„Wer immer macht, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“ Besser kann man die Intention, die einem dazu bewegt, Industriekletterer zu werden, nicht auf den Punkt bringen. Das zumindest ist die feste Überzeugung des 31-jährigen Benjamin Lieberts. Der Erfurter ist freier Mitarbeiter bei Höhenfaktor, einer in Erfurt ansässigen Firma, die hoch hinaus will.
Marco Vogler ist der Chef des Betriebes, der seine Heimat am Güterbahnhof – vielen besser bekannt als Zughafen – gefunden hat. Derzeit ist hat das Höhenfaktor-Team hauptsächlich zwar noch in der Erfurter Schlachthofstraße anzufinden, doch das soll ich in naher Zukunft ändern. „Wir haben uns die Halle am Zughafen gemietet, weil wir früher oder später hierher ziehen wollen“, erklärt der 37-Jährige, der große Plane hat: „Wir wollen am Zughafen einen Ausbildungsbereich und einen Shop für Industriekletterer einrichten“, fügt er an und sagt: „Ich will eigentlich von der Bezeichnung Industriekletterer Abstand nehmen, weil es das, was wir machen nicht wirklich angemessen beschreibt.“ Laut Marco arbeiten er und Benjamin als Seil-Zugangs-Techniker. Denn mit einer Vielzahl von Seilen, Gurten und Karabinerhaken hangeln sich die Beiden durch luftige Höhen aber auch in schaurige Tiefen.
Höhenfaktor arbeitet in anderen Welten
Sie arbeiteten bereits an hunderte Meter hohen Brücken oder Silos, wo sie Reinigungs- und Reparaturarbeitend in luftigen Sphären durchführten. Aber auch in dunkler Tiefe, wo kein normaler Mensch je hinkommt. „Neulich hatten wir einen Auftrag in einem Kalischacht in Unterbreitzbach. Dort haben wir in 700 Metern Tiefe mit Presslufthämmern Salzanhaftungen von einem Einschüttloch entfernt, über das die Bergarbeiter enorme Salzmengen zum Abtransport in die Tiefe kippen.
„Dort befindet man sich in einer anderen Welt. Da kann man in der Mittagspause nicht mal eben kurz zum Bäcker“, scherzt Benjamin, der mit Begeisterung in der Stimme von seinen Erlebnissen berichtet. „Ich war bereits auf so vielen Dächern in Erfurt. Das sind Orte, an denen hat man einen wunderschönen und atemberaubenden Ausblick. Das können nicht viele erleben“, schwärmt der gelernte Steinmetz, der durch Umwegen zur Arbeit als Industriekletterer kam – Ähnlich wie Marco, der eigentlich eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht hat. „Ich hab Jahre lang neben meinem Hauptberuf als Seilzugangstechniker gearbeitet. Erst 2016 habe ich meinen Job an den Nagel gehangen, um das zu machen, was mich auch in der Freizeit bewegt.“
Für ihre Berufung riskieren sie ihr Leben
Benjamin und Marco haben beide durch ihre Leidenschaft fürs alpine Klettern zu ihrer jetzigen Berufung gefunden. Klettererfahrung sei das A und O bevor man anstreben sollte, in ihrem Beruf zu arbeiten. „Die meisten stellen sich das immer ganz romantisch vor, doch es gehört einiges dazu.“ Wie der Höhenfaktor-Chef berichtet, riskieren sie bei jedem Einsatz ihr Leben. Nicht zuletzt wegen des sogenannten Hängetraumas, das man erleiden kann. Der Gurt, in dem wir hängen, schnürt die Beine ab. Blut wird nicht mehr ausreichend ins Gehirn gepumpt. Nach etwa 30 Minuten schläft man ein und wacht nie wieder auf, berichten die Zwei. Deshalb sind Industriekletterer sehr gut ausgebildet. Man muss einige Prüfungen ablegen und regelmäßig sein Wissen auffrischen, um am Ball zu bleiben und sicher arbeiten zu können.
Diverse Hilfsmittel unterstützen die Beiden bei ihrer Arbeit, die nicht einfach darin besteht, an einem Seil nach unten zu klettern. „Wir hangeln uns horizontal und diagonal an mehreren Seilen zum Einsatzort. Dafür braucht man nicht nur Können, sondern auch das Know-How“, schildert Marco. „Man kann sich das wie bei Tarzan vorstellen, der von Liane zu Liane schwingt“, witzelt Benjamin, der ähnlich wie sein Kollege die Freiheit am Job des Industriekletterers besonders liebt: „Wir sind alle freiheitsliebende Menschen, immer bereit etwas Neues zu lernen, um die verschiedenen Aufgaben an schwer erreichbaren Stellen zu bewältigen. Man lernt in unserem Beruf nie aus.“ Und genau diese Mischung aus Freiheitsliebe, Mut und Wandelbarkeit sind es, die Marco und Benjamin, dazu bewegen, sich in unerreichbare Ecken zu schwingen und nicht stillzustehen, um immer neue luftige Höhen als ein neue Menschen zu erklimmen.
Homepage – Höhenfaktor: https://hoehenfaktor.de/