Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown mit Tattoo-Künstlerin und Illustratorin Kraja Warkus
In unserer neuen Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir diesmal mit der 32-jährigen Kraja Warkus, besser bekannt als Krajamine. Die gebürtige Nordhäuserin verzaubert mit ihren Kunstwerken auf Papier, Foto oder unter der Haut.
Wie ist jetzt bei dir die aktuelle Lage?
Im Tattoo-Studio ist Totalausfall. Ausgehend von Prognosen, die ich gehört habe, kann ich davon ausgehen, dass ich noch viel länger Ausfälle zu verzeichnen habe. Eine Lockerung der Verordnungen wird sich sicher nicht direkt auf alle Branchen beziehen. Was mir zugute kommt, ist mein zweites Standbein in der Illustration und im Animationsfilm-Genre. Da sind die Aufträge tatsächlich noch vorhanden, auch wenn es dabei Absagen gab. Auf Grund von finanziellen Einschränkungen beim den Auftraggebern. Was ich natürlich auch nachvollziehen kann, da es nicht riesige Produktionsfirmen sind, die mich engagieren.
Welche Kosten musst du trotz Shutdown weiterhin tragen?
Versicherungen, Studio-Miete, die normalen Lebenshaltungskosten, Zuhause einen Alltag mit Kids bestreiten. Mein Lebenspartner ist ebenfalls Freiberufler. Es ist anspruchsvoll, wenn beide Künstler sind.
Gibt es einen Notfallplan um weiterhin Geld einzunehmen? Hast du Aktionen geplant oder schon verwirklicht?
Ich habe ein Postkarten-Set während Corona entwickelt. Um etwas zu haben, das ich als Produkt anbieten und somit verkaufen kann. Sonst ist der Notfallplan bei mir immer das Zurückgreifen auf Erspartes gewesen. Es war schon immer meine Strategie, nicht immer alles direkt auszugeben. Aber sonst gibt es keine großartige Reißleine. Ich bin da nicht super kreativ. Zum Beispiel Tattoos kann man nicht „To Go“ anbieten oder nachhause liefern. Das ist stellvertretend für alle Tattoo-Künstler*innen in Erfurt ein Riesenproblem.
Folge Krajamine auf Instagram:
Wir sind eine Branche, genau wie Friseure, die nicht sagen kann: wir gleichen das jetzt durch eine lustige und kreative Aktion aus. Klar, können wir etwas Illustratives anbieten, Produkte herstellen und verkaufen. Unsere eigentliches Genre ist aber von diesen kreativen Aktionen mehr oder weniger ausgenommen. Natürlich kann man Gutscheine verkaufen und Beratungsgespräche durchführen, aber spätestens im Gespräch stellt dir der Kunde die Frage: Wann der Termin stattfinden und wann es weitergehen kann. Und dann zuckst du mit den Schultern und weißt es einfach nicht.
Geile Tattoos gibt es auf Instagram:
Wie kamen die Postkarten an?
Die Postkartenaktion in Kooperation mit der Buchhandlung „Kleingedrucktes“ ist super angekommen. Emöke, die Inhaberin der Buchhandlung „Kleingedrucktes“ hat mir angeboten ihren Online-Shop mit zu benutzen. Also bestehende Strukturen eines Ladens übernehmen zu können. Das war hierbei der Synergieeffekt, zusammen mit dem „Proof Verlag“ in Erfurt. Der hat das Set für mich gedruckt. Zwei etablierte Erfurter Firmen haben mir sozusagen unter die Arme gegriffen und ganz kurzfristig dafür gesorgt, dass ich eine Verkaufsplattform und ein Produkt habe.
Bekommst du von außen Hilfe?
Ich warte noch auf die Bestätigung der Förderung vom Bund. Ansonsten bekomme ich weder Arbeitslosengeld noch irgendetwas anderes. Ich ziehe das allein durch, solange es sich vermeiden lässt. Ich bin da noch etwas optimistisch.
Was sollte die Regierung/Bevölkerung jetzt tun, um Kreativen wie dir zu helfen?
Ich denke, dass die Einstellung gegenüber Kreativen ein bisschen sanfter sein sollte. Dass man das schon als systemrelevant ansehen sollte, einen kreativen Beruf zu haben. Denn viele greifen gerade jetzt, um sich in Quarantäne bzw. Isolation zu beschäftigen, hundertprozentig auf das zurück, was Kreative geschaffen haben – sei es Musik hören, Filme sehen, Bücher lesen, Bilder anschauen oder sich Postkarten hin und her schreiben. Das sind Produkte von kreativen Menschen.
Und dann gibt es Aussagen über das bedingungslose Grundeinkommen, wie von Patrick Bernau in der FAZ: „Es gibt zu viele Modedesigner und Künstler, die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen mehr Freiheit für unprofitable Projekte gewinnen möchten. Sie sollten sich ernsthaft eine Frage stellen: ob wirklich die Mitmenschen ihre Selbstverwirklichung finanzieren sollen.“ Das sehe ich kritisch, denn wir finanzieren mit unseren Steuergeldern auch große Bankengeschäfte und meines Erachtens völlige Phantasiegehälter von Managern und Dergleichen. Und wenn ich mir dann sagen lassen muss, dass ich eine Selbstverwirklichung mit meiner Kunst anstrebe, anstatt ein Kulturgut bereitzustellen … Ich möchte nicht sagen, dass ich alles, was ich tue direkt als Kulturgut tituliere. Das kann man zur Diskussion stellen, aber die Aussage von Patrick Bernau finde ich zu hart. Solche Aussagen, will ich in dieser Zeit nicht hören, dass man Künstler als Selbstverwirklicher pauschalisiert, die als letztes an der Reihe sind, wenn es um die Rangordnung von zu fördernden Menschen geht.
Krajamine ist auch auf Facebook aktiv:
Hast du Tipps, um das Beste aus der Lage zu machen?
Ich glaube, ich mache nicht das Beste aus der Situation. Ich bin weit hinter dem Ausnutzen meines Potentials, weil ich mich ganz schlecht konzentrieren und Nachrichten schlecht ausblenden kann. Ich versuche mich wenig zu informieren, um nicht überfordert zu werden. Ich bin ein Mensch, der mit Krisen schlecht umgehen kann. Daraus wächst natürlich auch wieder Inspiration, für die ich allerdings nicht genügend Zeit habe. Mir fehlt es unglaublich, raus zu gehen und viel draußen zu sein. Kunst draußen zu machen, im Sinne von Menschen zu fotografieren oder hier im Tattoo-Studio zu arbeiten. Deswegen bin ich wahrscheinlich nicht der beste Ansprechpartner, der Tipps und Ratschläge geben kann.
Krajamines Black Swan Arrival:
Was machst du mit deiner frei gewordenen Zeit?
Ein gutes Mittel gegen freie Zeit ist es Kinder zu haben. [lacht] Tatsächlich empfinde ich es gar nicht so, dass ich mehr Zeit habe. Überhaupt nicht. Die Aufgaben verschoben sich. Ich habe tatsächlich mehr künstlerische und seelische Freiheit gehabt, als ich immer meinen Arbeitsweg ins Tattoo-Studio hatte und ich mir kreative, freie Aufgaben über den Tag hinweg stellen konnte. Die jetzt allerdings im Alltag ein bisschen untergehen. Gerade jetzt, kann mein Mann mehr von zu Hause arbeiten und ich habe mehr Kinder-Zeit.
Wie soll es nach der Krise für dich und dein Geschäft weitergehen?
Tatsächlich hoffe ich, zu einer Form von Normalität zurückzukehren. Obwohl ich wirklich glaube, dass viele Menschen auf ihre geplanten Tattoos verzichten werden, weil sie sehr viele Einschränkungen haben. Durch Kurzarbeit und andere Ausfälle. Das haben mir auch schon sehr viele Menschen kommuniziert. Ich habe schon jetzt viele Absagen für die Zeit danach. Ich bin sehr nachsichtig mit meinen Kunden, die mir absagen, weil ich es zu 100% verstehen kann. Ich hätte jetzt auch nicht die Möglichkeit mich tätowieren zu lassen, aber ich hoffe einfach, dass es nach der Krise langsam wieder anläuft.
Denkst du, das alles kann etwas Positives bringen?
Ich bin der Meinung, dass es gerade unglaublich viele positive Ansätze in der gesellschaftlichen Entwicklung gibt. Ich bin allerdings nicht überzeugt davon, dass beim Wiedereintritt in die gewohnten kapitalistischen Strukturen, sich diese Entwicklungen halten können. Ich denke, dass es eine unglaubliche Chance ist, dass sich Freundschaften gerade stärker denn je ausbilden. Dass die Menschen, die jetzt füreinander da waren, für immer zusammenhalten werden. Davon bin ich unglaublich überzeugt. Das wird das Positivste sein, was wir aus der Situation mit rausnehmen können. Aber ich glaube, dass gesamtsolidarische Strukturen, die momentan gefordert bzw. gefeiert werden, im großgesellschaftlichem Stil nicht realistisch sind. Die kleinen Strukturen, wie zum Beispiel Freundschaften, das wird für immer halten.
Ihr seid Kulturakteur oder kreativer Einzelhändler in Thüringen und wollt mit uns über euer Leben in der Krise sprechen? Schreibt uns mit dem Betreff “Kultur Shutdown” an: f.dobenecker@mediengruppe-thueringen.de.
Hard Facts
- Kraja Tattoo
- Hugo-John-Straße 8 | 99086 Erfurt