Winter. Gegen 16 Uhr verabschiedet sich das Tageslicht. Die Sonne, falls sie sich überhaupt durch die dicken Nebel- und Wolkenschwaden kämpfen kann, ist im Untergehen begriffen, noch bevor ihr Antlitz unser Gemüt zu wärmen vermag. Die Dunkelheit umfängt uns zwei Drittel des Tages. Was also tun, um der winterlichen Tristesse zu entfliehen? Die Weihnachtsriten machen es vor: Es ist die Zeit der Lichter. Menschen schmücken ihre Wohnungen und erleuchten ihre Fenster und Fassaden. Die künstliche Illumination verschafft uns in der sonst so düsteren und kalten Zeit Wonnegefühle. Dick eingepackt bei Spaziergängen, ganz nach dem Beispiel der Zwiebel, mit den verschiedensten Stoffschichten umhüllt, versüßt der Lichterglanz von allen Seiten strahlend den Winter. Eine Erkenntnis, die auch die findigen Kollegen der ega und des Zooparks in Erfurt ereilte und sie animierte, ihre Parks und Gärten in ein strahlendes Gewand zu hüllen.
Ritzmann erstellt fantastische Leuchtkreaturen für die ega Erfurt
Geometrische Körper im farbenfrohen Lichtdesign, mystisches Wispern und Geschichten, besondere Lichtobjekte und viele überraschende Entdeckungen locken Abend für Abend zum Winterleuchten in den Egapark in Erfurt. Bis zum 23. Januar 2022 soll dort die Nacht verzaubert und das Gemüt ähnlich wie die Umgebung aufgehellt werden. Ein außergewöhnliches Lichterspektakel erwartet die Besucher ebenso im Thüringer Zoopark Erfurt. Bis zum 14. Februar 2022 können dort alle Flaneure und Flaneurinnen in eine atemberaubende Welt aus farbenfrohen Lichtern und brillanten Projektionen eintauchen. Das Besondere hierbei: Im Zoopark warten lebensgroße Tierskulpturen des Erfurter Künstlers Michael Ritzmann auf die Gäste. Ritzmann, der schon auf zahlreichen Ausstellungen von Erfurt über Berlin und Tokio vertreten war, ist nicht zum ersten Mal Teil der Lichternächte. Bereits im vergangenen Jahr lieferte der Kreative vier zum Teil überlebensgroße Skulpturen, welche die Kinder zum Staunen bringen sollen.
Kunst eröffnet Möglichkeiten
Gorilla, Heuschrecke, Nashornkäfer und Schmetterling verstärken in diesem Jahr den Reigen der skulpturalen Leuchtelemente. Wir sprachen mit Michael Ritzmann kurz vor der Eröffnung der Lichternächte in seinem Atelier in der Weimarischen Straße in Erfurt. Dabei trafen wir auf einen Künstler, der sowohl Auftragskunst als auch die nicht gegenständliche Darstellung von Ideen beherrscht. Seine Kreativität verschmilzt Micha vermittels profundem Materialwissen und handwerklichem Know-how zu immer neuen Werken, welche die Rezipienten in ihren Bann ziehen. Sein Repertoire lässt sich dabei nicht nur auf ein Medium beschränken. „Ich male, ich erstelle Skulpturen und mehr. Das Schöne an der Kunst ist, dass sie einem die Möglichkeit gibt, alles zu tun, worauf man Lust hat“, sagt Micha. „Ich bin nicht der Meinung, dass ein Künstler ein festgelegtes Genre oder eine fixe Arbeitsweise haben muss. Wenn man ein omnipotenter Künstler ist, dann schafft man es, seine Ausdrucksform, Stil und Alleinstellungsmerkmale in jedem Genre zu realisieren. Wenn ich gerade Bock habe zu Schweißen, dann kauf’ ich mir ein Schweißgerät und zwing mich dazu, mit dem Werkzeug und dem Objekt umzugehen.“ Bei dem Erfurter Künstler ist es die Lust, Sachen zu hinterfragen und zu erforschen, die ihn antreibt. „Deshalb habe ich alles, worauf ich Bock hatte, einfach umgesetzt.“
Im akademischen Kunstbereich läuft viel über Materialforschung. Also dass man überlegt, welche Werkzeuge man verwendet oder wie man damit umgeht. Gehst du bei deiner Kunst auch so vor?
Bei mir gibt es nicht DIE Herangehensweise. Ich setze mich nicht vor eine leere Leinwand und überlege mir dann, was ich daraus mache. Es ist genau andersrum: Die Ideen kommen zu mir, beim Fahrradfahren, wenn ich auf dem Klo sitze, gerade ein Gespräch führe oder einen Waldspaziergang mache. Diese Ideen geben mir dann vor, in welchem Medium sie sich am besten umsetzen lassen. Die Ideen suchen sich quasi ihr Medium selbst, in welchem sie am liebsten umgesetzt werden wollen.
Wie bist du beim Auftrag des Zooparks vorgegangen?
Durch meinen großen Habitus an Fähigkeiten, von dem auch viele Leute wissen, kontaktieren mich Interessenten mit den verrücktesten Anfragen. Sie wissen, dass ich diese umsetzen kann. Neben meiner eigenen privaten Kunst, auf die ich mich vorrangig konzentriere, werden Anfragen wie die des Zoos an mich herangetragen. Ich sollte große Tierskulpturen bauen, die leuchten. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht, aber in diesem Moment wusste ich genau, wie ich dieses Projekt angehe. Mir wurde die Idee gegeben und sich auf mein Fachwissen verlassen. Letztes Jahr habe ich dann die ersten vier Skulpturen gebaut: Eine Giraffe, ein XXL-Erdmännchen, einen Elefant und ein Rhinozeros. Dieses Jahr kommen ein Gorilla, eine Heuschrecke, ein Nashornkäfer und ein Schmetterling dazu.
Du realisierst neben dem Projekt für den Zoo auch Anfragen national erfolgreicher Rapper wie Rin oder großer Konzerne wie Netflix?
Ja. Aufgrund des erwähnten Repertoires an Fähigkeiten fragen mich ausgewählte Agenturen, ob ich für sie kommerzielle Projekte umsetze. Diese Arbeiten publiziere ich aber nicht, weil ich sonst mit Anfragen überhäuft werden würde. Dann hätte ich keine Zeit mehr für meine Kunst. Ich nehme solche Anfragen nur an, wenn ich Lust darauf habe und mich die schöpferische Umsetzung reizt. Die Figuren für den Zoopark mache ich aus Lokalpatriotismus.
Was waren die letzten Anfragen, die reinflatterten?
Ein großes Wandrelief für den Fußballer Sergio Ramos in Madrid in Kooperation mit einem anderen Unternehmen. Außerdem erstellte ich große Projekte für Netflix. Um es genau zu sagen, ich hab‘ den F1-Ferrari von Michael Schuhmacher nachgebaut, um ihn in eins zu eins an eine große Fassade zu hängen und so auf die neue Formel-1-Doku hinzuweisen. Das sind in im engeren Sinne keine künstlerischen Arbeiten. Die Figuren für den Zoopark mache ich aus Lokalpatriotismus.
Wie stellst du die Figuren für den Zoo her?
Ich erstelle die Figuren intuitiv. Als Vorlage nutze ich kleine Tier-Spielfiguren oder Bilder der echten Tiere. Aus dünnen Metallstäben erstelle ich dann ein Gittergerüst, das die Grundform der Figur vorgibt. Auf dieses Grundgerüst wird ein Outdoor-Stoff aufgespannt, der die Außenhaut der Tiere repräsentiert. Dieser wird mit Kontaktkleber auf dem Metall verklebt. Zusätzlich kommen noch LED-Bänder in die Figuren. Für die äußere Beleuchtung werden die Tiere von außen mit einer passgenauen Projektion, einem sogenannten Mapping, angestrahlt, welche in Kooperation mit Lotus Lumina erstellt werden – einem befreundeten Unternehmen, das im „Zughafen“ ansässig ist.
Wie lange brauchst du für die Figuren?
Vergangenes Jahr habe ich die Figuren gerade so fertigbekommen und wollte deshalb dieses Jahr zeitiger starten. Bereits im Sommer ging ich in die Planung. Weil ich jedoch wieder viel zu viele Projekte parallel hatte, war die Situation doch wieder ähnlich wie im letzten Jahr. Ich habe also erst zwei Monate vor der Eröffnung der Lichternächte mit der Produktion beginnen können. Dank mehrerer Nachtschichten werden die Figuren auf jeden Fall rechtzeitig fertig, aber der Plan, alles in Ruhe zu produzieren, ist wieder kläglich gescheitert.
Brauchst du manchmal diesen Druck?
Bis zu einem gewissen Grad ist Druck gut, weil das anschiebt. Wenn es aber zu viel wird, also zu viel parallel läuft, dann nervt es. Ich liebe meine Arbeit, ich lebe dafür und opfere deshalb viel – egal ob sozial oder zwischenmenschlich. Vor allem ist es aber Zeit. In solchen Phasen merkt man explizit, wie man zum Eremiten wird, weil man letztendlich nur zwischen Bett und Atelier pendelt. Bis zu einem gewissen Grad ist das geil, ich feiere das ja, aber ich muss mir dann ebenso bewusst Freiräume schaffen. Wenn ich jetzt mit den Zoofiguren fertig bin, mach ich den Sack für dieses Jahr zu und sag allen Bescheid, dass sie sich bis Februar von mir fernhalten sollen, weil ich Zeit für mich brauche. Ich habe keine Angst etwas zu verpassen, aber wenn ich im Nachhinein drüber nachdenke, dass ich den Sommerurlaub in der Südsee verbringen oder mit Freunden auf ein Festival hätte fahren könnte, wäre das auch geil gewesen. Denke ich daran, wird mir bewusst, was ich für die Sache opfere. Glücklicherweise ging mir das Modellieren der Zoofiguren mit dem Metall schnell von der Hand, weil das die kreative Umsetzung ist. Das Bespannen der Figuren mit dem Stoff ist dann die Fleißarbeit, das ist dann leider nicht so spannend. Viele unterschätzen auch die Arbeit eines Künstlers. Viele glauben, dass man als Künstler bis mittags um 12 Uhr schläft, ein Gläschen Wein trinkt, im Atelier sitzt und dann irgendwas auf die Leinwand zaubert. Aber in Wirklichkeit ackert man eine 80-Stunden-Woche. Klar schlafe ich oft bis mittags, aber ich arbeite dann auch bis morgens 5 Uhr im Atelier.
Hast du da die Möglichkeit, bei Anfragen deine private Kunst mit einzubringen?
Wenn eine Anfrage über ein explizites Werk kommt, dann nehme ich mich in meiner eigenen künstlerischen Position zurück, weil das auf bestimmtes Aussehen abzielt. In gewisser Weise bringt man immer seine eigene künstlerische Interpretation mit ein, aber ich muss jetzt nicht zwangsläufig meinen künstlerischen Stil auf Teufel komm raus reinpressen, nur damit die Leute sehen, dass ich das gemacht habe. Bei kommerziellen Projekten muss das auch gar nicht sein, weil das Sachen sind, die eine ganz andere Intention haben, als das was ich geistig und kreativ mit meinen privaten Arbeiten verbinde.
Also würdest du nicht sagen, dass die Eröffnung der Lichternächte eine Vernissage ist?
Nein. Nicht wirklich, weil ich mich bei solchen Projekten nur als Soldat, als Schaffer, sehe. Aber mit meiner Mutter werde ich trotzdem über das Zoopark-Gelände laufen. Die freut sich natürlich, wenn sie etwas von mir auch mal in Erfurt sehen kann.
Hast du vor danach erstmal eine Auszeit zu nehmen?
Ja, aber das klappt meistens sowieso nicht, weil ich jetzt auch schon wieder eine Anfrage reinbekommen habe. Man kann zwar immer nein sagen, aber meistens sind es ja Aufträge, die auch Spaß machen.
Hart Facts:
- Lichternächte im Zoopark Erfurt: Mo.-Do./So. 17 bis 20 Uhr, Fr./Sa. 17 bis 21 Uhr
- Winterleuchten im Egapark Erfurt: Öffnungszeiten
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