Würde man in einer Zeitmaschine zum Woodstock Festival 1969 zurückreisen und einem Festivalbesucher erzählen, dass in der Popkultur der Zukunft ein Italiener angesagt ist, der Fliegenpilze wie Gummibärchen nascht, Schildkröten malträtiert, um ihre Panzer als Wurfgeschoss zu benutzen und zur Fortbewegung durch riesige Abflussrohre rutscht, wäre man wahrscheinlich direkt gefragt worden, was für geiles Zeug man geraucht hat. Keine 16 Jahre später betrat Jumpman die Bühnen des japanischen Konsolenmarktes und verhalf als Super Mario kurze Zeit später Nintendo zu weltweitem Ruhm.
Speedrun durch die Gaming-Kultur
Computerspiele sind eines der Erfolgsmedien unserer Zeit, besitzen im besten Fall einen sehr hohen Unterhaltungswert und sind absolut divers und einzigartig. Sie eröffnen dem Nutzer und der Nutzerin spielerisch komplett neue Welten und Möglichkeiten und sprengen damit die limitierten Möglichkeiten des realen Daseins. Sie können eine immersive Wirkung haben, dienen zur Entspannung und Ablenkung und können dank des Flow Effektes jedes Gefühl für Raum und Zeit verschwinden lassen.
Anzahl der Gamerinnen und Gamer wächst
Digitale Spiele sind inzwischen erfolgreicher als die Musik- und Filmindustrie zusammen weiß „Der Standard“ am 3. Mai 2021 zu berichten. Die Anzahl der Gamerinnen und Gamer wächst dabei stetig an. Nicht nur erschließen sich immer mehr Frauen die mannigfaltigen Welten des Gaming-Universums, es werden auch immer weitere potenzielle Gamerinnen und Gamer geboren, während die nicht mehr ganz so jungen, aber finanzstarken Erwachsenen ihrem digitalen Hobby nicht nur die Stange halten, sondern sie auch vergolden.
Die Pädagogik und Entwicklungspsychologie teilen die Erkenntnis, dass Spielen eine der wichtigsten Lernformen ist, um physische, psychische und soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Diese Lernmethodik teilen wir mit zahlreichen Tierarten, die durch das Spiel ihre zukünftigen Jagd- und Fluchtkompetenzen schulen. Deswegen wird immer häufiger das Wort „Gamification“ in reformpädagogische Diskurse eingebracht. Dies bedeutet, es sollen spieltypische Elemente, Prinzipien und Mechanismen in einen Kontext außerhalb des Spieles übertragen und integriert werden. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Im Sportunterricht einer Grundschule haben wir einen klassischen Hindernislauf aufgebaut. Anschließend haben wir ein rotes und ein grünes Cap besorgt, Spielmünzen im Parcours verteilt und die typische „Super Mario“-Musik laufen lassen. Selten sah ich Kinder so motiviert einen Hindernislauf, besser gesagt ein „Jump and Run“-Level absolvieren.
Zu viel Konsum kann schaden
Spiele können also sowohl in der Freizeit als auch im Bildungsbereich sehr viele positive Effekte ausüben. Wie so oft beim Medienkonsum gibt es natürlich auch Gefahren und Herausforderungen, auf die man achten sollte. Gerade weil Gaming einen so hohen Reiz ausüben kann, ist Computerspielsucht ein ernstzunehmendes Thema. Im Jahr 2018 hat die WHO dies offiziell als Krankheit anerkannt. Dabei ist ein Mensch nicht gleich süchtig, wenn er ab und an mal sehr viel Zeit und Freude in ein Spiel investiert. Der ICD-Kriterienkatalog definiert als weltweiter Standard folgende Kriterien für eine Abhängigkeit von Computerspielen: 1. Es wird selbst dann noch weitergespielt, wenn ein wichtiger Termin ansteht oder die Situation unangemessen erscheint. 2. Freunde, Familie, Hobbys, Schule oder Arbeit werden vernachlässigt und dem Spiel jederzeit Priorität zugemessen. 3. Es wird trotz negativer Konsequenzen in Familie, Schule oder Beruf weitergespielt und das Verhalten nicht angepasst.
Hilfreiche Seiten im Netz
Es gibt auf Webseiten wie „handysektor.de“ oder „klicksafe.de“ Hinweise und Checklisten, um eine eventuelle Sucht zu erkennen. Wichtig ist, mit den potenziellen Betroffenen das Gespräch zu suchen und nicht aus der eigenen Wahrnehmung heraus eine Sucht zu diagnostizieren. Diagnosen sollten sowieso medizinischem Fachpersonal vorbehalten sein.
Da das Weihnachtsfest nun kurz vor der Tür steht und häufig Spielekonsolen und Games unter dem Weihnachtsbaum aus ihren Verpackungen befreit werden wollen, sei ein letzter Tipp gestattet. Die Webseite der USK bietet eine sehr große Hilfe für alle ratlosen Eltern und Großeltern. Die USK bewertet im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes Computerspiele und verleiht ihnen Altersfreigaben. Diese Einstufungen sind sicherlich ab und an diskutabel, haben aber immer einen sehr hohen Orientierungswert. Bevor wir gefährdenden Spieleinhalten Einlass in die Kinderzimmer gewähren, lohnt es sich immer, sich vorher etwas schlauzumachen. Schließlich stellen wir einem Zehnjährigen auch keine Getränke mit einer Zulassung ab 18 Jahren vor die Nase.
Hard Facts:
- Bock auf Spielen? In Thüringen gibt es einige Veranstaltungsorte, die Spieleabende ausrufen. Mit von der Partie sind das Retronom, der Kickerkeller, das Kalif Storch und das Klanggerüst in Erfurt.
Autor und Medienpädagoge Kay Albrecht ist Profi auf seinem Gebiet. Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch – und jetzt seid auch ihr dran. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.