Deichkind. Eine Band, die keiner großen Erklärung bedarf. Ihre Live- Shows sind legendär. Ihre Songs passen in keine Schublade, sind laut und vielschichtig. Am 13. Februar kommen Philipp Grütering, Henning Besser, Sebastian Dürre (Porky) und Produzent Roland Knauf mit ihrem neuen Album „Wer sagt denn das?“ auch nach Thüringen. Wir konnten vorab mit Porky reden und etwas Licht in das Entertainment-Unternehmen Deichkind bringen.
Was ist eigentlich Deichkind? Eine Band oder ein Kunstprojekt?
Naja, wir sind schon eine Band. Aber keine Band, die in einem Bandkäfig eingesperrt ist. Wir sind keiner Plattenfirma verpflichtet, die uns etwas zu sagen hat. Weil wir alles selber machen, haben wir super viele Möglichkeiten. Wir sind eine Gruppe von sehr ambitionierten Leuten, die sich um alles selbst kümmern – Musik, Shows und Videos. Eigentlich sind wir ein Entertainment-Unternehmen.
Vor kurzem hatten wir Joey Bargeld im t.akt-Interview. Er unterstützte euch bei eurem Song „Dinge“. Im Gespräch sagte er, es seien wahnsinnig viele Menschen bei euch involviert. Könnte man euch auch als Firma bezeichnen?
Wir sind zwei Firmen. Eine Produktionsfirma „Deichkind Enterprises“, die Shows produziert und „Sultans Günther Music“, unsere Plattenfirma. Wir sind Independent-Label aber auch Produktionsfirma in einem.
Und wie viele Leute sind in eurer Firma so aktiv?
Die Tour-Crew ist etwa 65 Mann stark. Der Kern der Band besteht aus vier Leuten. Wir arbeiten hauptsächlich an der Musik und der Bühnenshow. Und im Büro sitzt das Management . Wir arbeiten schon seit Jahren mit den gleichen Leuten zusammen. So haben unsere Regisseure bereits 13 Videos für uns gemacht. Die müssen sich nicht mehr auf uns Einstellen. Sie hören einen Song und haben dann gleich visuelle Ideen. Der Kopf hat halt seine eigene Frequenz, deswegen geht’s bei uns Hand in Hand. Jeder weiß, was er zu tun hat.
Euer aktuelles Album „Wer Sagt Denn Das?“ wird über den grünen Klee gelobt. Zu Recht. Habt ihr euch dazu wirklich an die Ostsee zurückgezogen und gechillt Beats und Texte gebaut, oder wie lief das bei euch ab?
Ja. Wir sind alles gesellige Typen. Wenn wir aber in die Autorenarbeit eintauchen und jeden Tag an der Musik arbeiten wollen, geht das einfach nicht Zuhause im Studio mit Familie und allem Drum und Dran. Da klingelt das Telefon, da hat einer doch nochmal einen Fußpflege-Termin und da muss dort einer das Kind abholen.Wenn du dich zum Musik machen in ein Haus zurückziehst, dann beschäftigst du dich den ganzen Tag damit. Du kannst eintauchen. Als Autor kommt man nicht in die Gänge, wenn man in seinem normalen Leben steckt. Deswegen ziehen wir uns einfach zurück, um an den Texten, die unser Markenzeichen sind, zu arbeiten. Wir stecken da sehr viel Blut und Schweiß rein. Das braucht natürlich auch Zeit.
Und wie lang habt ihr euch für das neue Album rausgenommen?
Einen Monat lang schlossen wir uns richtig ein. Davor sammelten wir aber bereits ein Jahr lange Ideen und arbeiteten im Studio. Um das alles nochmal zu verdichten und zu guten Songs zu verbasteln, haben wir uns dann an die Ostsee verzogen.
Bei euren Liedern könnte man schon sagen, es ist Gesellschaftskritik auf hohem Niveau, oder?
Kritik kann ja auch einfach eine Beobachtung sein. Bei Kritik denken alle gleich, es gibt was zu meckern. Bei uns ist das aber einfach so etwas wie ein Realitäts-Check. Eigentlich sind wir Gesellschafts-Beobachter – das trifft es wohl besser. Wir schreiben über Themen, die wir beobachten.
Gerade weil ihr gut beobachtet und das alles auf den Punkt bringt, könnte man denken, ihr sitzt in Wahrheit gern Zuhause, lest die Tageszeitung und trinkt dabei einen Ostfriesentee …
Ich sitze Zuhause und trinke Instant-Kaffee (lacht). Und ich lese natürlich auch Zeitung. Da spielen viele Faktoren rein – Aufmerksamkeit, viele Notizen machen, die politische Lage und alles, was man wahrnimmt. Der Rechts-Ruck. Die gesellschaftliche Ohnmacht. Es ist ja auch nicht zu übersehen, dass es momentan brisante Zeiten sind – wobei man sagen muss, dass die Zeiten immer brisant waren. Jetzt kommt es uns durchs Internet und die sozialen Medien intensiver vor.
Ich bin zum Ende des Kalten Krieges aufgewachsen. Damals waren Tschernobyl oder der Irakkrieg die Aufreger. Eigentlich ist der Kampf zwischen Gut und Bösen immer präsent. Heutzutage sind es die Schreihälse. Arschlöcher. Die Trumps und Erdogans dieser Welt. Sie sind natürlich lauter und dreister. Es spitzt sich alles ein bisschen zu, aber eigentlich gab es das ja schon immer, ich sag mal: Stress. Das beobachten wir halt.
Und gießt das in eure Lieder?
Ja, genau!
Du hast gesagt, ihr wollt nicht unbedingt kritisieren. Aber trotzdem fühlt man sich beim Hören eurer Lieder, wie eine kleine Katze, die man in den eigenen Pipi drückt. Es wird einem bewusst, dass man gerade da, wo man lebt, selbst Scheiße produziert. Schwingt da nicht trotzdem der erhobene Zeigefinger mit?
Naja, das ist der Spiegel, den wir vorhalten. Er kann einem wie ein Zeigerfinger vorkommen. Und wir kritisieren nicht im negativen Sinne. Ich fühle mich halt ein wenig in der Pflicht, etwas zu sagen. Durch die Reichweite, die ich habe – das Geschenk, dass die Leute mir zuhören. Mit Musik, die nur eine Ebene besitzt, würde ich mich schlecht fühlen.
In dem Song „Keine Party“ nehmt ihr euch selbst auf die Schippe. Wenn man den Text ernst nimmt, negiert ihr ein bisschen euren Überhit „Remmidemmi“. Nerven euch eure alten Gassenhauer manchmal, sodass ihr selbst drüber herziehen wollt?
So ein bisschen. Wir ziehen drüber her. Aber nerven tut er nicht. Wir haben dem Song viel zu verdanken. Alles das, was wir erreicht haben, ist auch durch „Remmidemmi“ entstanden. Klar, vorher gab es auch „Bon Voyage“, aber die Hip-Hop-Ära war vorbei und dann kam dieser Riesen-Hit, der bis heute noch immer der meistgespielte ist.
Remmidemmi hat uns den Weg geebnet für noch größere Hits wie „Leider geil“ oder „Bück dich hoch“. Das alles hat uns den Freiraum verschafft, dass wir jetzt ein so unkonventionelles Album machen konnten. „Keine Party“ ist kein Pop. Auf der Platte entsteht ziemlich viel Reibung. Aber wir spielen unsere alten Hits immer noch gerne. Nur Zuhause hören wir nicht mehr unbedingt an. Aber live sind die Songs nach wie vor halt einfach Hammer.
Gibt es bei euren Liedern eigentlich eine Logik?
Nee, eigentlich nicht. Jedes Lied auf dem Album ist ja schon fast ein eigener Musikstil. Wir legen einfach los und schauen, was sich gut anfühlt. Es ist viel mentale Arbeit Deichkind-Texte zu schreiben. Aber da ist auch 50 Prozent Intuition und Bauchgefühl dabei. Es ist ein Mix. Wir machen unseren eigenen Sound und haben unsere Art, in der wir am Synthesizer rumschrauben. Man hört es sofort, dass wir es sind. Und solche Muster hat wahrscheinlich jeder Musiker.
Bei Spotify sieht man ja, dass Millionen Menschen euch zuhören. Was denkt man da als Künstler, wenn man sieht?
Es ist schon ein bisschen abstrakt. Ich schau nicht auf die Zahlen. Wenn du dann aber auf einer Plattform wie YouTube auf einmal siehst, dass sich 30 Millionen Leute „Leider geil“ anschauten, dann ist das schon sehr beeindruckend. Aber Deichkind ist trotzdem eher ein analoges Erlebnis, das man riechen kann. Wir stecken sehr viel Energie in die Shows und das wissen die Leute. Deshalb kommen sie zu uns. Nicht wegen der Streams.
Bald wird Deichkind 25 Jahre alt. Spielt man da mit dem Gedanken wieder mal mit Nina wie bei eurem ersten Hit „Bon Voyage“ zusammen zu arbeiten?
Hehe, ich glaube, Nina ist raus aus dem Musik-Game. Wahrscheinlich würde sie es sogar machen, aber sie ist jetzt, glaube ich, Yoga Lehrerin und ganz woanders. Die Zeit geht so schnell vorbei. Für einen Rocker bin ich aber im besten Alter. Udo Lindenberg war mit 42 in der Blüte seiner Rock-Karriere. Ich gelte als Rapper mit 42 zwar als alt, aber eigentlich ist mein Job nicht so anstrengend und extrem gut bezahlt. Außerdem ich bin mit sehr entspannten Leuten unterwegs. Wenn ich also meinen Alkoholkonsum und so weiter unter Kontrolle habe, kann ich das auch noch recht lange machen.
Wie will man sich selbst nach 25 Jahren noch toppen? Überlegt schon?
Wahrscheinlich mit neuer Musik.
Auf Instagram und in euren aktuellen Videos werdet ihr seit neustem tatkräftig von Schauspieler und DJ Lars Eidinger unterstützt. Was ist das zwischen euch?
Ja, da ist die Schneeflocke einfach an den richtigen Platz gefallen. Ich weiß auch nicht, wo der auf einmal herkam. La Perla und Kryptik Joe haben ihn angeschleppt. Die kannten sich gut. Er ist uns hier und da mal begegnet. Wir haben da gespielt, wo er aufgelegt hat. Das ist einfach irgendwie passiert.
Und jetzt seid ihr Friends?
Ja. Er ist ein total lieber Kerl. Er ist unser Alter und er passt auch von der Frequenz her. Irgendwie matcht das.
Deichkind war schon oft in Thüringen. Wie hast du unser Bundesland bisher wahrgenommen?
In Thüringen gehen die Leute einfach kompromisslos mit. In Hamburg muss man sich das Publikum immer erst erarbeiten. Ab der Hälfte des Konzertes geht dort dann die Eskalation los. In Thüringen geht’s ab dem ersten Song ab. Das ist so ein Mentalitätsding. Wenn ihr feiert, dann wollt ihr auch feiern. Und dann wird auch nicht lange gewartet. In Thüringen gab es schon immer eine gute Techno-Kultur.
Am 13. Februar kommt ihr mit eurer neuen Show nach Erfurt. Ihr seid bekannt für eure feucht-fröhlichen Auftritte. Auf was können sich die Thüringer freuen?
Wir arbeiten viel mit Licht, Farben und Schatten. Erst waren wir Neon, dann Schwarzweiß. Jetzt gehen wir in Richtung erdige Farben. Fürs Auge ist viel dabei. Und das jenseits von der tausendfach gesehenen LED-Wand. Wir werden mit unserer Crew auf die Kacke hauen. Es wird groß! Der Eskalation steht nichts im Weg.
Hard Facts:
- Wo: Messe Erfurt
- Wann: 13. Februar 2020 | 20 Uhr
- Tickets und Infos dazu findet ihr hier.
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