Nicht erst seit Corona ist die deutsche Clubkultur in Gefahr. Auch zuvor hatte es die Szene nicht leicht. Verdrängung aus den Innenstädten, hohe Mietkosten und zu geringe politische Akzeptanz – Probleme, die Matthias Roeingh, besser bekannt als Dr. Motte zu genüge kennt. Deshalb hat der DJ Rave The Planet initiiert hat. Ein Projekt, das die Kunst sowie die Kultur der elektronischen Tanzmusik in jeglicher Form zu erhalten, pflegen, schützen und fördern will.
Rave the Planet – Clubkultur als immaterielles Kulturerbe
Die Kernthemen von Rave The Planet sind, die elektronische Tanzmusik und Clubkultur als immaterielles Kulturerbe unter den Schutz der Unseco stellen zu lassen und eine neue Musikparade als Fortführung der Berliner Loveparade und damit den Feiertag der elektronischen Tanzmusik zu initiieren. Wir haben mit Dr. Motte über das Projekt gesprochen.
Ihr habt Große Pläne. Wie bist du auf die Idee gekommen, Rave The Planet zu initiieren?
Im vergangenen Jahr besuchte ich die Ausstellung „ninities berlin“ in der Alten Münze, die das Leben in den 90er Jahren in Berlin beleuchtet. Beim Rundgang hatte ich einen Gedanken: Wenn ich im Nachhinein auf die 90er Jahre blicke, was war mir da wichtig? Neben dem Mauerfall war das natürlich die elektronische Tanzmusikkultur. Und die dazugehörige Veranstaltung, die weltweit Werbung für elektronische Musik gemacht hat – die Loveparade.
Leider spiegelte sich letzteres nicht wirklich in der Ausstellung. So kam ich auf die Idee für eine Sonderausstellung. Was passte, da die Loveparade 2019 ihr 30. Jubiläum feierte. Während des Prozesses kam zur Sprache, ob es mal wieder eine Art Loveparade in Berlin geben sollte. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Leider können wir den Namen seit 2005 nicht mehr nutzen, da er verkauft wurde und jetzt in privaten Händen ist.
Deshalb setzte ich mich mit engagierten Menschen zusammen und beschloss Rave The Planet als gemeinnützige GmbH zu gründen, um in Zukunft wieder den Spirit der Loveparade zurück nach Berlin zu holen. Zudem treten wir führ mehr Anerkennung der elektronischen Tanzmusikkultur ein und wollen sie als immaterielles Kulturerbe bei der Unesco anmelden und schützen lassen.
Und so das Image der elektronischen Tanzmusik steigern. Warum ist es wichtig aufzuzeigen, dass elektronische Tanzmusik nicht nur Vergnügung, sondern auch Vielfalt und Kultur ist?
Szeneintern gibt es viele Organisationen, die sich gründeten, um die Clubkultur zu schützen und zu stärken. Das ist zum Teil von Politiker*innen schon anerkannt worden – aber das reicht nicht. Es zeigt sich oft, dass die Politik nicht wirklich weiß, was am Ende im Club passiert.
Ein Beispiel: Im Sommer war ich in Görlitz bei einer Open-Air-Veranstaltung – unter Corona-Auflagen natürlich. Dort hat mir der Veranstalter gesagt, dass das hiesige Ordnungsamt denke, dass die Menschen auf der Veranstaltung Paartanz machen würden. So etwas wie Standarttänze. Doch das stimmt nicht. Wir tanzen individuell. Jeder für sich und trotzdem in der Gruppe. In der elektronischen Tanzmusik bringen sich die Menschen ein. Sie sind nicht einfach nur Zuschauer. Man achtet auf seine Mitmenschen. Akzeptiert sie. Und entfaltet sich selbst, ohne jemand anderes in seiner Freiheit zu begrenzen. Es ist so wichtig, diese Kultur anzuerkennen, die sich seit mittlerweile 30 Jahren entwickelt hat.
Deshalb fordert ihr Rechte und den Schutz für Clubs und elektronische Veranstaltungen?
Ja. Wenn wir beispielsweise das Baurecht anschauen, dann gibt es Clubs und Diskotheken. Da muss man unterscheiden. Eine Diskothek ist ein wirtschaftlich geführter Betrieb. Ein Club nicht. Clubs in der elektronischen Tanzmusik sind eindeutig kulturell geführte Betriebe mit einem kuratiertem Programm. Menschen kommen deswegen in die Clubs, weil sie einen bestimmten DJ oder Live Act sehen wollen.
Angenommen elektronische Tanzmusik wären bald immaterielles Kulturerbe, dann würde dem Rechnung getragen. Es gäbe Erleichterungen im Steuerrecht, denn die Kultursteuer beträgt nur sieben Prozent. Außerdem hat ein Kulturbetrieb bessere und einfachere Bedingungen im Baurecht und im Gewerberecht. Und es ist Förderung durch Steuergelder möglich. Das ist wichtig für die Zukunft, um unsere Kultur fortführen zu können. Gerade in Zeiten von steigenden Mieten und Verdrängung.
Was muss man eigentlich machen, um als Kulturerbe aufgenommen zu werden?
Wir müssen eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen. Das heißt, wir brauchen Fakten zur Entstehung der elektronischen Tanzmusik – was sich im Laufe der Zeit verändert hat und wie Musik sowie Kultur aussehen etc. Es gibt also viele Fragen, die wissenschaftlich beantwortet werden müssen.
Derzeit seid ihr also dabei, diese wissenschaftliche Arbeit zu erarbeiten?
Genau. Es gibt schon viele Doktorarbeiten und Literatur darüber. Wir stecken gerade in der Recherche-Phase. Unser Team durchforstet sämtliche Literatur. Der Abgabetermin ist kommendes Jahr im Oktober. Neben vielen Studenten haben wir auch eine Doktorandin von der Brandenburgischen Technischen Universität und den Musikwissenschaftler Hans Cousto im Team.
Ihr bezieht dann bestimmt auch die Loveparade mit ein. Aber warum ist es denn eurer Meinung nach wichtig, dass man wieder auf die Straße geht und elektronische Tanzmusik zelebriert?
Auf die Straße gehen ist ja Teil der Tradition der elektronischen Tanzmusik. Zudem wollen wir den Spirit zurückholen, weil die Loveparade in Berlin entstand. Viele Menschen wünschen sich das. Es wird mir immer wieder gesagt. Leider muss ich hier kurz die Katastrophe in Duisburg 2010 ansprechen. (Anm. d. Red.: 2010 ereignete sich während der 19. Loveparade ein Unglück bei dem 21 Menschen ums Leben kamen.)
Aufgrund der tragischen Ereignisse hat sich die Interessengemeinschaft und der Verein LoPa 2010 Duisburg gründete, der sich um die Betroffenen kümmert. Diese meinten selbst, dass das, was in Duisburg passierte, nichts mit Berlin zu tun hat. Sie sagten uns, dass die Loveparade in Berlin eine andere war und nie so stattgefunden hätte. Wir haben in der Öffentlichkeit gezeigt wie sich diese unsere Musikkultur anhört und wie sie aussieht. Das hat sehr sehr viele Menschen inspiriert selber Musiker, DJ, ein Label zu gründen oder Veranstalter zu werden. Sehr viele haben eine Existenz darüber bis heute aufgebaut.
Neben der Tragödie wurde auch oft diskutiert, dass die Loveparade zu sehr kommerzialisiert wurde. Wollt ihr mit der neuen Parade weg von diesem Ruf und wieder hin zu eine klaren politischen Haltung?
Erstrangig wollen wir die Kultur zeigen. Diese braucht natürlich im Umfeld einer politischen Gesellschaft auch Politik. Kultur ist aber ebenso wichtig als Bestandteil einer Gesellschaft. Wir leben diese Kultur seit 30 Jahren mit all den positiven Auswirkungen auf alles, was in Deutschland seit der Wendezeit passiert ist. Die Loveparade und elektronische Musikkultur hat am Ende das Image von Deutschland in der ganzen Welt verbessert. Das offene Miteinander, die Inklusion, die wunderbare Musik und das Tanzen – das bringt die Menschen seit 30 Jahren zusammen. Und das haben uns die 90er Jahre gebracht. Wir haben deswegen die gemeinnützige Rave The Planet GmbH gegründet.
Um eure ganze Arbeit zu refinanzieren habt ihr euch ein außergewöhnliches Fundraising-Modell überlegt. Kannst du erklären, was es damit auf sich hat?
Wenn die Menschen unser gemeinnütziges Anliegen unterstützen wollen, können sie das schon ab 5 Euro. Für jeden Unterstützer wird dann eine kleine Figur auf ein Modell gestellt, mit dem wir darstellen wollen, wie eine Parade in Berlin in den 90er Jahren ausgesehen hat. Das kam sehr gut an. Deswegen nennen wir unsere Spender auch Fundraver. Momentan stehen da schon um die 21.000 Fundraver auf dem Modell. Falls nächstes Jahr wieder eine richtige Parade stattfinden sollte, so haben wir damit immerhin schon mal 1/3 des benötigten Geldes. Unterstützen kann man uns gerne auf ravetheplanet.com.
Mit Rave The Planet seid ihr seit Anfang des Jahres am Start. Dann kam Corona. Wie geht ihr mit der aktuellen Situation um?
Wir versuchen weiterhin unsere Clubkultur zu zeigen, beispielsweise in Form von Livestreams. Immer freitags zeigen wir ab 17.30 Uhr auf Youtube, Twitch, Facebook usw. die Vielfalt der elektronischen Musik mit jeweils drei Live Acts oder DJ’s. Wir wollen uns eigentlich auf allen Plattformen weiterhin zeigen. Der gegenwärtige Stillstand der Clubkultur ist eine Katastrophe. Deshalb müssen wir Formen finden, wie wir weiterhin in dieser schwierigen Zeit überleben können. Das macht die Anerkennung als Kulturerbe noch wichtiger. Gerade in dieser Zeit braucht es Unterstützung und besser Umstände für die Clubs.
Den Clubs in Thüringen geht es mit Corona natürlich auch nicht gut. Wird Rave The Planet auch hier wirken?
Natürlich. Wir setzen uns keineswegs nur für Berlin ein, sondern für ganz Deutschland. Gilt elektronische Tanzmusikkultur erst einmal als Kulturerbe, so würde es gesetzliche Erleichterungen natürlich auch für Thüringen geben. Außerdem hat sich mit Booking United eine neue Initiative gegründet, in der sich Veranstalter, Agenturen und Künstler zusammenschließen, um eine Lobby der Kultur und Veranstaltungsbranche zu werden. Die sprechen auch mit der Politik um Verbesserungen der Unterstützung im Kultur- und Veranstaltungsbranche zu erzielen. Mitglied werden kann man unter booking-united.org.
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Hard Facts:
- Rave The Planet – Ein Projekt, das die Kunst sowie die Kultur der elektronischen Tanzmusik in jeglicher Form erhalten, pflegen, schützen und fördern will.
- Besucht Rave The Planet auf der Homepage, YouTube, Facebook und Instagram.
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