Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown #2 mit Hubert Langrock vom Kalif Storch in Erfurt
In unserer neuen Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir nach einem Jahr Shutdown erneut mit Hubert Langrock vom Kalif Storch in Erfurt. Der Szene-Klub ist eine wichtige Instanz im Thüringer Nachtleben, bietet von Kleinkunst über Konzert bis hin zu alternativen Tanzabenden alles, was das Ausgeh-Herz begehrt.
Wie sieht die Lage nach einem Jahr Corona bei euch/ dir aktuell aus?
Die Lage hat sich bei uns eigentlich im Vergleich zu April 2020 nicht groß verändert. Wir sind immer noch in einer Art Schwebesituation, wir können alles was geschieht nur sehr schwer greifen. Wir wissen weder was morgen passiert noch was im Jahr 2021 generell passiert. Viele Konzerte und Veranstaltungen wurden bereits auf 2022 verlegt und wir gehen mehr oder weniger davon aus das 2021 ähnlich wie 2020 wird.
Wie steht es um die Finanzen, gab es Hilfe von außen?
Finanziell bekommen wir zwar Unterstützung vom Staat, aber auch da tauchen immer wieder Fragezeichen auf (zum Beispiel Novemberhilfe – es wurden 75 % versprochen, diese wurden uns auch zugesagt (via Bescheid), aber am Ende wurde der Beschluss und die Auflagen angepasst, wodurch wir anstelle der versprochenen 75 % lediglich rund 25 % erhalten haben). Wir sind keine Profis, was Überbrückungshilfen und ähnliches angeht. Wir wollten immer unabhängig sein, das geht nun nicht mehr und wir haben Angst durch die finanzielle Abhängigkeit vom Staat irgendwann die Rechnung dafür zu erhalten – denn wenn die Unterstützungen steuerlich angerechnet werden, werden wir die Zuschüsse irgendwann zurückzahlen müssen und das bringt uns in eine schwierige Lage.
Was hat sich im vergangenen Jahr alles für dich/euch verändert? (Umstrukturierungen, etc.)
Im Kalif Storch haben wir wenig umstrukturiert, wir mussten Personal entlassen, haben aber relativ wenig Ressourcen, um neue große Dinge anzugehen. Wir haben unsere Räumlichkeiten etwas umgebaut und gewisse Instandhaltungsarbeiten erledigt, das Problem ist jedoch – wir können keine großen Dinge ändern, denn dafür benötigt man Personal, welches wir uns nicht leisten können. Für mich persönlich hat sich der Arbeitsalltag komplett verändert, durch die Gründung des Vereins „Erfurter Netzwerk für kulturelles Leben e.V.“ habe ich vermehrt mit den Aufgaben im Verein zu tun und die Koordination der Projekte. Meine Arbeit für den Klub ist auf ein Minimum reduziert, auch aufgrund der Perspektivlosigkeit.
Was hast du/habt ihr im vergangenen Jahr gemacht – konntest du die Zeit nutzen?
Ich habe wie bereits angesprochen, die Zeit genutzt und mit Kollegen einen Verein gegründet, welches sich der Nachwuchsarbeit sowie den Netzwerken zwischen Erfurter Kulturakteuren widmet, gleichzeitig haben wir zahlreiche Streams veranstaltet.
Ziehst du etwas Positives aus der Zeit?
Ich ziehe minimal positive Aspekte aus der Zeit, ich bin mal raus aus dem Arbeitstrott und konnte etwas reflektieren und meinen Fokus verschieben, jedoch ist es für mich persönlich schwer etwas positiv aus dem Ganzen zu ziehen. Denn so sehr am Anfang alle „zusammen gerutscht sind“, so sehr entfernen sich die Menschen immer mehr, auf Grund von verschiedenen Ansichten und Auffassungen zum Thema Corona oder ähnliches.
Wie blickst du in die Zukunft?
Ich blicke mit einem lachenden und einem weinenden Auge in die Zukunft, Lachend weil ich mich freue, wenn irgendwann alles vorbei ist und weinend, weil ich nicht weiß wie die Zukunft aussieht. In den letzten 12 Jahren, in denen ich in dieser Branche arbeite, hatte man sich eine gewisse Erfahrung aneignen können und hatte gewisse feste Termine im Jahr, doch nun blicke ich mit großes Respekt in die Zukunft, weil ich sie weder greifen noch einschätzen kann. Durch das nicht wissen was wann wie kommt, bin ich sehr verunsichert und mache mir große Sorgen um die Branche und unseren Klub, denn die Probleme waren vor der Krise schon nicht klein und werden vermutlich nach der Krise nicht weniger. Dabei rede ich von dem ganzen finanziellen Ballast, durch immer höhere Gagen, Steuerabgaben, gleichzeitig haben unsere Gäste weniger Geld. Die Besucherzahlen könnten zurück gehen, gerade bei jüngerem Publikum, Personal muss wieder von 0 eingearbeitet werden und vieles mehr.
Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?
Ich tu mich schwer meine eigentlichen Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen, denn wir als Kalif würden vermutlich nicht an der finanziellen Belastung scheitern, sondern wenn dann eher an all den Faktoren, die für mich aktuell nicht greifbar sind: Gehen die Menschen weiterhin so viel aus, konsumieren sie weiter so viel, hat der Lockdown und die Entwöhnung bzw. das Einhalten von Abstand und das Vermeiden von Umarmungen, die Menschen nachhaltig geprägt, sind Partys und Konzerte weiterhin so wichtig oder reicht auch ein gemütlicher Abend mit Freunden in einer Bar oder zu Hause? Was passiert, wenn Menschen mit unterschiedlicher Meinung zu Corona aufeinandertreffen.
Gibt es in Erfurt weiterhin Menschen, die auf Dauer bei Veranstaltungen arbeiten möchten? Was passiert, wenn wir wieder eine Pandemie erleben? Wie kommen wir raus aus dem Lockdown? Warum wird Klubkultur immer noch nicht so anerkannt wie Theater oder Opernhäuser? Wieso stehen wir auf einer Stufe mit Bordellen und Spielhallen? Was passiert mit einer Generation, der die Jugend genommen wurde? Sind Festivals weiterhin so relevant? Durch die Mangel an Konzerten hat der Konsum von Spotify und ähnlichen massiv zugenommen, was die Hörgewohnheiten der Menschen weiter beeinflusst und beliebter gemacht hat. Sind Veranstaltungen mit 2-3 DJs für 15€ und 4€ für ein Bier weiterhin interessant, wenn man auch einen Stream zu Hause für 0€ und 6 Bier für 4€ konsumieren kann ohne Türsteher und ähnliches? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort habe und keine Antwort zu haben ist für mich persönlich das schlimmste Gefühl.
Lest hier das Interview mit Hubert vor einem Jahr
Hard Facts:
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