Wir sprechen mit Lasse an einem trüben Freitagnachmittag. Zunächst verspätete sich der in Berlin lebende Däne. Kein Wunder – im Videocall zeigte sich, dass Lasse im Studio ist. Eingetaucht in seiner Musik hatte er wohl Raum und Zeit verloren. Und trotzdem war er sofort präsent und charismatisch. Was wohl auch mit seinem dänischen Akzent zu tun hat, der es einem schwer macht, nicht seinem Charme zu erliegen. Aber diesen Eindruck verursacht Lasse nicht nur im persönlichen Gespräch.
Lasse Matthiessen spielt in Erfurt
Die Musik des Indie-Folk-Sängers, der sich auf seinem aktuellen Album zum Elektro-Poeten mauserte, erzielt ähnliche Wirkung. „Dreams Don’t Make Noise”, Lasse Matthiessen neuste Veröffentlichung mäandert zwischen theatralen Clubsound, emotionalem Pop und verträumten Indie. Seine schimmernden Songs, die ihr am 2. Dezember in Erfurt serviert bekommt, sind gespickt mit organischen Synthis, elektronischen Beats und samtigen Bässen. Wir sprachen vorab mit dem liebenswerten Dänen über seinen neuen Sound, genreüberschreitende Erfahrungen und Beton-Ozeane.
Hey Lasse, wie gehst du eigentlich in ein Interview? Hast du Erwartungen?
Das ist unterschiedlich und kommt darauf an, mit wem ich spreche. Ich erlebte es schon, dass einige Interviewpartner mich und meine Musik gar nicht kannten. Das ist manchmal ein Vorteil, weil man über Sachen reden kann, über die man gewöhnlich nicht spricht. Aber wenn sich Journalist:innen vorbereiten, macht das Interview es üblicherweise mehr Spaß.
Da kann ich dir eine gute Nachricht verkünden: Ich bin vorbereitet … und lege gleich mal los. Also Lasse, das neue Album ist draußen, was bedeutet das für dich? Du hast da bestimmt viel Arbeit reingesteckt.
Es fühlt sich gut an, aber gleichzeitig bringt eine Albumveröffentlichung auch viel Stress mit sich. Ich liebe es, auf Tour zu gehen und live zu spielen, aber Songs fertigzustellen und bis zur Veröffentlichung zu bringen, zieht einen Rattenschwanz an Arbeit mit sich. Und um Musik überhaupt veröffentlichen zu können, muss man im Vorfeld schon äußerst viel Zeit investieren. Leider hat das alles diesmal noch länger gedauert, weil wir nicht auf Tour gehen konnten. Obwohl die Hälfte der Platte bereits vor einem Jahr fertig war. Deshalb freue ich mich, dass es jetzt los geht. Ich liebe es, meine Songs auf einer Bühne mit Leben zu füllen, zu spüren, wie die Leute meine Musik in sich aufnehmen.
Also habt ihr mit der Platte gewartet, bis ihr wieder live spielen könnt?
Wir mussten die Tour zweimal verschieben. Damit die Platte aktuell bleibt, warteten wir mit der Veröffentlichung der letzten Songs des Albums.
Acht Jahre hast du dir dafür Zeit gelassen. Was hast du in der Zwischenzeit getrieben?
Ich ging längere Zeit einem weiteren Job nach, um ein Stück weit meine Musik finanzieren zu können. Tatsächlich nahm ich mir aber einfach nur mehr Zeit, um neue Songs zu produzieren. Ich schrieb wirklich viele Lieder. Außerdem bin aber, was meine Musik angeht, sehr kritisch. Von 40 Liedern – die eigentlich auf die Platte hätten kommen können, fand ich letztendlich nur neun Songs so gut – dass sie aufs Album durften.
Alles klar. Also bist du selbst dein größter Kritiker?
Ich denke schon. Hoffentlich existiert kein größerer Kritiker (lacht) …
Wie würdest du sagen, hat sich deine Musik seit deinen letzten Alben verändert und warum?
Das „Warum?“ ist einfacher zu beantworten: Ich schreibe immer noch Folk-Songs und benutze dabei jeden Tag meine Gitarre. Aber ich hatte das Bedürfnis, Lieder zu produzieren, die sich, obwohl sie immer gleich entstehen, nicht immer gleich anhören. Um das umsetzten zu können, entschied ich mich dafür, Unterstützung von vielen unterschiedlichen Künstler:innen zu holen. Dadurch entstand einiges, was nicht unbedingt albumtauglich war, jedoch konnte ich so neue Erfahrungen sammeln.
Am Ende kristallisierten sich zwei Produzenten heraus. Einer von den beiden ist Schwede und kommt aus einem ganz anderen Musik-Genre. Er produziert Musik am Rechner und macht das sehr zügig. Demgegenüber schreibe ich länger an einem Lied und versuche es gefühlt zwei Monate lang zu perfektionieren. Als ich mir die in Kooperation entstandenen Tracks anhörte, war mein erster Gedanke: „Ist das wirklich was für mich?“ (lacht). Aber obwohl es irgendwie anders ist, war es genau das, was ich brauchte. Ich stellte mich einer Herausforderung, um ein neues Genre zu entdecken, ohne Angst zu haben, dass es nicht zu meiner Musik passt. Das war richtig und wichtig!
Würdest du sagen, dass es etwas Bereicherndes hat, mit neuen Genres zu experimentieren?
Ja, auf jeden Fall! Ich dachte vorher, dass ich vielleicht die Beziehung zu meiner alten Musik verliere, wenn ich eine neue Richtung einschlage. Jetzt weiß ich aber, dass das dieser Gedankengang falsch ist. Es ist ja nicht so, als ob ich verlerne Songs mehr in meinem ursprünglichen Genre zu schreiben … Auf dem Album gibt es den Titel „Colors“, den ich auf meiner Gitarre komponierte. Er entstand, als ich in Schweden im Bahnhof auf den Zug wartete. Nach der Post-Produktion des Tracks ist die Gitarre komplett verschwunden. Keiner würde jetzt denken, dass es ursprünglich ein Akustik-Folk-Song war.
Welche Rolle spielte dabei Berlin?
Für mich ist Berlin wie ein Refugium. Ein Ort, an dem ich viele Menschen treffen und Musik mit machen kann. Dennoch ist dort alles flüchtig. Als ich in Berlin lebte, hat es sich fast so angefühlt, als ob ich regelmäßig in einer anderen Stadt aufwache. Berlin ist zudem eine Art Bühne für meine Texte. Ich komponierte viele Lieder, die von unterschiedlichen Orten in Berlin inspiriert sind. Der Song „Ocean“ ist eines davon. Darin geht es um den BetonOzean der Hauptstadt, in die man eintaucht.
Hat es deshalb die Berliner Straßenbahn auf dein Cover geschafft?
(Lacht) Ja. Dazu gibt es eine witzige Geschichte. Wir waren in der Stadt unterwegs, um ein Musikvideo für „Dreams Don’t Make Noice“ zu drehen, hatten aber nicht wirklich einen Plan. Wir sind einfach überall rumgefahren und ich sang an verschiedenen Orten. Die zwei Leute, mit denen ich unterwegs war, meinten: „Wollten wir in der Straßenbahn drehen?“ Und ich sagte: „Ist das nicht ein bisschen klischeehaft?“. Wir machten es trotzdem. Einer der beiden fotografierte mit einer Analogkamera. Die Resultate, die ich erst nach zwei Wochen sah, fand ich super. Ich dachte, das Ambiente und die Farben passen gut. So ist ein Cover entstanden, dass so nie geplant war.
Deine neue Musik hat etwas Düsteres, ich würde sogar sagen etwas Theatrales. Wie kommt das zustande?
Das kann ich gar nicht so genau sagen. Es fühlt sich einfach richtig an. Wir wollten versuchen, mit den neuen Songs ein Gefühl von Nähe zu erzeugen. Deshalb sang ich sehr nah am Mikro. Man sollte das Gefühl bekommt, als würde jemand auf deiner Bettkante sitzen und für dich singen. Zudem benutzen wir große, starke Bässe und spielen mit Breaks, bei denen beispielsweise die ganzen Beats bis auf meine Stimme wegfallen. Kurze Zeit später setzt alles wieder mit viel Kraft ein.
Könntest du dir vorstellen, mit einem Chor und einem Orchester auf der Bühne zu stehen? Hört sich in manchen Songs so an.
Boah, das wäre mega! Das kann ich mir auf jeden Fall gut vorstellen. Da wäre die Finanzierung jedoch ein kleines Problem, aber ansonsten gerne (lacht) …
Du gehst jetzt auf Tour und trittst im Dezember in Erfurt auf. Stehst du da allein mit deiner Gitarre auf der Bühne, oder hast du Verstärkung dabei?
Wir sind zu zweit auf der Bühne. Martin Krümmling und ich. Er ist in Erfurt und Gotha aufgewachsen, weshalb ich bereits oft in Thüringen war. Wir nahmen unter anderem auch Songs in einem Studio außerhalb von Erfurt auf. Bei einigen spiele ich Gitarre oder Klavier. Martin ist am Schlagzeug, spielt Hi-Hats, Keyboard und Synthesizer.
Demnach hast du bereits Erinnerungen an Thüringen?
So einige. Vor der Pandemie, als wir viel on Tour waren, legten wir an den freien Tagen Pausen in Gotha ein. Bei Martins Mutter. Das fand ich toll (lacht). Zudem produzierten wir in dem Studio nahe Erfurt zwischen den Konzertterminen den Song „When We Collided“, den ich eher beiläufig unterwegs geschrieben habe. Zunächst fand ich ihn nicht wirklich interessant. Aus Zufall zog ich den Song nach einem langen Studiotag jedoch wieder aus der Tasche. Wir nahmen „When We Collided“ also doch auf. Just for fun. Nach der Veröffentlichung rutschte der Track auf die Spotify-Playlist „New Music Friday“. In Deutschland und Schweiz erreichte ich damit über 900.000 plays.
Nice!
Ja, – und das mit einem Song, den ich eigentlich bereits ad acta gelegt hatte.
Also hast du wirklich positive Erinnerungen an Thüringen …
Genau. Und es werden ganz bestimmt nicht die Letzten bleiben (lacht).
Hard Facts:
- Wann: 2. Dezember | Einlass: 19 Uhr | Beginn: 20 Uhr
- Wo: Erfurt | Franz Mehlhose | Löberstraße 12
- Mehr: www.lassematthiessen.com
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