Als wir mit Patrick Föllmer aka Lilabungalow Anfang Juli telefonierten kam er gerade aus Marokko zurück. Mit seiner Partnerin nahm er eine dreimonatige Auszeit, bevor die gemeinsame Tochter in den Kindergarten kommt. Dank Corona wurden es fünf Monate und zusätzlich zwei Wochen Quarantäne in Deutschland. Doch das sei nur am Rande erwähnt, denn eigentlich haben wir uns mit dem gebürtigen Erfurter verabredet, um über sein drittes Album zu reden, das Ende August veröffentlicht wird.
Lilabungalow released neues Album
Auf „Lichten“, wie sein neues Werk heißt, beschreitet Patrick gleich mehrere neue Wege. Im Gegensatz zu seinen früheren eher gitarrenlastigen Werken kommt das neue Album sehr elektronisch und erstmals im deutschen Textgewand daher. Poetisch öffnet er Gedankenwelten, lädt zum Nachdenken ein und liefert ein durch und durch komplexes sowie tanzbares Werk. Uns erklärt der Erfurter, warum Poesie in seiner Musik wichtig ist, was ihn in seinen Songs antreibt und wie seine kommende Tour aussehen wird.
Dein neues Album hast du „Lichten“ getauft. Warum?
Das Album ist aus einem Prozess heraus entstanden, an dessen Anfang ich mir die Frage stellte: „Wozu braucht es überhaupt noch ein Lilabungalow-Album? Warum braucht es mich noch als Musiker?“ Ich bin damals durch 40 Wohnzimmer in Deutschland und der Schweiz getourt. Auf 520 kleinen Briefen haben mir die Zuhörer diese Frage nach den Konzerten beantwortet, mir geschrieben, was in ihnen so vorgeht. Diese Briefe habe ich dann mit einem Soziologen ausgewertet und festgestellt, dass mein Job darin besteht, mit Musik Verbindung zu stiften. Das war für mich ein erhellender Moment. „Lichten“ ist an und für sich ja kein Substantiv, das es in der deutschen Sprache gibt. Es gibt das Verb „lichten“, das „etwas ans Licht bringen“ bedeutet – und das bedeutet es auch für mich. Mit „Lichten“ bringe ich die Verbindung ans Licht, die meine Musik stiftet.
Auf deinen vorherigen Alben warst du gitarrenlastiger unterwegs. Warum bist du jetzt elektronischer geworden?
Wenn ich ein Album produziere, nehme ich mir nie vor, wie das am Ende klingen soll. Ich mache keine Format-Musik. Das heißt, ich schließe mich ein paar Wochen in einen Raum ein, hab dort meinen Spielplatz und schaue jeden Tag, was passiert. Wenn mehr Gitarren passieren, passieren mehr Gitarren und wenn mehr elektronische Klänge passieren, passieren eben mehr elektronische Klänge. Dieses Mal war es eben der Fall, dass ich eher elektronisch drauf war.
Wie lange war die Entstehungszeit des Albums?
Ich würde sagen mindestens dreieinhalb Jahre. Es sind ja parallel zwei Alben entstanden, die jetzt nacheinander veröffentlicht werden.
Wie kommt’s, dass du zum ersten Mal auf Deutsch singst?
Ich hatte immer Angst vor meiner Muttersprache. Das hat sich für mich meist nie so ganz natürlich angefühlt. Dann dachte ich: „Krass, was ist das?“ Will ich da ein Leben lang die Tür davor verschließen oder habe ich auch mal Lust mich heranzutrauen, um schauen, wie sich das anfühlt und ob das irgendwie funktioniert? Also irgendwie funktioniert das schon ganz gut (lacht).
In deinen Songs stimmst du teilweise gesellschaftskritische Tone an. Trotzdem sind die Tracks tanzbar. Wie geht das zusammen?
Die klangliche Grundlage bastle ich meist zu Beginn. Da weiß ich noch nicht so genau, wo die Platte thematisch hingeht. Das hat sich dann so rauskristallisiert und ist einfach der Reihenfolge meiner Arbeitsweise geschuldet. Ich hab das gemacht, was mir Spaß macht. Und rausgekommen ist Indie-Elektro oder Contemporary Pop.
Ich veröffentliche auf einem Label aus Leipzig, das sich „Old New Records“ nennt und dessen Motto lautet: „Fuck Genres!“ Es geht nicht um Stiltreue. Das war bei den anderen Alben schon nicht der Fall und das wird mich auch jetzt nicht ereilen. Deswegen geht das auch ganz gut für mich zusammen – die popmusikalische Note und die ernsthaften kritischen Texte. Die Musik öffnet so ein kleines bisschen die Ohren und dann kann die Botschaft, die in der Musik enthalten ist, besser zum Zuhörer gelangen.
Wie kommt es zu deinen Texten und inwiefern kritisierst du da die Gesellschaft?
Ich kritisiere die Gesellschaft erstmal gar nicht. Sondern ich stelle in allererster Linie Fragen und beobachte Dinge. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Dabei stellte ich zwei grundsätzliche Dinge fest: Zum einen tun Leute aus Angst einfach sehr viele dumme und schreckliche Dinge. Deshalb ist Angst ein großes Thema. Die kann man nicht einfach weg reden. Menschen haben Angst. Das beleuchte ich im Song „Schwert und Schild“. Angst wird nicht gerne thematisiert, weil sie ein Zeichen von Schwäche ist – aber sie ist nun mal da. Deswegen hat das Thema für mich eine Relevanz. Es muss normal sein, über Ängste zu sprechen. Es muss auch normal sein, Angst hinter Zorn zu entdecken und zu merken, dass das kein Mittel ist, um dieser Angst Herr zu werden. Es ist also keine Kritik an die Gesellschaft, sondern es ist eher mein Weg, mit den Themen umzugehen, diese zu reflektieren und zu besprechen.
Was auch aus Angst resultiert ist Abspaltung und Unterscheidung. Auch wenn wir uns in Verbindung begeben oder uns zu Dingen bekennen, schaffen wir trotzdem eine Gemeinschaft in der wir individuell bleiben. Beide Dimensionen sind möglich. Das macht viele Unterschiede auch zwischen Gesellschaftsformen der nördlichen und der südlichen Halbkugel aus. Das ist ein großes Thema, auf dessen Grundlage Kulturkämpfen entstehen. Oder schauen wir schlicht und ergreifend den Konsum an. Wir alle wissen, dass unser Wirtschaftssystem bis zur Hutschnur schwachsinnig ist und den Planeten in den Exitus führen wird, aber alle machen weiter.
Und das verpackst du trotzdem in sehr poetische Texte. Du wurdest von Sänger Flo Mega gar als neuer Goethe bezeichnet. Wie stehst du dazu?
Es gibt viele deutsche Lieder, die in Klischees und Plattitüden schwelgt und sich auch derer bedienen. Themen wie die klassische Paarbeziehung, Romantik, Sehnsucht, Ferne – das ist das, was standardmäßig da ist und mich eher weniger reizt. Die deutsche Sprache ist unglaublich kräftig und stark und es war mein Ziel, die deutsche Sprache auch so zu verwenden. Sie soll nicht dogmatisch oder pädagogisch sein und den Zeigefinger erheben. Viel lieber ist mir, wenn sie den einen oder anderen Menschen anstößt und Resonanz erzeugt. Da schafft Poesie einen sehr, sehr großen Rahmen.
Ich kann natürlich in deutschen Texten ganz klar was auf den Punkt meißeln und sagen: „Ich bin in die Bahn eingestiegen. Da saß das Mädchen. Ich habe mich verknallt. Wir sind zusammen, wir haben Kinder, das Leben ist schön …“- aber dann habe ich auch ein sehr schmales Format, in dem ich agiere und einen sehr klaren Rahmen. Da kann sich der Hörer mit identifizieren oder nicht. Meine Texte sollen einen Raum geben. Jeder von uns hat eine ganz individuelle Ausgangsbasis. Damit ich so viele Leute wie möglich abholen kann, muss ich den Andockpunkt so groß wie möglich machen, aber trotzdem eine gewisse Intensität beibehalten und deswegen ist meine Wahl die Poesie.
Mit einem neuen Album ist ja auch meist eine Tour verbunden. Schwer in Corona-Zeiten. Wie ist das bei dir?
Ich spiele bis Ende des Jahres vier oder fünf Konzerte in Deutschland. Geplant ist dann, dass ich das künstlerische Zusammenspiel zwischen Animationskünstler, Maler und mir – so wie ich es bereits Anfang des Jahres in der Studiobox im Theater Erfurt präsentierte – als mobile Version nutze. Da stand ich zwischen zwei Projektionsflächen und darauf wurden Bilder eines Malers projiziert. Durch die Animation ergibt es einen räumlichen Effekt. Dazu mache ich dann Musik. In Erfurt wird es auch ein paar Konzerte geben, aber das ist jetzt noch nicht ganz spruchreif.
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Hard Facts:
- Der Erfurter Musiker Lilabungalow veröffentlicht sein drittes Album „Lichten“ am 28. August
- Elektronischer Indie-Pop mit deutschem Gesang, im Kontrast zu vorherigen eher „gitarrenlastigen“ Alben im englischen Textgewand
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