Es war einmal zu einer Zeit, in der Handys noch ausfahrbare Antennen hatten, die Einwahl ins Internet via ISDN sich wie die letzten angestrengten Töne einer viel zu langen Clubnacht durch die Gehörgänge quälten und der versehentliche Anruf auf ein Faxgerät zu einem kurzen aber intensiven Tinnitus führte. Es war eine Zeit der technischen Innovationen und Veränderungen und so herrschte Anfang der 2000er Jahre Goldgräberstimmung im World Wide Web.
„Opa Facebook erzählt von früher“
Mit Arschgeweih und Baggy Pants wurden an den Röhrenmonitoren junger Startups Webseiten und Plattformen in den digitalen Ether geschossen, dass die Britney-Spears-MP3 im iPod nur so knackte. Während sich Amazon bereits schon vom reinen Online-Buchversand in Richtung Weltherrschaft aufmachte, war bei ebay großes Versteigern und Kutteln angesagt, sodass Sammler und Schnäppchenjäger im wahrsten Sinne des Wortes auf ihre Kosten kamen. Google hatte bereits in seinem 5. Lebensjahr Konkurrenzplattformen wie Yahoo, AOL und Lycos in seine Einzelteile defragmentiert und forcierte zur eierlegenden Wollmilchsau des Suchens und Findens.
Die Vielfalt im Internet
Ob Kochrezepte, Handwerktipps, medizinische Diagnosen, Wetterberichte, Sprachübersetzungen oder illustre Verschwörungserzählungen, hier kommen alle auf ihre Kosten. Das 20-teilige CD-ROM-Set der Bertelsmann Enzyklopädie wurde vom kostenfreien Wikipedia abgelöst und versteckte sich voller Scham unter einer immer weiterwachsenden Staubdecke in den deutschen Kinder- und Arbeitszimmern. Währenddessen lud das junge Wikipedia Menschen aller Welt ein, sich an den Inhalten zu beteiligen. Da aber scheinbar ältere männliche Nutzer aus den westlich geprägten Ländern eher über die technische Infrastruktur und Zeit verfügten, konnten so die eh schon dominierenden Weltansichten im digitalen Raum manifestiert werden.
Gleichgesinnte im Netz
Die frühen Nutzerinnen und Nutzer des Internets hatten also bereits allerhand Möglichkeiten zu konsumieren und sich zu informieren. Doch der Mensch ist durchaus sozial gestrickt und so gab es eben auch Bedarf nach Kommunikation und Austausch. In Chats und Foren fand man Gleichgesinnte für das noch so unterrepräsentierte Hobby oder den noch so frechen Fetisch. Es wurde wild mit Identitäten gespielt und mit einem schelmischen Grinsen im muffigen Computerzimmer allerlei digitaler Schabernack getrieben.
Und so dauerte es nicht lange, dass die ersten sozialen Netzwerke einen innovativen Raum des Austausches und der Vernetzung erschufen und nebenbei wie Goldmarie unter Frau Holles Tor standen und statt Gold mit einem Regen aus Daten und Informationen überschüttet wurden. Die Berufsnetzwerke LinkedIn und XING machten sich auf den Weg das Banale mit dem Finanziellen zu verbinden. Arbeitnehmer und Freiberuflerinnen können sich hier selbst feilbieten und die Lügen des Bewerbungsgespräches elegant vorbereiten, ohne sich am Pranger der REWE „Such und Finde“ Wand offenbaren zu müssen. „Man denkt nach oben und strahlt nach unten“, kommentiert „Die Welt“, eine Tageszeitung des Axel Springer Verlages.
MySpace als Medium
In der Verlagsgruppe scheint es genau andersherum zu sein. Und dann kam die große Stunde der reinen Freizeitnetzwerke. Mit Myspace betrat die erste erfolgreiche Plattform das wacklige Parkett und gab uns allen das Wichtigste überhaupt – einen globalen gemeinsamen Freund namens Tom. Auf MySpace konnte man Musik entdecken, mit Freunden schreiben und flink eine eigene Art Mini-Webseite über sich und seine Interessen erstellen, welche nicht selten in ihrer Ästhetik an den Schweine-Eimer gut geführter Schulkantinen erinnerte.
Die Entwicklung des blauen Giganten
Und während fröhlich connectet wurde, erwachte in einer düsteren Gewitternacht im Jahr 2004, auf einem staubigen Dachboden der Harvard Universität ein Monster mit einem gewaltigen Hunger zum Leben. Facebook entwickelte sich zum blauen Giganten, welcher uns mit seinem optimistisch nach oben gestreckten Daumen einlädt, Teil einer Familie zu sein. Und während in Deutschland auf den VZ-Netzwerken studiVZ, schülerVZ und meinVZ heftig gegruschelt und über kesse Gruppennamen geschmunzelt wurde, kam eine unaufhaltsame Macht über den Ozean und verdrängte und verschlang alles, was im Weg stand. So wurden der Messenger WhatsApp und die Social-Media-Plattform Instagram einverleibt und Myspace und die VZ-Netzwerke vom Markt verdrängt. Mittlerweile zählt Facebook circa 2,9 Milliarden Menschen weltweit zu ihren Nutzerinnen und Nutzern. Das ist mehr als jede dritte Person auf diesem Planeten.
„Facebook ist mittlerweile ein Fossil“
Doch jede Erfolgsgeschichte hat auch irgendwann ein Ende. Und so ist Facebook mittlerweile ein Fossil im Dschungel der digitalen Angebote und versucht krampfhaft mit neuen Innovationen mitzuhalten und den veränderten Ansprüchen der jeweiligen Zielgruppen gerecht zu werden. Währenddessen erobern neue Anbieter aus China, Frankreich, Singapur und den USA den Markt und lassen Facebook wortwörtlich alt aussehen. Und so möchte ich mich mit meinen nächsten Beiträgen ausführlich den Social-Media-Plattformen zuwenden. Denn es ist nicht alles Gold, was aus Frau Holles Tor herunterregnet. Aber eben auch nicht alles Pech. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Autor und Medienpädagoge Kay Albrecht ist Profi auf seinem Gebiet. Als freiberuflicher Pädagoge schult der Erfurter die unterschiedlichsten Zielgruppen medienpädagogisch – und jetzt seid auch ihr dran. Regelmäßig klärt Kay in seiner Kolumne über Medienphänomene auf, um kritische Zugänge zu den alltäglichen Herausforderungen der medial geprägten Lebenswelt zu legen.