Am 29. Dezember findet in Erfurt die zweite „Charlie Moskau“-Winteredition statt. Auf zwei Floors wird im Kaisersaal ab 21 Uhr zwischen den Jahren auf zwei Dancefloors gefeiert. Hinter Charlie Moskau verbirgt sich unter anderem der Erfurter DJ Sven UK, der bereits seit den 90er-Jahren die Nachtkulturszene in Thüringen prägt und an dem Abend für die musikalische Gestaltung sorgt. Euch erwarten Hits aus den 80ern und 90ern, Housemusik in all ihren Facetten und mehr.
50 Jahre Erfahrung in Nacht- und Musikkultur
Captain auf dem zweiten Floor ist DJ Beathova, der seit Anfang der 2000er der Hip-Hop-Szene in Thüringen seinen Stempel aufdrückt. Gemeinsam bringen Sven UK und Hannes, wie Beathova mit bürgerlichen Namen heißt, 50 Jahre Erfahrung im Bereich Nacht- und Musikkultur mit. Ein guter Grund, um mit den beiden über ihre Anfänge, hiesige Kulturorte und die Techno- sowie Hip-Hop-Szene der vergangenen 30 Jahre zu sprechen.
Sven, seit wann bist du eigentlich DJ und wie genau kam es dazu?
Sven UK: Ich bin DJ, seit ich 13 bin. Zu DDR-Zeiten organisierte ich schon Schuldiscos. Wir bauten Lichtorgeln und Boxen selbst, legten mit Kassetten auf. Das war anders als heute. So richtig DJ wurde ich 1993, da eröffneten wir den ersten Club in Erfurt – die Loge. Das war gegenüber von Zara in der Innenstadt und ging auch nur ein Jahr lang gut. Angefangen haben wir dort mit circa 30 Personen und am Ende waren es über 800.
Hast du damals schon selbst aufgelegt?
Sven UK: Ab 1991 kaufte ich mir regelmäßig Vinyl und spielte auf kleineren Partys. Mitte der Neunziger legte ich bereits bei Veranstaltungen wie Mayday, Love Parade und SonneMondSterne auf.
Wie ging’s bei dir los, Hannes?
DJ Beathova: Ich fing mit neun an, Schlagzeug zu spielen und war Teil einer Nu-Metal-Band. Hip-Hop hörte ich schon früh. 1999 kam ich das erste Mal mit Plattenspielern in Kontakt. Ein damaliges Bandmitglied fing an, Electro aufzulegen. Daraufhin besorgte ich mir Plattenspieler, übte zu Hause und in Jugendclubs. So lernte ich DJ Nimrod kennen, der mich unter seine Fittiche nahm. 2001 spielten wir das erste Mal im Centrum. Seitdem habe ich nicht mehr damit aufgehört. Ich bin vinylsüchtig und lebe hart an der Nadel (lacht).
Sven UK: Schlagzeug ist aber schon geil. So lernt man Rhythmus und hört die Tracks ganz anders.
DJ Beathova: Ja, genau.
Sven, hast du ein Instrument gelernt, oder hingst du gleich an der Nadel?
Sven UK: Ich fand den Musikunterricht eher langweilig. Ich kann ein paar Chords am Klavier spielen, bin aber kein Musiker, eher Produzent.
Warum hast du dich in den 90ern für elektronische Musik entschieden? Gab es einen Auslöser, an den du dich erinnern kannst?
Sven UK: Weil es eine ganz andere, neue Musik war. So etwas existierte damals noch nicht. Anfang der 90er gab es diesen typischen 80er-Sound und natürlich war man hungrig auf Neues, wollte anders sein. Techno hatte zu Beginn der 90er eine ganz andere Energie. Egal in welchem Land ich spielte. Es war alles neu. Das kann man mit heute nicht vergleichen. Was nicht heißen soll, dass es jetzt schlechter ist, nur anders halt.
Weil Techno jetzt im Mainstream angekommen ist?
Sven UK: Techno war schon in den 2000ern Mainstream. Mittlerweile ist es jenseits davon und die Qualität vieler neuer Tracks nicht immer berauschend. Es gibt weniger innovative Produktionen und das ist sehr enttäuschend. Auch die neuere Generation an DJs ist zum Teil aus anderen Gründen hinter dem DJ-Pult. Bei einigen erscheint es mir so, als ob sie das für den Ruhm machen. Da ist TikTok etc. wichtiger als gute Musik. Das kommt nicht immer von Herzen. Es ist schwer zu beschreiben. Du musst es leben.
Hannes, in den 2000ern war Hip-Hop schon längst Mainstream. Warum fiel deine Wahl auf das Genre?
DJ Beathova: Ich bekam 1994 mein erstes Hip-Hop-Album und war sofort fasziniert.
Sven UK: Was war’s für ein Album?
DJ Beathova: Nas – Illmatic. Nas ist für mich ein Gott, was Rap angeht. Das brachte mich zum Hip-Hop. Anfang der 2000er, als ich begann aufzulegen, wurde Hip-Hop clubaffiner. In den 90ern war er eher roh und wurde zu Hause gehört. In Erfurt gab es damals zwei, drei Leute, die bei Hip-Hop-Partys spielten. Aber die Nachfrage nach Veranstaltungen in dem Bereich stieg. Ich liebe diese Musik und für mich war es eine logische Entscheidung, diese Richtung einzuschlagen.
Sven UK: Das ist ein Gefühl, das dich mitnimmt. Kann ich gut nachvollziehen.
Wie war das mit der Szenekultur denn bei dir, Sven? Du erzähltest bereits, dass ihr die Loge eröffnet habt. Wie hast du das in den 90ern in Erfurt und Thüringen erlebt?
Sven UK: Damals ging es um Musik. Als wir den Club aufmachten, dachten wir nicht darüber nach, wie viele Leute kommen oder wie wir das alles finanzieren. Uns war wichtig, eine geile Party mit guter Musik zu erleben. In Erfurt gab es in den 90ern schon einige illegale Clubs, wie das Puck, das M-Four und das Muzak. Techno war neu und übrigens genauso schnell, wie er heute teilweise wieder ist. Techno klang damals anders. Die Musik produzierten die Künstler:innen damals mit Synthesizern und anderer Hardware. Das macht etwas mit dem Sound.
DJ Beathova: Heute wird der Großteil der Musik am Computer produziert. Früher arbeitete man analog. Das ist anders als digitaler Sound. Heute wird viel gecovert. TikTok ist für viele junge Leute der ersten Berührungspunkte mit Musik. Da gibt es einen anderen Zugang als damals. Viel Pop oder Hip-Hop aus den 90ern wird heute einfach schneller gemacht und dann kommt ein Beat drunter. Das war‘s. Deshalb spielen die DJs auf Techno-Partys auch heute noch die alten Klassiker. Weil die Menschen immer noch dazu abgehen. Die neue Musik ist zwar auch gut, aber austauschbarer, inflationärer.
Sven UK: Damals spürte man gefühlt mehr Seele in den Tracks. Deshalb sind die alten Tracks heute noch Klassiker. Ein guter DJ schickt dich auf eine Reise. Für mich sind einige der Personen von TikTok nicht wirklich DJs. Die sollten anders genannt werden. Eher Entertainer. Teilweise hat das mit einem DJ nicht mehr so viel zu tun.
DJ Beathova: Genau. „Ein DJ schickt Menschen auf eine Reise”, ist ein sehr wichtiger Satz. Den lebe ich. Wenn ich heute irgendwo auflege, kommen oft Leute zu mir und wünschen sich irgendwelche Songs. Viele – nicht alle – sind heutzutage nicht offen, neue Musik zu empfangen. Wenn du heute keinen Hit spielst, der bekannt ist, wirst du oftmals blöd angeguckt. Die Leute müssen sich lockerer machen und sich einfach mal einlassen. Ich verstehe natürlich, dass heute eine andere Zeit ist. Während wir uns damals Musik selbst beibringen mussten, steht heute das grenzenlose Internet zur Verfügung. Früher gingst du in Clubs auf Entdeckungsreise, warst offen. Du musstest dich auf neue Musik einlassen, die der DJ spielt, um etwas Neues zu entdecken.
Sven UK: Die heutige Generation ist wichtig, aber sie krankt oft an einem gesellschaftlichen Problem: Schnelllebigkeit. Früher feierten viele Menschen DJ-Sets, weil man die Songs sonst nirgends hören konnte. Es gab kein TikTok oder Spotify, kein Facebook oder Instagram. Heute ist Musik überall. Teilweise zum Konsumprodukt degradiert.
DJ Beathova: Es hat alles eine Daseinsberechtigung, aber der Gesellschaftswandel ist spürbar. Heute gibt es andere Prämissen für die Jugend.
Spieltet ihr früher viel in anderen Städten?
DJ Beathova: Erfurter Clubs wie das C1 hatten damals Resident-DJs, und da wollte ich niemandem die Butter vom Brot nehmen. Mich zog es nach Leipzig. Dort gab es eine Hip-Hop-Szene, die sich schon in der DDR ausbildete. Ich klapperte dann in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Clubs ab und legte dort auf. Sven UK: Unterwegs war ich in den 90ern und 2000ern auch viel. Nachdem ich bei der Mayday und der Love Nation spielte, wurde ich oft gebucht. Generell war ich viel in Europa und Deutschland unterwegs. Das war eine geile Zeit.
In den 90ern gab es viele Leerstände und Orte wurden für Clubs okkupiert. Heute ist der Platz rar und ein freier Ort für Nachtkultur nicht so einfach zu finden. Dennoch gibt es viele Clubs und viel Kultur, gerade in Erfurt. Wie würdet ihr die Entwicklung der letzten Jahre beschreiben?
Sven UK: Es gab hier schon immer Diskotheken und Clubs. Aber in den vergangenen Jahren ist es professioneller geworden. Engelsburg, Central, Kalif Storch oder Kickerkeller gibt es schon eine Weile. Dort arbeiten vernünftige Leute, die einen Plan haben. Früher war das unbeständiger. Erfurt geht es da gut. Es gibt andere Städte, in denen nicht so viel geboten wird.
DJ Beathova: Natürlich gibt es auch große Mainstreamclubs. Da gibt es keine Subkultur. Das ist auch völlig okay. Großraumdiskotheken gab es schon in den 90ern. Die Subkultur findet man eher in den kleineren Orten statt wie Kalif Storch, Engelsburg und Kickerkeller. Diese Orte sind sehr gut kuratiert, da ist Liebe dabei und das merkt man. Leider agieren jedoch die meisten Clubs in der Innenstadt. Mir fehlt die Subkultur in den verschiedenen Ortsteilen. Alle wollen ins Zentrum und in Gebieten im Norden oder Osten findet wenig statt.
Sven UK: Vergiss die Frau Korte nicht (lacht). Aber viele Objekte dürfen in den Randgebieten wegen des Bebauungsplans und anderen Umständen nicht bespielt werden.
DJ Beathova: Richtig, die Politik muss sich mehr für Kultur- und Subkulturräume einsetzen.
Sven UK: Aber es gibt auch Städte, die es schlechter haben. Ich denke jedoch, in Erfurt liegt es an den Personen, die sich für die Kultur einsetzen und ihr Ding konsequent durchziehen.
In den vergangenen drei Jahren gab es scheinbar mehr Synergien und Austausch in der Clubszene. Habt ihr das Gefühl, dass sich da etwas geändert hat, oder arbeiten Clubs schon immer zusammen?
Sven UK: Das würde ich so nicht unterschreiben. Veranstaltungen werden teurer und es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Menschen, die am Wochenende rausgehen. Die will man für sich gewinnen. Deswegen gehen Mainstreamdiscos wie das Cosmopolar oder der Musikpark auf Masse. Es braucht aber vor allem Clubs, die ihr Ding durchziehen und Prinzipien besitzen. Da gibt es einige in Erfurt. Das finde ich klasse. So setzten wir es in den Anfangszeiten des Centrums 1999 auch um. Deswegen habe ich vor solchen Läden großen Respekt.
Hannes, würdest du sagen, dass du derzeit mehr Möglichkeiten hast, deine Musik zu präsentieren, weil es jetzt mehr Clubs gibt, in denen Hip-Hop gespielt wird?
DJ Beathova: Mehr Möglichkeiten nicht wirklich, eher andere Möglichkeiten. Heute stehen Räume und Clubs zur Verfügung, die ein gewisses Understatement transportieren. Ich nehme nicht jede Anfrage an, sondern schaue, welches Konzept hinter dem Club steckt. Und um noch einmal auf die vorherige Frage zurückzukommen: Ich finde zwischen kuratierten Clubs ist eine Art von Zusammenarbeit vorhanden. Die Clubleiter schauen schon, dass Synergien geschafft werden, aber sie sprechen sich nicht ab.
Sven UK: Ich denke, es ist wichtig, miteinander zu reden und nicht übereinander. Das lernten viele Leute in den vergangenen Jahren.
Am 29. Dezember seid ihr beide bei einer Veranstaltung im Kaisersaal erstmals gemeinsam am Start. Wie kommt’s?
Sven UK: Bei den „Charlie Moskau“-Wintereditions sind mir zwei Floors wichtig und dass sich der zweite Floor ein bisschen musikalisch abhebt. Ich weiß, dass viele, die im Sommer zu den „Charlie Moskau“-Veranstaltungen auf dem Petersberg kommen, Hip-Hop mögen, egal ob alt oder neu. Und da dachten wir, es wäre die richtige Entscheidung, zusammenzuarbeiten.
Ist das für dich das erste Mal, dass du im Kaisersaal spielst, Hannes?
DJ Beathova: Nicht wirklich. Es ist zwar schon lange her, etwa zehn Jahre, aber ich hatte dort schon eine Veranstaltung. Zwei sogar, glaube ich. Es ist eine geile Location, die zwar nie ein Club sein wird, aber trotzdem etwas Besonderes hat. Der Zeitpunkt zwischen den Jahren ist zudem perfekt für so eine Veranstaltung.
Wie wählt ihr die Musik für den Abend aus?
DJ Beathova: Uff, das ist schwierig. Ich schaue mir zuerst die Veranstaltung an und mache dann einen Plan. Damit meine ich nicht, dass ich dann punkt 23 Uhr genau den einen Song spiele. Ein guter DJ kann die Crowd lesen und erkennen, ob alles richtig läuft oder man umdrehen muss, um die Menschen neu abzuholen. Ich baue mir also in meinem Kopf ein Grundkonstrukt und entscheide erst bei der Veranstaltung, was ich spiele. Selektiv.
Sven UK: Ich habe immer so 80 bis 90 Platten dabei, wenn ich ein Drei-Stunden-Set spiele. Man geht mit einem Plan rein und hat eine ungefähre Richtung, aber meistens kommt es doch ganz anders. Wie Beathova bereits sagte, ein guter DJ schaut in die Gesichter auf dem Floor und weiß, wenn etwas nicht läuft und wie er darauf reagiert.
Ihr organisiert jetzt schon seit langer Zeit Partys und seid als DJs tätig. Was bringt euch dazu auch heute noch da Energie reinzustecken?
Sven UK: Das Herz und die Sucht nach Musik (lacht).
DJ Beathova: Musik ist eine Sucht und natürlich ist ganz viel Herz dabei. Man hat einen Anspruch, wie eine Party verlaufen soll. Deshalb organisiere ich selbst Veranstaltungen. Natürlich ist es eine Einnahmequelle – ich muss von irgendetwas leben. Aber es ist auch viel, viel mehr. Den meisten Spaß habe ich auf meinen eigenen Partys, wenn ich selbst auflege – auch wenn man es mir nicht immer ansieht. Aber innerlich sprudelt es in mir (lacht).
Zum Abschluss: Wie hat sich eurer Meinung nach die Musikszene in Thüringen in den vergangenen 30 Jahren verändert?
DJ Beathova: Anfang der 90er gab es extrem viel Subkultur, die ist dann abgeflacht und kommt jetzt wieder. Die 90er sind zurück. Techno ist momentan das Ding und Hip-Hop flacht etwas ab, auch in der Clublandschaft. Wir erleben gerade ein Revival. Corona spielt da rein. Die Menschen konnten zwei Jahre lang keine Clubs besuchen. Es herrscht eine Art 90er-Jahre-Aufbruchstimmung. Techno ist eine befreiende Musik und gerade deshalb jetzt perfekt für diese Stimmung.
Sven UK: Ich sehe das alles mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Qualität von Mainstream-Techno hat zum Teil enorm abgenommen. Aber ich finde es gut, dass junge Leute sich für die Musik und die Zeit interessieren und weite Wege auf sich nehmen, um bestimmte Acts zu sehen. Natürlich wollen die keine alten Säcke sehen, sondern ihre jungen DJs, das ist normal (lacht). So kristallisieren sich bestimmt Leute heraus, die Veranstalter:innen werden. Genau die brauchen wir.
DJ Beathova: Alle, die Bock haben, Musik zu machen, sollen das auch dürfen. Im Techno-Bereich gibt es sehr viel DJ-Nachwuchs. Hip-Hop ist eine andere Geschichte. Da gibt es zwar auch junge Leute, aber die müssten mehr Möglichkeiten bekommen, sich auszutoben. Und natürlich: selbst veranstalten!
Sven UK: Junge Leute bringen neue Energie und Ideen mit. Das ist enorm wichtig.
Hard Facts:
- Charlie Moskau Winteredition: 29. Dezember | Kaisersaal | Erfurt
- Mehr zur Veranstaltung: www.kaisersaal.de
- Instagram: @sven_uk / @djbeathova