenn sie Zuhause ist und ich vegane Tacos machen muss, ist das schwierig. Ich finde, Rock´n´Roll und vegane Tacos passen nicht zusammen. Wenn ich nur für mich sein kann, kommen eher schöne Gedanken raus.
Kann ich aus dir rauskitzeln, ob du ein paar dieser Momente hattest, oder wir noch drei Jahre auf das nächste Album warten müssen?
Drei Jahre nicht. Aber für uns alle war die Pandemie eine völlig neue Situation. Vor allem Wissenschaftler und Mediziner mussten wahnsinnig viel Arbeit leisten und es musste gesichert werden, dass die Wirtschaft nicht einbricht. Das war für mich nicht die Zeit für Uhlmann-Gedanken. Ich habe ein bisschen was geschrieben und mir Mandoline beigebracht. Aber damit ich was Künstlerisches machen kann, muss es auf eine bestimmte Art normal sein. Und ich habe die Corona-Situation als totale Abwesenheit von Normalität begriffen. Die ist auch noch nicht wieder da.
Spiegelt sich das auch in den Ticketverkäufen wider?
Die Erfahrung zeigt: Selbst, wenn ein Konzert ausverkauft ist, wie das der Toten Hosen letztens in Flensburg, kommen nicht alle. Zehn Prozent haben Corona, zehn Prozent bleiben aus mannigfaltigen Gründen weg. Weil es ihnen zu gefährlich ist. Oder sie verlernt haben, wie es ist, auf Konzerte zu gehen. Und dann kommt bei Netflix eine neue Serie und sie bleiben lieber zu Hause, obwohl sie eine Karte haben. Das Geld ist ja bei der Band und denen die es brauchen. Dazu kommt die Inflation. Das wird noch interessant. Und das meine ich total vorwurfsfrei.
Du kommst im Juli zu einem Konzert nach Erfurt. Du warst schon häufiger in Thüringen, was ist deine luzideste Erinnerung? Abgesehen von Bratwurst bitte.
Ein ganz doller „Rock´n´Roll“-Moment, der bestimmt schon zehn Jahre her ist. Da haben wir mal im Erfurter Stadtgarten gespielt. Unser Busfahrer ist rückwärts mit einem Zug in den schmalen Gang gefahren, wo wir die Instrumente ausladen wollten. Dann kam der Chef vom Stadtgarten raus und meinte: Der Busfahrer von Jan Delay hat zehn Anläufe gebraucht. Da wurde erst mal gejubelt. YEAH. Wir haben den besseren Busfahrer! Und immer, wenn ich durch Erfurt fahre, schreibe ich Clueso eine SMS, in der steht: „Bin gerade in Erfurt!“
Was schreibt er dann meistens zurück?
„Geil“ (lacht).
Super Dialog.
Es hört sich doof an, ist es vielleicht auch. Aber wenn mich die Leute fragen: „Warum gehst du immer noch so gerne auf Tour? Wirst du der ganzen Sache nicht überdrüssig?“ Dann kann ich immer nur sagen: Das Durchfahren und Durchdringen dieses Landes mit Kunst oder Rock´n´Roll ist eine Faszination, die nur zunimmt. Man weiß, dass man diese Plätze immer wieder sehen wird. Und man sieht anhand von Künstlern, dass das an jedem Ort sein kann. Clueso ist wahrscheinlich mittlerweile einer der zwanzig bekanntesten Deutschen. Und er kommt nicht aus Berlin, sondern aus fucking Erfurt. Das finde ich gut. Und das manifestiere ich einfach gern, in dem ich ihm eine SMS schreibe. Manchmal fotografiere ich etwas total Langweiliges aus dem Zug und frage ihn: „Was ist das?“ Dann antwortet er: „Das ist die Aral-Tankstelle an der Hintertupfinger Straße. Da habe ich mal eine Cola geklaut.“ Und das mag ich einfach gern.
Du bist ja nicht nur Musiker, sondern auch Autor? Was ist dir lieber: Rotwein und Lesung oder Bier und Konzert?
Ich muss sagen, das Sein nach den Konzerten mit der Band und den Leuten, die für mich arbeiten, das sind heilige Momente. Ich zitier‘ jetzt mal Toni Kroos: Du hattest zwei Tage Zeit, dir Fragen auszudenken und jetzt kommst du mit so Scheissfragen um die Ecke. So ´ne richtige Journalistenfrage: „Was ist besser?“ (lacht)
Bei „Sophia, der Tod und ich“ habe ich lange Lesungen gemacht. Teilweise drei Stunden. Und das Gefühl, das dann allein weggerockt zu haben, ist schon gut. Wenn du vorliest, ist das so ursprünglich. Dieses „Ich erzähl euch eine Geschichte“ und andere hören zu. Da ist man schon auch stolz, wenn sie so lang zugehört und gelacht haben. Und sich dann noch anderthalb Stunden anstellen, um ein Autogramm ins Buch zu bekommen. Da mag ich das Rudimentäre. Und beim Konzert liebe ich die Menschen, mit denen ich in einer Band bin. Mein Mischer sagt immer: „Auftauchen, Glänzen, Abhauen.“ Und dieses Gefühl, unterwegs zu sein, das ist unvergleichlich.
Sehr diplomatisch gelöst! Dann lass uns von den journalistischen zu den Fan-Fragen kommen. Hast du Lust?
Yes! Ich bekomme auf jeden Fall gerade einen roten Kopf hier in Berlin-Kreuzberg.
In deinem Kopf scheint es wahnsinnig hektisch zuzugehen, lässt du ihn galoppieren, weil du weißt, dass er von allein irgendwann Pause macht; hast du einen Trick, um ihn manchmal einzufangen und zur Ruhe zu führen … oder ist es ganz anders und gar nicht anstrengend, weil ohne diese Hektik dein Herz einschlafen würde vor Langeweile?
Junge, Junge, Junge. Was ´ne Frage! Da kann ich nur zu sagen, dass meine Eltern früher immer schon gesagt haben: „Kannst du nicht einfach mal die Hände stillhalten?“ Für mich ist das nicht anstrengend. Das ist, wie ich bin. Vielleicht kommt es auch daher, dass ich so dafür kämpfen musste, mit der Kunst ernst genommen zu werden. So funktioniere ich einfach, dass da immer Action ist. Benjamin von Stuckrad-Barre hat mal über uns gesagt: Tendenziell brennt es immer hinter uns.
Ich finde, dass du eine ganz eigene Art und Weise hast, dich auszudrücken – ganz gleich ob ausgesucht in der Musik, wild in den besten Facebook-Posts der Welt, oder literarisch in den beiden Büchern über die Hosen und Sophia. Ist das ein lang erprobtes Handwerk, oder reine Persönlichkeit und Intuition?
Ich glaube, da ist es beides. Ich hab‘ in Deutsch die schlechtesten Diktate geschrieben. Ich mochte aber gerne das Lesen und Schreiben. Aber wie kommt man dann dazu, wenn man der Schlechteste der Klasse ist? Da habe ich mir gedacht: Wenn du das Formale nicht draufhast, dann musst du so schreiben, dass es kruder ist als anderes. Und wenn man, wie ich, viermal so viele unsinnige Gedanken hat wie andere, dann kann man das zu Papier bringen. Es gab immer Leute, die an mich geglaubt haben. Ich habe mir auch bei Werbetexten für Konzerte immer Mühe gegeben, etwas Besonderes zu schreiben. Was wir musikalisch gemacht haben, hat damals keinen interessiert. Die Ankündigungen waren aber so anders, dass es die Leute neugierig gemacht hat. Man muss Mut haben, anders zu sein. Sich den kleinen Gedanken hingeben, in denen sich die Leute wieder erkennen.
Lass uns das Interview mit einer Schnellfragerunde abschließen?
Auf geht´s!
Jena oder Erfurt?
Moment. Ist das so Halle/Magdeburg-mäßig? Ok. Das war mir nicht bewusst. Das ist gemein, sowas zu fragen. Ich sag mal so: Auf die Idee zu kommen, einen Bahnhof „Paradies“ zu nennen, das ist schon spitzenmäßig. Und in Erfurt kann unser Busfahrer besser einparken. Tatsächlich hab‘ ich zu Erfurt eine relativ enge familiäre Beziehung. Mein Onkel Wolfgang, der dieses Jahr leider verstorben ist, der kam aus Erfurt und hat immer viel erzählt. Er war dann in Buxtehude und Stade Staatsanwalt. Und schon als Kind hat man geschnallt, wenn man ihn angeschaut hat, dass ihm was fehlt. So viel zur Schnellfragerunde. Das hast du jetzt davon.
Berufsrisiko. Insta-Kanal selbst pflegen oder pflegen lassen?
Letzteres. Ich schreibe gern die Texte. Aber alles andere ist mir zu viel Lob und Kommunikation mit Leuten, die man nicht kennt. Ich möchte nicht so oft gelobt werden. Ich bin norddeutscher Protestant. Das ist nicht vorgesehen. Wir schämen uns, wenn wir gelobt werden. Instagram ist da das Zentrum der evangelisch-christlichen Hölle. Da wird ja nur gelobt und auch viel gelogen. Ich bin heilfroh, dass sich Rainer um Social Media kümmert.
Abstieg St. Pauli in die 3. Liga oder eine Taschenuhr tätowieren lassen?
Uh. Die Uhr ist heftig. Die Tätowierung sagt ja, „Schau an, was ich erlebt haben werde und was ich gewesen bin.“ Der Gedanke an sich ist interessant. Aber die Tatsache, dass das immanent diese Ewigkeit hat; dass Millionen von Menschen sich die gleiche Tätowierung machen lassen, die habe ich noch nicht durchdrungen. Da würde ich auf jeden Fall, weil ich radikaler Individualist bist und denke, dass von der Gemeinschaft die Hölle ausgeht, jederzeit eine Drittliga-Saison mit dem FC St. Pauli vorziehen.
Hard facts:
- Thees beim Sommerpalooza:
- 10. Juli | Einlass: 18 Uhr
- Messe Erfurt
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