Eine Autofahrt von Wien nach Berlin. Am Steuer: Ben Hartmann. 2013 gründete er zusammen mit Johannes Aue das Rockgebilde „Milliarden“. Als Kreativschmiede sind sie zu zweit geblieben. Für die Live-Umsetzung ihrer Lieder und im Aufnahmestudio kommt ein fester Kreis an Musikern dazu. Die sind, laut Hartmann, allesamt bessere Instrumentalisten als er und Aue. Texte und Kompositionen, die gestalterischen Impulse, stammen hingegen ausschließlich von den beiden Milliarden-Gründern.
Milliarden spielen in Erfurt
Das mit der Musik fing bei den Milliarden früh an. Mit ungefähr 12. Die Kindergärtnerin, die im Plattenbau in Berlin-Marzahn-Hellersdorf eine Wohnung nebenan bewohnte, konnte zwei, drei Griffe auf der Akustischen spielen – wie eigentlich jede Erzieherin. Ein paar gelauschte und selbstausprobierte Akkorde öffneten Ben und Johannes eine Welt, in der sie sein konnten. Danach kam Punk. Der Haltung wegen. In der sechsten Klasse gab es Mitschüler, die sich Nazis nannten und kurzgeschorene Haare trugen. Denen begegnete Hartmann mit bunten Schnürsenkeln, seinem ersten Irokesen und der Energie des Skatepunk.
Mit kosmopolitischem Blick auf die Welt
Die Freunde aus Russland, Bosnien, Kasachstan und der erste beste Freund aus der Mongolei förderten bei der Band mit ihren Lebensgeschichten ein humanistisches Menschenbild, das zur Überzeugung wurde. Als werbende Geste will Ben seine Vita und das, was ihn und Johannes ausmacht nicht missverstanden wissen. Sozialromantik ist ihm genauso suspekt wie das schlagwortgerechte Für und Wider unserer Zeit. „Man muss Musik nicht mit marktkonformer oder zeitgeistiger Heureka!-Politur anbieten. Sie darf auch für sich sprechen“, meint Ben, mit dem wir über Geld, Selbstkritik und natürlich Musik sprachen.
Wie geht’s dir mit eurer ersten Tour nach Corona?
Im Sommer waren wir schon unterwegs auf Festivals und haben Clubkonzerte gespielt. Dennoch ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, einer so großen Anzahl von Leuten wieder gegenüberstehen zu können. Das ist eine komplett andere Energie, was uns so erst mal wieder bewusst geworden ist.
Apropos Festival. Ihr habt ja auf Festivals aller Couleur gespielt und man ist sich nicht so einig darüber, welchem Genre man euch zuordnen kann. Wie bezeichnest du selbst euren Musikstil?
Ich sag immer, wir machen Rockmusik. Das Spektrum ist zwar recht weit, aber mit den Instrumenten E-Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier ist das für mich ein Rock-Arrangement. Rock war lange ein merkwürdiges Wort, aber mittlerweile fühle ich mich ganz wohl damit. Ich denke, das Wort “Rock” wird gerade wieder neu belebt und in den nächsten Jahren wieder wachsen.
So wie ihr hoffentlich auch … Euer Bandname Milliarden klingt ja schon sehr groß, wovon würdest du gern eine Milliarde besitzen?
Ich hätte gern eine Milliarde Spotify-Hörer. Dann wäre mein Leben bedeutend einfacher (lacht). Zurzeit sind es etwa 111.000. Aber Zahlen gehen ja nach oben bis in die Unendlichkeit (lacht).
Kannst du dir vorstellen, eine Milliarde Euro zu besitzen? Was würdest du damit tun?
So konkret kann ich mir das nicht vorstellen, da solche Besitztümer gar nicht in Realgeld existieren, sondern eher in Anlagen und Aktien. Es ist in meiner Vorstellung eher eine Art digitale Marke auf dem Konto, die immer im Austausch um die Welt geschickt wird. Aber wahrscheinlich würde ich durch Mecklenburg oder Brandenburg ziehen und nach einem alten Hof schauen, auf dem ich Leben könnte. Ich hab‘ keinen Bock mehr, die ganze Zeit in der Stadt zu sein. Ansonsten würde ich versuchen, das Geld in so viele Kunst- und Kulturprojekte wie möglich reinzukloppen. Ich würde gerne die Waage verschieben und jungen Leuten das Bewusstsein für schöngeistige Werte wieder vermitteln. Viele machen sich zu viele Gedanken über Geld.
Ihr habt letztes Jahr euer drittes Studioalbum released. Wie entstand die Platte?
Wir haben uns nach dem zweiten Album von unserer Plattenfirma und dem Management getrennt, um alles selbst machen zu können. Das war sehr unangenehm, viel mit Anwälten verbunden, wir haben noch sehr lange Geld bezahlt, um aus den Verträgen zu kommen. Am Ende ist unser ehemaliger Booker nun unser „Manager”, wir haben unsere eigene Plattenfirma gegründet und verwalten uns nun selbst.
Die Lieder schreiben Johannes und ich zusammen, wobei ich eher die Texte schreibe und er die Musik. Meistens zeigt er mir die Musik, zu der er Fantasietöne singt (lacht), ich schreibe den Text dazu, dann hauen wir das zusammen und basteln ein Lied daraus. Meistens nur mit Klavier und Gitarre. Dann geht’s in den Proberaum, wir zeigen das der Band und bringen den Song “in shape”. Und dann gehen wir ins Studio und nehmen die Platte auf. Das klingt alles so chronologisch und sachlich, aber da steckt ganz viel Gefühl dahinter und zwischendrin ist es meist sehr chaotisch. Da werden Songs rausgeschmissen, abgeändert, neue mit reingenommen und so weiter (lacht).
Wie sieht es mit Selbstkritik aus, wenn du eure ersten beiden Alben anhörst? Bist du komplett zufrieden damit?
Ich bin sehr selbstkritisch was das betrifft. Deswegen trennten wir uns auch vom Major Label. Wir haben das so empfunden, dass manche Lieder nicht so wahnsinnig gut gearbeitet sind und die Platten kein klares Bild abgeben. Klar sind auf den beiden ersten Alben „Betrüger” und „Berlin” geile Lieder. Aber die Art, wie sie produziert sind … sagen wir mal, sie sind zu wenig live entstanden. Es waren Studioprozesse. Die Platten wurden nicht im Proberaum und auch ohne Band getestet. Viel mit künstlichen Instrumenten. Sozusagen aus der Dose. Bei so einer großen Produktionsfirma wird mit viel Geld in alle Richtungen gepulvert und man schaut nicht, in welchem Milieu das gut ankommen könnte. Das hat uns gestört und wir können nun mit einem Bruchteil des Geldes sehr gut allein arbeiten.
Eure Lieder sind teilweise sehr melancholisch. Ist das beabsichtigt?
Beabsichtigt ist das so nicht. Wenn mich Dinge interessieren oder mich Wörter anfliegen, dann bin ich erstmal in der Idee gefesselt – wahrscheinlich auch wenn sie eine Wunde von mir berührt. Das ist auch oft eine Art Gespräch mit sich selbst. Flächendeckend würde ich schon sagen, dass es mehr melancholische Inhalte und ab und zu auch politische Grundfragen sind, die ich mir stelle. Vielleicht bin ich auch eher ein melancholischer Mensch. Das heißt: Ich lache auch echt gerne und bin gut drauf (lacht). Aber wenn ich an meine Ideen und Quellen und Wunden rangehe, sind das dann doch eher die auf der dunkleren Seite.
Dunklere Seite ist ein gutes Stichwort. Viele von uns haben gerade das Gefühl, dass es global an allen Ecken und Enden brennt. Eine schlechte Nachricht jagt die nächste. Wie gehst du mit so etwas um?
Ich lese sie und versuche aber auch dagegen zu lesen. Ich versuche das, was ich auf der Oberfläche zugeworfen bekomme, nicht in meiner Ohnmacht zu lassen. Ich lese Bücher von Soziolog:innen und Philosoph:innen, um mir die Entwicklung unserer Gesellschaft anders zu erschließen und einen kosmopolitischen Blick auf die Welt zu bekommen. Ich glaube, wir könnten nicht so leben, wie wir leben, wenn wir alle als Gemeinschaft nicht so ‘ne Urform der Verdrängung hätten. Wir kaufen, fahren und fliegen weiter. Ich finde, das ist ein sehr komplexes Thema, das mich teilweise auch verstört. Vielleicht hört man das auch in den Liedern, die ich schreibe.
Zurück zu schönen Ereignissen: Wie stellst du dir die Zukunft der Band vor? Habt ihr ein neues Album in Planung?
Wir schreiben fleißig, aber wir können noch nicht sagen, wann genau was Neues rauskommt. Wahrscheinlich nehmen wir nächstes Jahr auf. Ich denke immer von Album zu Album. Ich wüsste gar nicht, wie man als Kreativer in größeren Bögen denken soll. Aber ich hoffe, dass ich in zehn Jahren immer noch Musik mache! Am liebsten würde ich dann auf dem Land leben und mir keine Gedanken über Geld machen müssen.
Welche Botschaft habt ihr an eure Fans? Was wollt ihr ihnen mitgeben?
Um es ganz einfach zu sagen: Raus aus der Ohnmacht, Ohren aufmachen, sich nicht auf die richtigen und auf die falschen Seiten stellen, sondern versuchen allen Seiten zuzuhören und im Diskurs zu bleiben. Was mich am allermeisten abfuckt, ist diese „Cancel Culture“, in der wir von vornherein wissen, was die richtigen und falschen Seiten und Antworten auf komplexe Probleme sind. Die Message ist: Guck dem, den du am wenigsten verstehst, am tiefsten in die Augen.
Hard Facts
- Milliarden mit dem Album „Schuldig“
Live am 18. November im Erfurter Kalif Storch - Ticktes: www.eventim.de
- Mehr Infos: : www.milliardenmusik.de
- Social Media: Facebook | Instagram | YouTube
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