Als ich ein Kind war, wurden wir regelmäßig vor Männern gewarnt, die mit ihren Autos vor Schulen und Spielplätzen aufkreuzen und mit ihren schmierigen Fingern Süßigkeiten an Kinder verteilen. Deren Ziel: Kontaktaufnahme mit Minderjährigen und im schlimmsten Fall sexuelle Übergriffe und Gewaltverbrechen. Eltern und Lehrkräfte waren sehr sensibel, was dieses Thema anging und impften die Kinder bestmöglich, um potenzielle Gefahren auf unbegleiteten Touren durch die heimischen Straßen vorzubeugen.
Ungenügender Online-Schutz
Nun müssen diese schmierigen Typen heute gar nicht mehr ihre Autos bewegen und Schokoriegel horten, um Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen. Messenger, Social Media Plattformen, Online Games und Online Foren bieten Orte des Austausches, der Vernetzung und der Kommunikation. Das ist nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für uns Erwachsene, immer der wichtigste und positiv besetzteste Aspekt der Nutzung digitaler Medien. Doch genauso wie wir unsere Jüngsten in der realen Welt vor Kontakt mit Fremden schützen, müssen wir dies auch in der virtuellen Welt noch besser angehen.
Viele Kinder werden Online belästigt
Die medienpädagogische Informationsplattform „klicksafe“ fasst die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage der Landesanstalt für Medien NRW vom 10. Dezember 2021 wie folgt zusammen: „Fast ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen (24 Prozent) wurde bereits im Netz von Erwachsenen zu einer Verabredung aufgefordert. Jedes sechste Kind bzw. jeder sechste Jugendliche (16 Prozent) gibt an, dass ihm bereits von einem erwachsenen Onlinekontakt eine Gegenleistung für ein Video oder Foto versprochen wurde. Jedes siebte Kind bzw. jede siebte Jugendliche (14 Prozent) wurde aufgefordert, sich für einen Erwachsenen vor der Webcam auszuziehen oder die Kamera seines Smartphones anzuschalten.
15 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen geben außerdem an, ungefragt Nacktbilder zugesandt bekommen zu haben – und das sind nur einige der Szenarien, die in der Befragung beschrieben und abgefragt wurden.“ Ich vermute, dass diese Zahlen von 2021 inzwischen noch weiter angestiegen sind. Aussagen und Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern aus schulischen Medienprojekten, die ich durchführen durfte, zeigen hier auf jeden Fall eine hohe Problemlage und viel Unwissenheit zum Thema.
Bewusster Umgang mit digitalen Geräten und Tools
Bevor jetzt alle die Smartphones ihrer Kinder einschmelzen oder mit elterlichen Kontroll-Apps zupflastern, möchte ich euch bitten, Ruhe zu bewahren. Kinder und Jugendliche müssen lernen, mit den Potenzialen und Gefahren von digitalen Geräten und Tools selbstbewusst umzugehen. Dazu gehört sowohl der Umgang mit den Medien, als auch Vertrauen und Begleitung bei der analogen und digitalen Lebenswelterschließung zu erfahren. „Family Link“ ermöglicht zwar eine schnelle Kontrolle, sorgt aber für Spannungen im Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern und schenkt dem dahinterstehenden Großkonzern Google auch noch sensible Daten des Kindes.
Niemand muss schreiend wegrennen
Der große Unterschied zu den Schmierlappen an den Spielplätzen ist doch, dass die Kinder im digitalen Raum nicht ad hoc reagieren müssen. Niemand muss sofort wissen, was zu tun ist und schreiend wegrennen. Wir können die Gesprächspartner in Ruhe bewerten, schnell und effektiv ausblenden, unsere Antworten gut und genau überlegen und uns zwischendurch sogar entspannt Hilfe holen. Und da kommen alle Bezugspersonen ins Spiel, egal ob Eltern, Lehrkräfte, Fußballtrainer oder große Geschwister. Je mehr Vertrauenspersonen Kinder und Jugendliche haben, umso eher greifen sie auf diese zurück und holen sich Rat bei diesen. Und gerade bei so einem sensiblen Thema wie der sexuellen Belästigung bedarf es Verständnis und eine fürsorgliche Unterstützung.
Aufklärung über Cybergrooming
Sprecht mit den Kindern und Jugendlichen über sexuelle Belästigung im Netz. Der Fachbegriff hierfür ist Cybergrooming und ist nach §176a und §176b StGB strafbar. Das Bundeskriminalamt gibt hierzu viele gute Hinweise auf seiner Webseite. Ebenfalls die medienpädagogische Seite „handysektor.de“ und der Jugendratgeber „juuuport.de“. Wichtig ist, dass die Kinder sexuelle Belästigung entschlüsseln und erkennen können. Cybergroomer machen häufig viele Komplimente und erfragen schnell private Informationen, Bilder und Videos. Irgendwann kann es dann noch zum Wunsch nach einem echten Treffen kommen. Die erwachsenen Straftäter geben sich dabei häufig als eine gleichaltrige Person aus und schicken selber geklautes Bildmaterial
Zuhören und Optionen abwiegen
Nun ist nicht jeder Fremde im Netz gleich ein Verbrecher. Eine gewisse Grundskepsis sollte man aber erst mal haben. Zum Beispiel können die vermeintlich echten Bilder auch mit der Bilderrückwärtssuche überprüft werden. Übergriffige Chatpartner können gemeldet, blockiert und auch angezeigt werden. All diese Optionen müssen Kinder und Jugendliche kennen, um sie zielsicher auch anzuwenden. Also fragt die Kinder in euren Familien oder Schulklassen einfach, ob sie schon mal Bilder oder Textnachrichten bekommen haben, bei denen sie sich unwohl gefühlt haben. Sollte dies der Fall sein, dann hört ihnen ehrlich zu und überlegt gemeinsam Strategien, um sich vor solchen Kontakten zu schützen. Und ungefragte Penisbilder muss übrigens auch niemand einfach so hinnehmen, egal ob minderjährig oder nicht. Dies ist nach §184 StGB ebenfalls eine Straftat und kann über die Seite „dickstinction.com“ unkompliziert zur Anzeige gebracht werden.
Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter Kay Albrecht die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne im t.akt über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.