Der Winter im dörflich geprägten Norden von Hessen ist kalt, sehr kalt. Also braucht man ein Auto, das bei Minusgraden zuverlässig läuft. Am besten ein preisgünstiges und ausgefallenes, aber kein allzu exotisches Modell. So kam Thorsten Hoyer am Ende eines bierseligen Kneipenabends mit ein paar Kumpels im Jahr 2002 unter reichlich Gelächter auf die Idee, eine Wartburg Modell 1.3 zu kaufen. Das Fahrzeug stand in Erfurt, also fuhr er hin – und lernte die Eigentümerin kennen, die später seine Frau werden würde. Geheiratet wurde einige Jahre später auf der Wartburg in Eisenach. Seit 2010 wohnt Thorsten Hoyer nun schon in seiner Wahlheimat Erfurt und ist doch seit Jahrzehnten in der großen weiten Welt zuhause.
Thorsten Hoyer – Wanderer aus Leidenschaft
Denn er ist passionierter Weitwanderer, der die Extreme nicht scheut. „In meiner Familie bin ich etwas aus der Art geschlagen“, schmunzelt er mit hessischem Singsang. Nach einer Ausbildung zum Koch merkte er schnell, dass er mit Dauerstress und cholerischen Küchenchefs nicht auf Dauer umgehen wollte – und investierte das verdiente Lehrgeld in Reisen, seine Leidenschaft. „Ich entwickelte schon als Kind eine große Neugier und unbändige Lust, andere Länder kennenzulernen. Besonders gern bin ich zu Fuß und in Landschaften unterwegs, die mich berühren“, so der inzwischen 54-Jährige.
Er absolvierte eine Ausbildung auf der Touristikfachschule in Marburg mit Schwerpunkt Marketing. Aber es zog ihn immer wieder in die Ferne. Zunächst, Anfang der 90er Jahre, in die Alpen – wobei er sich am Freitagabend nach der Arbeit in den Zug nach München setzte, um am nächsten Tag mit einem Kumpel loszuwandern. „Unsere Bergtouren wurden immer länger und schwieriger. Aber auf den Hütten zur Übernachtung angekommen, hatte ich den Eindruck, dass ich noch Kondition für ein paar Kilometer und Höhenmeter mehr habe“, erinnert sich Hoyer.
2017 dann ein Weltrekordversuch
So ging er erste Extrem-Wandertouren an. Im Jahr 2005 lief er in knapp 46 Stunden ohne Schlafpause den 156 Kilometer langen Kellerwaldsteig in seiner nordhessischen Heimat. Später wanderte er mit 20 Liter Wasser auf dem Rücken in der Negev-Wüste in Israel, lief ohne Schlaf durch Islands Hochebene oder bewältigte den legendären Snowman Trek in Bhutan (der auf einer Länge von 365 Kilometer bis auf eine Höhe von 5400 Meter führt) in 26 Tagen. Immer stärker testete der inzwischen gefragte Reisejournalist und vielfache Buchautor seine Grenzen aus. 2017 dann ein Weltrekordversuch: Hoyer wollte auf dem Lutherweg 1521 insgesamt 326 Kilometer in 72 Stunden ohne Schlaf zurücklegen. Er scheiterte zwar wegen eines Unwetters am Vogelsberg, legte aber 210 Kilometer innerhalb von 46 Stunden zurück, seine persönliche Bestleistung.
„Ich gehe gerne Risiken ein“
Die 300 Kilometer am Stück habe ich aber 2018 trotzdem geknackt, als ich von Bad Oldeslohe bis nach Celle durchgelaufen bin“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. „Entscheidend ist bei solchen Projekten nicht der Körper, sondern mentale Stärke. Der Kopf entscheidet, wie lange etwas geht. Ich hatte noch nie ein sehr großes Sicherheitsbedürfnis und gehe gern Risiken ein – nicht blauäugig, aber kontrolliert. Beim Wandern erlebe ich Freiheit“, fügt Hoyer hinzu. Im Herbst 2020 sorgte ein weiterer Marathonmarsch von ihm für Aufsehen: Er wanderte in 24 Tagen die 1.250 Kilometer des „Grünen Bands“ entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze, worüber ein Dokumentarfilm entstand.
Trotz allem Fernweh liebt er eine kleine und ganz und gar nicht extreme Tour in seiner Thüringer Wahlheimat, die er immer wieder gerne mit seiner Tochter wandert. Diese führt von Wutha-Farnroda mit einer Einkehr auf dem Großen Hörselberg bis nach Sättelstedt. Auch beim Gassigehen mit Hund Rudi im Erfurter Stadtwald kann man den Wandergesellen mit seiner wilden Mähne treffen – wenn er die Wanderstiefel (Größe 46) in den Wintermonaten zumindest hin und wieder an den Nagel hängt. Sein Terminplan ist prall gefüllt und wird ihn u.a. in die Kitzbüheler Alpen, nach Südkorea, Taiwan und ins Zittauer Gebirge führen. Als Chefredakteur des Wandermagazins und Jurymitglied hat er auch dieses Jahr wieder Wege zur Publikumswahl „Deutschlands schönster Wanderweg“ nominiert. Im Gegensatz zu seiner längst verschrotteten Wartburg läuft Thorsten Hoyer einfach weiter – und das inzwischen verstärkt durch Länder wie Bosnien-Herzegowina und Ruanda, in denen er sich neben der Natur vor allem für Menschen und ihre Geschichten interessiert.
Hard Facts:
- Hier könnt ihr bis 30. Juni über „Deutschlands schönsten Wanderweg“ abstimmen: wandermagazin.de/de/115/dsw-wahl.html
- Video zum geplanten Rekordversuch: vimeo.com/291495339