Dass das Wandern etwas ganz Besonderes ist, wusste schon der alte Goethe, der sagte: „Nur wohin du deinen eigenen Fuß gesetzt hast, bist du wirklich gewesen.“ Der 39-jährige Erfurter Heiner Horlitz hat inzwischen schon eine Menge Abdrücke hinterlassen. Am erlebnisreichsten in seiner Wanderkarriere erwies sich jedoch der Camino de Santiago, der spanische Jakobsweg, den der Autor 2006 zum ersten Mal lief. In seinem schelmischen Reisebericht „Hunde, Bier & Klopapier – Überleben auf dem Jakobsweg“ berichtet er darüber. Uns erzählt der Autor, warum jeder mal den Camino gehen sollte.
Was haben Hunde, Klopapier und Zigaretten mit dem Camino zu tun?
Der Jakobsweg ist voller Hunde und da bin ich ein ziemlicher Angsthase. Beim Anblick eines offenen Gartentores beschleunigt sich schlagartig mein Puls. Die meisten sind aber wirklich friedlich. Klopapier ist das „Schweizer Taschenmesser“ unter den Reiseutensilien. Man kann damit kaputte Schuhe ausstopfen, es sich als Verschlussmaterial gegen Geschnarche ins Ohr stecken, Rucksackriemen polstern und einfach auf Toilette gehen, wo selbiges oft knapp ist. Damals habe ich (leider) noch viel geraucht, obwohl ich auf dem Camino eigentlich aufhören wollte. Aber bei gutem Wein und guter Gesellschaft ist die Verlockung manchmal doch zu groß. Meine Lunge hat es mir beim nächsten Anstieg aber heimgezahlt.
Welches war dein einschneidendstes Erlebnis?
Einmal war ich abends mit ein paar Pilgern in der Bar versackt und wir haben den Zapfenstreich verpasst. (Anm.: Auf dem Camino werden um 22 Uhr die Pforten dicht gemacht.) Um in die abgeschlossene Herberge zu kommen, habe ich mit Kieselsteinen gegen das Fenster des Schlafraums geworfen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ein asiatischer Pilger kam nach unten und schloss die Tür auf. Gerade wollte ich mich bedanken, da hat er mir eine schallende Ohrfeige verpasst. Bis heute weiß ich nicht, warum er mir eine geknallt hat. An sich sind Menschen aus Fernost ja sehr friedfertig. Am nächsten Tag ist mein Züchtiger auf dem Weg übrigens mit dem Fuß umgeknickt. Der Jakobsweg regelt die Dinge oft auf seine Weise.
Stichwort: Camino frivol – das geht zusammen?
Die meisten Bücher über den Jakobsweg haben sehr ernste Themen. Es geht um Verlust, Schmerz, Trennung. Wer den Camino geht, trägt immer auch einen seelischen Rucksack. Zugegeben, meiner war auch ganz schön schwer. Nach meinem verkorksten Studium war ich sehr deprimiert, aber ich wollte ein fröhliches Buch schreiben. Statt Kathedralen und Apostel ging es mir um die kleinen Menschlichkeiten. Manchmal heißt das auf einen Hintern zu glotzen, ein paar Bier mehr zu trinken oder mit einer zerbeulten Coladose Fußball zu spielen. Der Leser soll kein Tourist in meiner Erzählung sein, er soll mitlaufen, mittrinken und mitschwitzen. Das geht mit Humor sehr gut. Vielleicht habe ich hier und da ein wenig übertrieben, aber es ist die Pflicht eines jeden Autors, die Dinge ein bisschen zu überspitzen.
Hat das mit der psychologischen Behandlung und der alkoholischen Laufbahn doch noch geklappt?
Die Meseta war der ideale Seelenklempner. Eine Landschaft, die nur aus Feldern und Stille besteht. Die Prärie des europäischen Westens. Woanders fällt einem die Decke auf den Kopf, hier ist es der Himmel. Es waren sehr einsame Etappen, aber ich muss sagen, selten war ich mir selbst so nahe. Ich weiß nicht, wie viel Wein und Bier ich unterwegs getrunken habe. Aber das lag einfach an der guten Gesellschaft. Gerade die abendlichen Zusammenkünfte zähle ich zu den schönsten Erinnerungen.
Warum sollte jeder mal den Camino gehen?
Um mehr Zeit mit sich selbst zu verbringen. Wir leben alle furchtbar schnell, alles ist laut, alles ist wichtig. Jeder muss irgendwohin und irgendjemand sein. Auf dem Camino hat man nur sich und seine eigenen Schritte. Und es gibt so tolle Menschen, die man trifft. Leider ist der Camino inzwischen heillos überlaufen. Mein Tipp: im Herbst laufen.
Bist du jetzt Chef eines Self-Publishing-Verlags?
Ich habe mein Manuskript an unzählige Verlage geschickt. Mag sein, das Thema Jakobsweg ist etwas überstrapaziert, was viele erstmal abschreckt. Trotzdem denke ich, es kommt darauf an was drin steht, nicht was drauf steht. Schwedische Krimis und Cornwall-Liebesromane gibt es ja auch viele. Jedenfalls war mir mein Text zu schade für die Schublade, da habe ich lieber selbst drucken lassen. Und vielleicht ergibt sich im Nachhinein ja doch noch etwas …
https://www.facebook.com/Heiner.Horlitz/photos/a.1720296028065950/3907245486037649/?__cft__[0]=AZXXi1M8b_lnIqQLu7OyJh8YJ4CJ5gWPgCdOaYQeWVTtCKi6Eic2UzTH5N7nv3LC8-hYoQRV6jbfYbuMbEiUjpc0t7mJL9HY6I-q_-xncDz_hffZsCRl5oxarvNYhKEa-UUvsoS5Pa3ibZHTXs3h6g7lUmbFfjlQnuoGOHG3-U15Og&__tn__=%2CO%2CP-R
Welche drei Sachen sollte man unbedingt mit auf die Wanderschaft nehmen?
Ohropax. In den Herbergen wird geschnarcht, dass die Wände zittern. Und gesunden Schlaf hat man oft bitter nötig. Auch sollte man einen Stein von Zuhause mitbringen. Dieser symbolisiert die Sorgen und Nöte, die man unterwegs ablegen will. Dafür gibt es eine spezielle Stelle auf dem Jakobsweg. Vielleicht noch ein kleines Buch zum Notieren der Adressen der wunderbaren Menschen aus aller Welt, die man unterwegs trifft, denn das Beste was man im Leben finden kann, ist immer einander.
Für mehr coole News klickt hier und lest das neue t.akt-Magazin online!
Hard Facts
- Das Buch gibt es überall, wo es gute Bücher zu kaufen gibt.
- ISBN: 9783751994200
- Zur Website von Heiner