Wie sich das Format des Forum-Theaters von anderen Aufführungen unterscheidet, lässt sich schnell zusammenfassen. Hier müssen keine kreativen Köpfe fiktive Szenarien ersinnen, denn: „Grundsätzlich basiert alles auf den Erinnerungen unserer Teilnehmer – oder einem Polizeibericht“, fasste Thilo Krumeich die Inhalte der Stücke für einen Beitrag des MDR-Thüringenjournals kürzlich zusammen. Der Theaterpädagoge mit dem Rauschebart betreut das Forum-Theater-Projekt in Erfurt, in dessen wöchentlichen Proben derzeit 10 bis 15 interessierte Laienschaupieler:innen mit und ohne Migrationshintergrund teilnehmen.
Sensibilisierung durch Einbindung des Publikums
Aus ihren Erlebnissen von (Alltags-)Rassismus, Diskriminierung oder Vorurteilen wird ein Skript für eine Szene erarbeitet – und unter dem Motto „Ich sehe! Ich höre! Ich spreche!“ auf die Bühne gebracht. Hier besteht eine weitere Besonderheit: Das Publikum wird nach einer moderierenden Einführung ins Thema nicht nur „berieselt“ – sondern direkt eingebunden, nachdem jeweils ein etwa zehnminütiges Stück (zwei oder drei verschiedene werden zu jedem Auftritt gespielt) vorüber ist. Worin besteht die Diskriminierung und wie fühlen sich Betroffene dabei? Wie hätte sich eine weitere Person vermittelnd einschalten können? Wie wäre ein respektvoller, weniger verletzender Umgang miteinander möglich gewesen? Diese Fragen werden direkt nach dem Stück diskutiert – und anschließend mutige Zuschauer*innen dazu angehalten, beim improvisierten Wiederholen der Szene den aufkommenden Konflikt durch Zivilcourage oder Vermitteln abzufedern. So sollen auch Menschen mit „dickerem Fell“ für die verhandelten Themen sensibilisiert werden.
Mit kreativer Idee im Gepäck
Das Forum-Theater ist ein Format, welches in Deutschland bislang noch relativ unbekannt ist. „Ich bin während meines Soziologie-Studiums in Moskau das erste Mal darauf aufmerksam geworden“, erinnert sich Syuzanna Fiberg, die als Projektkoordinatorin beim Zusammen-Leben-Gestalten e.V. das Forum-Theater-Projekt angestoßen hat. „Die Schwerpunktthemen der Stücke in Russland waren damals traditionelle Werte, Religion und Frauenrechte“, erinnert sich die Wahl-Erfurterin, die 2018 ihrem Freund nach Deutschland folgte mit der kreativen Idee im Gepäck. Nach einem bewilligten Antrag wird das Forum-Theater-Projekt seit April 2022 umgesetzt.
Einige Interessierte fanden sich unter den Teilnehmenden eines Sprachkurses, andere wurden über Soziale Netzwerke auf die wöchentlichen Proben im Erfurter Klanggerüst (jeden Donnerstag um 18 Uhr) aufmerksam. „Im letzten Jahr waren wir in ganz Thüringen unterwegs, hatten drei bis vier Auftritte im Monat“, freut sich Syuzanna über die große Resonanz.
Diskussionen, die bei einem diversen Publikum gut ankommen
„Ich finde es gut, dass bei den Aufführungen Diskussionen auf Augenhöhe stattfinden. Sie sind eine Plattform, sich fernab von klaren Täter-Opfer-Zuschreibungen mit Diskriminierung auseinanderzusetzen, die auch bei Bildungsniveaus oder der Herkunft aus bestimmten Dörfern oder Städten stattfindet – so dass sehr viele solche Erfahrungen gesammelt haben.“ Auch deswegen kommen die Auftritte des Forum-Theater-Projekts bei einem breiten, diversen Publikum von 20 bis 70 Jahren gut an.
Weitere Theatergruppen proben bereits in anderen Thüringer Städten
Die insgesamt 32 Aufführungen im Jahr 2023 haben den Laienschauspieler:innen und Syuzanna – die für die Koordination, Finanzierung, Planung und Öffentlichkeitsarbeit rund um das Forum-Theater-Projekt verantwortlich ist – jedoch auch einiges abverlangt, wenn bei Auftritten an weiter entfernten Orten in Thüringen alle Beteiligten erst nachts wieder zu Hause ankamen. 2024 stehen daher insgesamt weniger Aufführungen an. „Das liegt aber auch daran, dass das Projekt in die nächste Phase geht“, ergänzt die 29-Jährige. Denn auch in weiteren Thüringer Städten entstehen unter Anleitung durch ein Trainingsprogramm, das Syuzanna Fiberg und Thilo Krumeich entwickelt haben, weitere Laientheatergruppen. Ein Forum-Theater-Projekt in Jena, das auch englischsprachige Stücke aufführt, besteht bereits seit letztem Jahr. Seit Februar probt eine studentisch geprägte Gruppe in Nordhausen an eigenen Forum-Theaterstücken, im April soll sich eine Laientheatergruppe in Altenburg finden.
Hard Facts:
- Termine: 18. April um 19 Uhr im Franz Mehlhose in Erfurt
- 23. April um 18 Uhr im Green Island in Nordhausen
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