Moderne Märchen, Geschichten voller Sehnsucht, Texte voller Tiefgang – die Erfurter Autorin Julia Kulewatz veröffentlicht nach „Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers“ ihren zweiten Kurzgeschichtenband. „Jenseits BlassBlau“ wird beim Thüringer Verlag „Edition Roter Drache“ verlegt und ist seit kurzem in jeder Buchhandlung zu bekommen. Wir haben uns deshalb mit der Wahlerfurterin getroffen und über die Magie hinter der Realität gesprochen.
Dein neues Werk heißt „Jenseits BlassBlau“, warum?
Weil ich mich mit dem Jenseits beschäftigt habe und auch mit dem Jenseitigen. Das heißt, es wird natürlich auch um den Tod gehen – um eine andere Art von Tod. Aber auch das Leben, das Reisen, Tiere und das, was wir an Tieren vielleicht noch nicht verstehen, eher erfühlen können, sind Themen. Es wird auch eine große Dimension des Mystischen geben und natürlich des Fantastischen. Deshalb hat eben auch ein Meister der fantastischen Literatur das Vorwort zu „Jenseits BlassBlau“ verfasst. Ich fühle mich sehr geehrt, dass Bernhard Hennen sich bereiterklärt hat.
Und „Jenseits BlassBlau“ ist auch eine Geschichte in dem Buch?
Es ist die Titelgeschichte. Da geht es um fundamentale Zerstörung, um Krieg und um Liebe im Krieg, um Sprachlosigkeit und das Verharren in dieser als ein immerwährendes Warten unter beschädigten Bäumen. Sprache ist auch ein großes Thema im Buch, wenn Sprache nicht mehr genug ist, ins Leere läuft, sich auflöst, als Muttersprache im verlorengegangenen Vaterland, oder umgekehrt. In „Jenseits BlassBlau“ geht es darum, dass eine Frau am Rande einer zerstörten Stadt unter einer Schwarzpappel auf ihren Geliebten wartet. Es ist immer wieder dieselbe Situation und der Geliebte kommt verletzter wieder zurück. Am Ende ist er blind und bittet sie darum, ihm die Stadt zu zeigen, an deren Rande sie wartet. Und weil er blind ist, lügt sie und berichtet ihm von Schönheit, von Sternen und Blumen, die sie tatsächlich auch sieht. Er weiß aber, dass sie lügt und sagt am Ende „Im Krieg gibt es keine Sterne und Blumen, nur Sehnsucht.“
Also sind deine Geschichten auch sehr sehnsuchtserfüllt?
Ja, da ist viel Sehnsucht drin. Ein immerwährendes Suchen und Sichsehnen. Sehnsucht gehört ja auch in den Bereich des Jenseitigen.
Wenn du dein Buch in drei Begriffen zusammenfassen müsstest, was wären das für drei Begriffe?
Sprachlosigkeit, Weltflucht und Wolkenschiff . Dafür steht auch das Blaue. Eine Art Sichauflösen bzw. ein transformierendes Element.
Wie benutzt du das Blassblaue und wie ist es zum Titel avanciert?
Erfurt und Blau hängen natürlich sehr zusammen, das ist ja schon mal klar. Aber es geht nicht nur darum. In der deutschen Sprache gibt es viele Sprichwörter zum Blauen: „Blau machen“, „ins Blaue reisen“ … Vergissmeinnicht sind blassblau. Damit hat das auch zu tun.
Ich habe mich sehr mit dem Himmel und dem Meer als Metaphern für jenseitige Räume befasst. In der Geschichte „Vom Zugzwang der Wolken“ geht es um Flucht, in und über das Meer, und auch um das Ertrinken, um forciertes Ertrinken als letzten Ausweg in eine Art Himmelreich, das letztendlich doch Liebe ist. Das ist eine harte Geschichte, die trotzdem Schönheit hat. Es geht um die Schönheit in den schlimmsten Situationen des Menschseins, diese Schönheit ist so groß und mutig, dass selbst der Tod vor ihr verblasst.
Du hast gesagt, du hast fantastische Geschichten im Buch, ist das eine?
Nein, die ist sogar sehr nah an der Realität. Obwohl. Warte mal. Doch, weil die Protagonistin in den Wolken Wesen sieht und sich von diesen führen und begleiten lässt, schon seit ihrer Kindheit, seit der Flucht aus dem Libanon. Und bevor sie sich verliebt, sieht sie in den Wolken einen goldenen Löwen.
Okay und welche Geschichte würdest du als ganz fantastisch beschreiben?
„Am Rand der Welt“, das ist tatsächlich auch die älteste Geschichte. Da geht es um die Welt, die ein Drache ist und der Drache gebiert aus seinem Leib Jungfrauen. Und die erwachen im Himmel fliegend in kleinen Mulden.
Das hat auch etwas Mythologisches.
Bei mir immer.
Und was inspiriert dich denn bei solchen Geschichten?
Alles. Mich kann alles inspirieren, auch ein Schnipsel auf dem Straßenboden. Inspiration ist überall.
Was erwartet denn den Leser, wenn er sich dein Buch holt?
Die Magie hinter der Realität. Über die Kurzgeschichten ermögliche ich einen Perspektivwechsel.
Du hast vorhin erwähnt, dass dein Buch Bezüge zu Thüringen hat. Was wären denn diese, abgesehen vom Blau?
Also ein bisschen was möchte ich den Leser noch entdecken lassen. Es gibt auf jeden Fall zwei Kurzgeschichten, die ganz besonders damit verbunden sind. Eine hat mit einer geflügelten Nixe zu tun, die in einer Grotte orakelt und sich verwandelt.
Du benutzt mythische Begriffe, hast du sie selbst erdacht oder sind die aus Mythen?
Beides. Ich denke mir welche aus nutze aber auch vorhandene. Ein Gedicht, das ich schrieb, heißt „Orkanide“. Das sind Sturmfrauen. Und die gibt’s natürlich nicht. Auch in keinem Mythos. Aber alle sind davon ausgegangen, dass es die gibt, weil es die Okeaniden gibt – Ozeannymphen in Ovids „Metamorphosen“. Auch beim Sudankäfer war es ähnlich. Alle sind davon ausgegangen, dass es ihn gibt. Und ich hatte einen Heidenspaß damit.
Deine Geschichten erinnern ein bisschen an moderne Märchen.
Mein erstes offizielles Märchen ist auch in „Jenseits BlassBlau“ enthalten. Es heißt „Das Kaktuskleid“. Das Märchen ist Kakteen-Haage in Erfurt gewidmet, weil die mich so inspiriert haben. Ich liebe Kakteen. Ich liebe ihre geometrischen Formen, ihre Dornen und Farben, wie zart sie werden können, wie schön, wenn sie blühen. Und das, obwohl sie so wehrhaft sind. „Das Kaktuskleid“ ist meine erste vollständig märchenhafte Exkursion.
Du sagtest, du arbeitest schon an deinem nächsten Buch. Willst du deine erschienenes nicht erstmal richtig feiern?
Ich weiß nicht, ob man sich feiern muss, wenn man Geschichten geschrieben hat. Ich bin ja nur eine von vielen Stimmen.
Ich habe das oft mit Musikern. Für die ist das wie eine Geburt, wenn deren Album rauskommt. Also wie ein Wegstein. Jetzt ist es da, jetzt ist es abgeschlossen. Wie ist das für dich?
Also wenn ich schreibe, spreche ich tatsächlich auch von Ideen schwanger tragen. Deshalb passt Geburt ganz gut. Man feiert dann vielleicht den Geburtstag und dann darf man weitermachen. Ich darf auch mit Lorbeerkranz weitermachen.
Hardfacts:
- Erschienen bei Edition Roter Drache
- Jetzt überall erhältlich
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