Insgesamt etwa 450 Seiten. 250 für den Antrag und 200 für den Managementplan. Das ist der Umfang der Erfurter Welterbe-Bewerbung, die Anfang Dezember an die Thüringer Staatskanzlei übergeben wurde. Am 1. Februar wird der Welterbe-Antrag über die Kultusministerkonferenz und das Auswärtige Amt an die UNESCO weitergeleitet. Dann heißt es warten. Gerade für Dr. Maria Stürzebecher, die Erfurter UNESCO-Beauftragte, wird das eine spannende Zeit, weil die Thüringer Landeshauptstadt ab diesem Zeitpunkt unter internationaler Beobachtung.
Erfurt bewirbt sich auf den Titel „UNESCO-Weltkulturerbe“
Die UNESCO reicht den Antrag an ICOMOS, den Internationalen Rat für Denkmalpflege weiter. Dieser prüft ihn, evaluiert aber auch die Situation vor Ort und gibt anschließend sein fachliches Votum ab – was wiederum die Grundlage der Entscheidung der UNESCO-Kommission im Sommer 2022 sein wird. Während dieser Zeit, immerhin eineinhalb Jahre, wird der Antrag geprüft. Laut Maria Stürzebecher kommt es dann unter anderem zu Besichtigungen von ICOMOS in Erfurt. Teilweise können diese sogar unangemeldet stattfinden. Die Kommission prüft vor Ort die Gegebenheiten. Stimmt das Aufgeschriebene mit den Gegebenheiten überein? Passt der Managementplan? Ist Erfurt welterbe-würdig?
Außergewöhnlicher universeller Wert
Doch was qualifiziert Erfurt fürs Welterbe? Das steht laut Maria Stürzebecher im 250 Seiten starken Antrag. „Darin sind unter anderem Karten und Koordinaten vorhanden, Erklärungen und mehr. In der Bewerbung muss vor allem der außergewöhnliche universelle Wert begründet werden. Also warum wir in Erfurt ein Welterbe haben sollten. Es muss dargelegt werden, ob die historische Echtheit gewährleistet ist und vieles Weitere mehr.“
Zeugnisse des Judentums
Seit 2009 arbeitet Maria Stürzebecher bereits an dem Antrag – und was sie dabei herausfand, ist beachtlich. Demnach gebe es zwar viele Orte in Deutschland und der Welt, an denen es im Mittelalter jüdische Gemeinden gab, doch Erfurt ist eine der wenigen, an denen noch so viele reale Zeugnisse dieser Zeit erhalten sind. „Diese Zeugnisse stehen exemplarisch für das Judentum, das mit seiner Kultur das Abendland geprägt hat – ähnlich wie das Christentum“, so die Welterbe-Beauftragte.
Weltweit einzigartig
Dieser Umstand macht Erfurt zu einer der weltweit wenigen Orte, die sich mit diesem Prädikat schmücken können. An kaum einem anderen Ort seien noch so viele Bauwerke aus der Zeit des Mittelalters erhalten, die unmittelbar auf das jüdische Leben verweisen. Nur zur Einordnung: 44 Orte in Deutschland sind von der UNESCO als Welterbe anerkannt. Dazu zählen Burgen, Schlösser, prähistorische Siedlungen, moderne Architektur, Industriedenkmäler, Biotope und allen voran Kirchen und Klöster, die die christliche Kultur in den Fokus rücken.
Ein wahrer Glücksfall
Die von der UNESCO geführte Liste des Welterbes umfasst aktuell insgesamt 1.121 Stätten in 167 Ländern – und auch davon bezeugt gerade in Europa ein Großteil, wo das Christentum kulturelle Spuren hinterlassen hat. Laut Maria Stürzebecher gibt es jedoch keinen einzigen Ort in Deutschland und weltweit, der das mittelalterliche Judentum in dieser Form, mit so vielen real erhaltenen Bauwerken bezeugt. Ein wahrer Glücksfall.
Die Chronologie der Wiederentdeckung
Außergewöhnlich ist zudem die Chronologie der Wiederentdeckung. Die alten Monumente sind in der Thüringer Landeshauptstadt über die Jahrhunderte aus dem Bewusstsein verschwunden. Direkt nach der Wende sicherte sich die Stadt Erfurt via Vorkaufsrecht den Gebäudekomplex der Alten Synagoge, weil es Hinweise gab, dass dort ebene jene Zeugnisse vorhanden sind. In der Folge wurde 1998 durch Zufall der Jüdische Schatz von Erfurt gefunden, der von seinem Umfang und Erhaltungszustand her als weltweit einzigartig gilt. 2007 stieß man bei Bauarbeiten hinter der Krämerbrücke zudem auf die Mikwe, ein jüdisches Ritualbad mittelalterlichen Ursprungs. Gemeinsam mit bedeutenden Handschriften aus dem Umfeld der jüdischen Gemeinde Erfurt war damit der Grundstein für den politischen Diskurs zum Thema Welterbe in der Landeshauptstadt gelegt und in der Folge entschied der Stadtrat im Juli 2008 den Titel „UNESCO- Weltkulturerbe“ anzustreben.
Pläne für die Zukunft
Seit Maria Stürzebecher 2009 mit der wissenschaftlichen Grundlagenforschung begann, ist viel passiert. Die UNESCO-Beauftragte forschte in Archiven, entdecke zahlreiche schriftliche Quellen und hielt den Bestand in seiner archäologischen Dimension fest. Erfurt als Welterbe-Kandidat schärfte damit seine Konturen. 250 Seiten später ist dies vorerst abgeschlossen. Jetzt heißt es Pläne für die Zukunft schmieden und umsetzen. Unter anderem soll ein Welterbe- Zentrum in der Innenstadt gebaut werden.
Ein rundes Gesamtbild
„Geplant ist ein interaktiver Lernort, der den Besuchern das jüdische Leben im mittelalterlichen Erfurt nahebringt. Für das Gebäude wurde der Platz hinter dem Rathaus vorgeschlagen. Doch das ist vorerst nur eine Idee. Wo das Zentrum genau entstehen wird, muss sich noch zeigen“, erklärt Maria Stürzebecher. „Wir wollen zudem, dass in dem Komplex ein koscheres Restaurant eröffnet und somit auch dem gegenwärtigen jüdische Leben Rechnung getragen wird. Ein rundes Gesamtbild soll entstehen.“
Weltweite Aufmerksamkeit
Wenn Erfurt von der UNESCO den Zuschlag bekommt, ist eines sicher: die Thüringer Landeshauptstadt erhält weltweite Aufmerksamkeit. Zwar sind mit der Ernennung als Welterbe keine Fördergelder verbunden, doch das UNESCO-Qualitätssiegel würde dem Kulturtourismus starken Rückenwind geben. Zudem wird dem kulturellen Vergessen vorgebeugt.
Das Judentum gehört zu Deutschland
Denn: „Die jüdische Kultur ist seit jeher Bestandteil der deutschen Kultur. Das soll durch den Welterbe-Status untermauert und gesichert werden. Je mehr die Menschen verstehen, dass das Judentum zu Deutschland gehört, genauso wie das christliche Erbe, desto eher wird eine positive emotionale Verbindung aufgebaut“, so Maria Stürzebecher.
Ein lebhaftes Bild
Gerade in Zeiten, in denen Geschehnisse wie der Anschlag von Halle vom Oktober 2019 aufzeigen, dass Antisemitismus noch in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist, öffnet das Welterbe die Möglichkeit, das Judentum mit real existierenden Zeugnissen in der Geschichte des Abendlandes zu verankern. „Das Ensemble, also die Zusammensetzung aus Gebäuden, Objekten und historischer Überlieferung eingebettet in die Altstadt, zeichnet ein lebhaftes Bild und erzählt eine umfangreiche Geschichte, die Erfurt als Welterbe wahrlich einzigartig macht. Und das ist es, was mit dem Titel für alle Zeiten erhalten bleiben soll.“
Objekte der Erfurter Bewerbung
Der jüdische Schatz und weitere Sachzeugnisse
Neben den Bauwerken liegen einzigartige Sachzeugnisse mit außergewöhnlicher Aussagekraft über die jüdische Kultur in Mitteleuropa vor, die in ihrer Fülle weltweit einmalig sind. Dazu gehören die hebräischen Handschriften aus dem Besitz der Erfurter Gemeinde, der Erfurter Judeneid, ein um 1160 entstandener Bronzeleuchter (der älteste seiner Art) sowie etwa 75 erhaltene Grabsteine des 13. – 15. Jahrhunderts vom ehemaligen jüdischen Friedhof und der „Erfurter Schatz“, mit fast 30 Kilo Gewicht der größte zusammenhängende Fund aus dem 14. Jahrhundert.
Mittelalterliche Mikwe Erfurt
Die 2007 bis 2010 ergrabene Mikwe gehört in die Reihe früher mittelalterlicher jüdischer Ritualbäder in Europa. Ihre Hauptbauphase ist in die Mitte des 13. Jahrhunderts zu datieren. Ungewöhnlich ist die Form des Baus, für die es bislang keine Parallele gibt.
Alte Synagoge
Aus der Reihe weniger erhaltener jüdischer Ritualbauten aus dem Mittelalter in Europa sticht die Alte Synagoge mit ältesten Bauspuren um 1094 als eine der größten und am besten erhaltenen Synagogen dieser frühen Zeit heraus. Vergleichbar alte Bauten sind entweder zerstört und wieder aufgebaut oder in deutlich geringerem Umfang noch original erhalten.
Steinernes Haus
In einem Gebäudekomplex am Benediktsplatz 1 befindet sich ein mittelalterlicher Steinbau. Aus seiner Erbauungszeit um 1250 haben sich außergewöhnlich viele wesentliche Strukturen erhalten. Europaweit einzigartig ist die erhaltene Ausstattung des Obergeschossraumes mit spitzbogiger Lichtnische sowie einer farbig gefassten Holzbalkendecke, deren Balken auf 1241/42 datiert werden konnten.
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Hard Facts:
- Erfurt bewirbt sich für den Titel „UNESCO-Weltkulturerbe“
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