Denn gegenseitige Verachtung, Beleidigungen und Hass Diskursräume vergiften und die Grundregeln konstruktiver Kommunikation in ihre kleinsten Bestandteile zertrümmern, verlassen wir die Grenzen des gegenseitigen Respektes und der Toleranz. Wir sitzen Gift und Galle spuckend in unseren Ecken, bereit den Gegner nach jeder noch so kleinen Provokation niederzustrecken.
Die am meisten bewunderten Revolutionäre des 20. Jahrhunderts
„Gewalt beginnt da, wo Reden aufhört“, sagte Hannah Arendt, die als Jüdin 1933 vor den Nationalsozialisten in die USA floh und zu den wichtigsten politischen Theoretikerinnen und Philosophinnen des letzten Jahrhunderts zählt. Die am meisten bewunderten Revolutionäre des 20. Jahrhunderts sind diejenigen, die ihre Ziele ohne Gewalt und mit einem festen moralischen Kompass erreicht haben. Ihr kennt vielleicht Mahatma Gandhi, der gewaltlosen Widerstand gegen die britische Kolonialmacht ausübte. Oder Nelson Mandela, der seinen Widerstand stets friedlich beging. Oder die unzählig vielen Menschen, die 1989 mit ihrer „friedlichen Revolution“ ein wesentlicher Faktor für das Ende der DDR waren.
Diskursräume frei von verbaler Gewalt sind wertvoll
Im Jahr 2014 legte die University of Wisconsin in einer Studie 1100 Menschen einen wissenschaftlichen Text vor. Die eine Hälfte bekam zusätzlich sachliche und konstruktive Kommentare zum Lesen, die andere Hälfte Kommentare, die mit Beleidigungen durchsetzt waren. Im Anschluss sollten die Gruppen miteinander diskutieren. Die Menschen, die keine Beleidigungen gelesen hatten, diskutierten konstruktiv, während die andere Gruppe, welche beleidigende Kommentare gelesen hatte, deutlich gespaltener in ihrer Meinung und Diskussion waren.
Das Fazit: Diskursräume, die frei von verbaler Gewalt sind, sind konstruktiver und wertvoller. Wenn Sigmar Gabriel also Demonstrant:innen in Dresden beleidigt, ist dies genauso destruktiv wie die verbalen Abwertungen von Migrant:innen durch Alice Weidel. Menschen, die öffentliche Diskurse führen, müssen sich ihrer Verantwortung und Vorbildfunktion bewusster werden. Das betrifft jede Person des öffentlichen Lebens, aber auch jede Person, die in Kommentarspalten und Chatgruppen ihre Meinung vor anderen frei äußert.
Kein Fluchen vor Kindern, aber Hass und Hetze im Internet
Wir fluchen nicht vor unseren Kindern, weil wir nicht wollen, dass sie sich an solch einer Kommunikation orientieren. Gleichzeitig verseuchen wir digitale Kommunikationsräume mit Hass und Hetze. Wie naiv kann man sein, wenn man glaubt, dass diese unsagbar abwertende Kommunikation nicht auch unsere Kinder erreicht. Sei es durch direkten Kontakt, Reproduktion im privaten Umfeld oder der Auseinandersetzung mit Betroffenen von Hass. Und wie ambivalent sind wir, dass wir diese Ziele eines glücklichen Miteinanders auf unsere Kinder projizieren, während wir als Erwachsene uns digital die Köpfe einschlagen.
Einen Thüringer Bildungsplan für Thüringer?
Im Thüringer Bildungsplan für Kinder bis zehn Jahren sind Dimensionen der moralischen Bildung festgelegt. Dort steht zum Beispiel: Kinder sollen das konstruktive Streiten in spielerischen und alltäglichen Situationen lernen. Es geht um die Achtung der Individualität jedes Kindes und die gegenseitige Achtung der Gefühle anderer. Es sollen soziale Beziehungen durch ein freundliches Miteinander, gegenseitige Hilfe und Rücksichtnahme gepflegt werden. Können wir diesen Bildungsplan bitte im Hinblick auf das Alter erweitern? Kann es bitte einen „Thüringer Bildungsplan für Thüringer“ geben? Scheinbar haben die Kleinsten unserer Gesellschaft den Erwachsenen und vermeintlich reiferen Personen dieser Gesellschaft einiges voraus.
Klare Gesprächsregeln für ertragbare Diskursräume
Lasst uns dafür sorgen, dass Diskursräume wieder ertragbar werden. Stellt klare Gesprächsregeln auf, achtet auf deren Einhaltung, verwarnt Verstöße für jede beteiligte Person nachvollziehbar und sanktioniert diejenigen, die sich wiederholt nicht daran halten. So funktioniert Erziehung nun einmal. Konstruktive Kritik ist dabei jederzeit erwünscht. Mann kann auch nett miteinander sein und sich trotzdem mit unterschiedlichen Sichtweisen und Meinungen konfrontieren. Das Zuhören und das empathische Reagieren wird in netten Gesprächssituationen nur wesentlich einfacher für alle Beteiligten. Und damit adressiere ich alle Menschen, egal welchem Weltbild, welcher politischen Fraktion oder welcher Lieblingsfußballmannschaft sie angehören.
Die am 13. Februar veröffentlichte Studie des Kompetenznetzwerkes gegen Hass im Netz „Lauter Hass – leiser Rückzug“ zeigt sehr prägnant auf, wie digitaler Hass den demokratischen Diskurs bedroht. Gerade die Folgen von Hass im Netz sollten uns zum Handeln veranlassen. „Allem voran nennen die Betroffenen sozialen Rückzug (41 Prozent) und psychische Beschwerden sowie Probleme mit dem Selbstbild (jeweils 35 Prozent). Ebenfalls ein knappes Drittel der Betroffenen reduzierte seine Online-Aktivität und zog sich damit aus dem Internet zurück“, so die Studie. Noch erschreckender ist die folgende Aussage: „Dreiviertel der Befragten sorgen sich, dass durch Hass im Netz auch Gewalt im Alltag zunimmt.“ Und das sollte doch nun wirklich nicht das Resultat digitaler Kommunikation sein.
Auch bei hitzigeren Debatten Respekt zeigen
Also lasst uns versuchen zu einer netteren Kommunikation zurückzukehren, in welcher andere Meinungen und Sichtweisen ausgehalten und dennoch kritisch auf Missstände und Probleme hingewiesen werden. Und wenn es mal wieder hitziger in privaten, digitalen oder öffentlichen Debatten wird, dann erinnert euch daran, was das Kaninchen Klopfer im Disney Klassiker „Bambi“ gesagt hat: „Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund halten.“
Medienpädagoge Kay Albrecht. Foto: Kay Albrecht
Autor und Medienpädagoge Kay Albrecht ist Profi auf seinem Gebiet. Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch – und jetzt seid auch ihr dran. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.
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Hard Facts:
- Das Projekt „elly“ ist deine Verbündete gegen Hatespeech in Thüringen
- Mehr Infos gibt´s hier
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